Optimismus statt Sozialismus

Die lettische Fernsehserie »Sowjet Jeans« gibt’s jetzt auch auf Arte zu sehen

Wer hinterm Eisernen Vorhang nicht an eine echte Lee oder Levi’s kam, nähte sie sich selbst.
Wer hinterm Eisernen Vorhang nicht an eine echte Lee oder Levi’s kam, nähte sie sich selbst.

Im Jahr 1979, auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges, ist die lettische Stadt Riga offenbar kein guter Ort, um an Jeansstoff aus dem Westen zu kommen. Die gesamte Sowjetunion unter Leonid Breschnew scheint kein guter Ort zu sein, zumindest nicht für jene, deren Vorstellungen von einem guten Leben von denen abweichen, die man beim KGB von einem solchen hat. Und der Geheimdienst ist überall. An jeder Ecke hat er seine Schleimer und Streberfiguren stehen, die stets brav nach oben melden sollen, wenn einer aus der Reihe tanzt. Die Spitzel sind allgegenwärtig,

Auch das Theaterhaus, an dem der junge Renars (Kārlis Arnolds Avots), der Protagonist der Serie in der Arte-Mediathek, als Kostümbildner und Schneider arbeitet, ist mit Wanzen und Abhörmikrofonen gepflastert. Doch der umtriebige Renars, der bei seiner Großmutter wohnt, einer hochdekorierten Veteranin des Großen Vaterländisches Krieges, geht auch einem Nebenjob nach: Abends spricht er Touristen aus dem Westen an, um sie dazu zu überreden, ihm ihre Jeanshosen, ihre Sonnenbrillen oder andere Waren von Wert zu verkaufen. Erzeugnisse, mit welchen er – gemeinsam mit einem Partner und illegal, versteht sich – einen schwunghaften Handel betreibt. Daher passt Renars besonders gut auf, kennt die Kniffe und Tricks, mit welchen es ihm gelingt, den Bütteln des Staatsapparats immer einen Schritt voraus zu sein.

So schafft er es auch, die junge finnische Theaterregisseurin Tina (Aamu Milonoff), die soeben für eine »Hamlet«-Inszenierung ans Haus gekommen ist, auf seine Seite zu ziehen: »Der KGB kümmert sich gut um jeden einzelnen hier«, warnt er sie. Und tatsächlich wird der Gastregisseurin schon sehr bald nahegelegt, dass der Hauptbösewicht des Stücks doch besser auf den Konsum von Alkohol verzichten solle. Immerhin bestehe die Gefahr, »dass das Publikum in der Figur unser Staatsoberhaupt erkennt«. Worauf die gewitzte Tina erwidert: »Sie glauben also, dass Genosse Breschnew Alkoholiker ist?«

Die Zeichnung der Serienfiguren ist ein wenig holzschnittartig geraten. Und doch scheint einiges von der Realität gar nicht so weit entfernt:

Die KGB-Männer sind skrupellose Heuchler und Stiefellecker, die jederzeit auch gegeneinander intrigieren und ausschließlich an ihrem eigenen Wohlergehen interessiert sind, während sie nach außen hin die Fassade wahren. (Männer also, wie man sie auch heute auf jedem FDP-Parteitag finden kann.) Gleichzeitig sind sie Witzfiguren: Sie tragen schlecht sitzende Anzüge und Hornbrillengestelle, und wenn sie sich während ihrer Bürozeit langweilen und sich unbeobachtet glauben, bauen sie auf ihrem Schreibtisch kleine Konstrukte aus Streichhölzern.

Weil Renars nicht spurt, wie er soll, wird er eines Abends verhaftet und in die Psychiatrie verschleppt, wo man ihn im Schnellverfahren diagnostiziert: Bei ihm liege eine »Fixierung auf Westkultur« vor, die sich schlimmstenfalls, wenn keine Besserung eintritt, gar zu einer »schleppenden Schizophrenie« entwickeln könne. Um den ersten Schritt in Richtung Gesundung zu tun, soll Renars erst mal die Anstaltstoilette gründlich säubern. »Arbeit befreit den Geist von unnötigen Gedanken.«

Doch wie es im Märchen manchmal eben so kommt: Die Nervenheilanstalt, die in Wirklichkeit natürlich ein von korrupten KGB-Ärzten geleitetes Gefängnis für unbotmäßige Skeptiker und Selbstdenker ist, wird für den gewieften Renars irgendwann zum Sprungbrett für eine Art Zweitkarriere im Knast: Auch ein KGB-Arzt kann schließlich schwer Nein sagen, wenn ihm (»für Ihre Frau«) ein Rührgerät aus westdeutscher Produktion versprochen wird. Weil der Tausendsassa Renars nicht nur ein guter Schneider ist und clever, sondern auch ein guter Geschäftsmann, produzieren er und die anderen Insassen des als Psychiatrie getarnten Gefängnisses bald für den Schwarzmarkt die im Realsozialismus heiß begehrten Jeanshosen.

Also alles drin: Liebesromanze, kreuzbrave Komödie, nachträgliche Realsozialismus-Verulkung, modernes Märchen. Und ein bisschen Propaganda für die alte Lüge des Westens, dass sich durchsetze, wer fleißig und clever ist und den Glauben an sich selbst nicht verliere. Die Leute mögen derlei ja. Auch formal ist die Serie konventionell. Kameraperspektiven oder Schnitttechniken, die von der Standardfernsehware abweichen, sucht man vergeblich. Der Dialogwitz bleibt bieder und das Produktionsdesign (drei Ladas auf der Straße, holzgetäfelte Geheimdienstbüros) erinnert an das der zahlreichen schlechten Filmkomödien aus deutscher Herstellung, die im Lauf der vergangenen Jahre ein verzerrtes und oberflächliches Bild der DDR zeichneten.

Was freilich den Rezensenten der »Frankfurter Allgemeinen« nicht daran hindert, die Serie »grandios« und »erfrischend ungestüm« zu finden: »Shakespeare für die Gegenwart«. Die »Süddeutsche Zeitung« stimmt auch mit ein: »perfekt ausgestattet«, »die unterhaltsamste Liebeserklärung an Freiheit und Eigensinn seit Langem«. Die zweite Staffel wird schon vorbereitet: »Sie spielt 1988 und zu guten Teilen rund um die Berliner Mauer; inzwischen steuert der korrupte KGB, der weiß, dass die sozialistische Ideologie gescheitert ist, selbst die Denimhehlerei« (»FAZ«). Ich bin schon so gespannt.

»Sowjet Jeans«, jetzt auf Arte

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