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Wes Brot ich ess’, des Lied ich sing’
Olivier David kommentiert das angebliche Gönnertum von Stiftungen und reichen Erb*innen
Auf einem Fachtag zum Thema Armut in Frankfurt am Main vor zwei Jahren werde ich von einem schick angezogenen Mann angesprochen. Er stellt sich mir vor, dann sagt er, dass ich mich auf der Kandidat*innenliste für einen Beiratsposten seiner Stiftung befände. Während des Fachtags stelle ich mir vor, ab und an in die Finanzmetropole zu fahren, ein bisschen zu plauschen, vielleicht über irgendetwas abzustimmen – was man eben so macht (oder auch nicht), wenn man in einem Stiftungsbeirat ist.
Doch dann fällt mir plötzlich ein, dass ich mich besser erst mal über die Stiftung schlaumachen sollte. Die Enttäuschung folgt auf dem Fuße: Es stellt sich heraus, dass es sich dabei um die 50 Millionen Euro schwere Stiftung eines der größten Supermarktketten der Welt handelt.
Bitterkeit mischt sich in meine Gedanken. Ich weiß, das Ding ist durch. Man verändert die Welt nicht zu einer besseren, wenn man sich an der Legitimation des Reichtums einer der vermögendsten Familien Deutschlands beteiligt. Das Thema dieser Kolumne ist also Vereinnahmung. Und die hat viele Gesichter.
Nicht immer kommt Vereinnahmung so offenkundig daher. Mal ist es die Institutionalisierung von Erwerbslosenprotesten, die Klassenkampf durch Beratungspraxis ersetzt. Wieder ein anderes Mal ist es die Initiative progressiver Reicher, die eine stärkere Besteuerung fordert und von Medien und linken Aktivist*innen hofiert wird.
Olivier David ist Autor und Journalist. 2022 erschien von ihm »Keine Aufstiegsgeschichte«, in dem er autobiografisch den Zusammenhang von Armut und psychischen Erkrankungen beschreibt. Bevor er mit 30 den Quereinstieg in den Journalismus schaffte, arbeitete er im Supermarkt und Lager, als Kellner und Schauspieler. 2024 erscheint sein Essayband »Von der namenlosen Menge« im Haymon Verlag. Für »nd« schreibt er in der monatlichen Kolumne »Klassentreffen« über die untere Klasse und ihre Gegner*innen. Alle Texte auf dasnd.de/klassentreffen. Zudem hostet er einen gleichnamigen Podcast über Klasse, Krise und Kultur. Alle Folgen auf dasnd.de/klasse.
Was soll daran falsch sein, ließe sich einwenden. Nun, da wäre einmal ein strategisches Problem. Wie ernsthaft woke Firmen und Einzelpersonen sind, die durch Ausbeutung reich geworden sind, lässt sich exemplarisch an den Finanzierungsproblemen des CSD in Berlin sehen. Spätestens der Blick in die USA zeigt die Grenzen der Progressivität auf: Wenn Firmen nach der Wahl von Donald Trump ihre Programme für Gleichberechtigung und Diversität einstellen, klingt alles etwas zu sehr nach der alten Formel »Wes Brot ich ess’, des Lied ich sing’«. Wer sich auf derartige Förderung verlässt, kann nicht gleichzeitig eine ernsthafte Strategie zum Umbau der Gesellschaft verfolgen. Dafür steht die Finanzierung zu sehr unter Vorbehalt.
Wie viel Abstriche muss eine*r machen, um von der Stiftung eines kapitalistischen Großkonzerns gefördert zu werden? Oder andersherum: wie viel andere Gesellschaft vertragen Stiftungen bei Stipendiaten und der Vergabe von Preisen und Förderungen? Ist dem Bürgergeld-Bezieher mehr geholfen, durch Beratung, oder durch Umbau der Gesellschaft?
In Zeiten, in denen CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann plant, hunderttausenden Empfängern das Bürgergeld zu streichen, wirkt ein vom Kapital gefördertes Projekt, das auf eine gerechte Gesellschaft ausgerichtet ist, als würde man mit Tofu-Wienern bewaffnet vor den Toren von Wiesenhof deren Vergesellschaftung fordern. Aktivist*innen, Schreibende und Wissenschaftler*innen tun gut daran, das eigene Handeln mit dem Level an Gewalt und Rohheit abzugleichen, das von den Herrschenden vorgegeben wird, um daraus eine Konsequenz zu ziehen, die ernsthafte Veränderung zumindest am Horizont sichtbar werden lässt.
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