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Aus der Pest eine Tugend machen
Mit Shakespeare hoch hinaus
In einer Zeit, in der Kunst nicht gerade hoch im Kurs steht, werden auch die großen Klassiker vorrangig genutzt, um sie auf ihre Nützlichkeit abzuklopfen. Auch vor dem Genossen Shakespeare wird dabei nicht Halt gemacht. Bücher wie »Powerplays. Was Chefs von Shakespeare lernen können«, »Folgt eurem Mut und stürmt! Shakespeare für Manager« und das schlicht, aber programmatisch betitelte »Shakespeare für Manager« zeugen davon.
Übrig bleibt von der Kunst nur eine – unbeabsichtigte – Parodie. Die Parodie einer solchen Parodie hat Andreas T. Sturm vorgelegt. »Das Shakespeare-Prinzip. 13 Wege zum Erfolg« heißt eines seiner Bücher, das die Banalitäten der Ratgeberliteratur aufgreift und mit umfangreichen Einlassungen zu Shakespeares Leben und Wirken illustriert.
Sorgt eine Pestepidemie dafür, dass die Theater geschlossen werden müssen, lass den Kopf nicht hängen und wechsle vom dramatischen ins lyrische Fach. (Womöglich ergiebiger, als – wie während der Corona-Zäsur – die darstellende Kunst ins Internet zu verlegen.) Den unternehmerischen Grundsatz, Geschäftsgeheimnisse nicht einfach preiszugeben, hat Shakespeare, über dessen Leben wir nur bruchstückhaftes Wissen haben, vervollkommnet. Wer nach oben will, muss zupacken – und vom Schauspieler auch zum Autor, Regisseur und Theaterleiter werden.
Wie es euch gefällt: Alle zwei Wochen schreibt Erik Zielke über große Tragödien, politisches Schmierentheater und die Narren aus Vergangenheit und Gegenwart. Inspiration findet er bei seinem Genossen aus Stratford-upon-Avon.
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Die managerialen Leitsprüche verbindet Sturm gekonnt mit Bekanntem und Abseitigem aus Shakespeares Vita. Die Ermüdungserscheinungen des Ratgebertons werden abgegolten mit Erhellendem aus elisabethanischen Zeiten. Der Witz ergibt sich daraus, dass der Erfolgsautor Shakespeare als erster Proband das »Prinzip Shakespeare« für uns durchgespielt hat und uns durch Klugheit, Geschick, feines Gespür unterhaltsam und kassenwirksam etwas verkauft hat, das zum Teil abstoßend, aufschreckend, schwer verdaulich wirken muss.
Nun fragen Sie sich aber, liebe Leserin, lieber Leser, warum ich, der ich mich zumindest ein wenig mit William Shakespeare beschäftigen konnte, Ihnen alle zwei Wochen an dieser Stelle ein paar Zeilen hinterlassen muss und dazwischen kritisierend, glossierend, berichtend Sonstiges zu dieser Zeitung beitrage. Sieht so der durchschlagende Erfolg eines Schreiberlings aus? Selbstverständlich nicht.
Es reicht nicht aus, Shakespeare zu lesen, wie ich es getan habe. Man muss ihn auch gründlich missverstehen. Viel Erfolg!
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