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Ozzy Osbourne: Stirnrunzeln und Augenverdrehen

Zum Tod des Black-Sabbath-Sängers und Heavy-Metal-Miterfinders Ozzy Osbourne

Der »Fürst der Finsternis« auf dem Monsters of Rock Festival 1984 in Großbritannien
Der »Fürst der Finsternis« auf dem Monsters of Rock Festival 1984 in Großbritannien

Im Alter von 13 oder 14 Jahren zum ersten Mal eine der frühen Schallplatten der britischen Rockgruppe Black Sabbath zu hören, kam einem epiphanischen Erlebnis gleich: Das waren nicht Abba oder Boney M, das war richtige Musik, wie sie sein sollte. Dabei war dieser wuchtige, schwerfällig rumsende, dunkel dröhnende Bluesrock Anfang der 80er Jahre praktisch schon antik – schon über zehn Jahre alt! Eine Musik wie schwerer, dickflüssiger, zäher schwarzer Schlamm, dargeboten von langhaarigen, lederjackentragenden Herumtreibern, die nicht dazu bereit waren, mit dem Feind (den Erwachsenen/den Eltern/den gesellschaftlichen Autoritäten) zu kollaborieren.

Aus dem Lied »War Pigs« konnte man erste Lektionen über das Wesen des Krieges lernen: »Die Politiker verstecken sich / Sie haben zwar den Krieg begonnen / Doch warum sollten sie losziehen und kämpfen? / Diese Rolle überlassen sie lieber den Armen, yeah.« Und zu dem schneidenden, hämmernden Riff von »Paranoid« sang beziehungsweise quengelte ein junger Mann, dass er ununterbrochen mit Stirnrunzeln beschäftigt sei, unzufrieden mit der Schlechtigkeit der Welt sei und große Schwierigkeiten damit habe, Vergnügen an irgendetwas zu empfinden. Womit er etlichen Teenagern aus der Seele sprach. (Was dazu hervorragend passte, war das der Op-Art entlehnte Logo der britischen Plattenfirma Vertigo, das als Label (das heißt: als kreisrundes Etikett) auf einer der beiden Schallplattenseiten angebracht war und das beim Hörer, wenn er beim Abspielen der Platte lange genug darauf starrte, ein Schwindelgefühl auslöste.)

Das waren nicht Abba oder Boney M, das war richtige Musik, wie sie sein sollte.

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Dieser überaus vernünftig wirkende junge Mann, der Rocksänger John Michael »Ozzy« Osbourne, der 1948 in einem trostlosen Arbeiterviertel in der Nähe von Birmingham geboren wurde und eine lieblose, von Armut und Gewalt geprägte Kindheit durchlief, sollte noch eine überraschend lange und durchwachsene Karriere vor sich haben. Nicht nur als Miterfinder des sogenannten Heavy Metal, einer neuartigen einflussreichen Rockmusikvariante, die seine Band Black Sabbath ersonnen hatte, sondern auch als »einer der würdigsten (soll sagen: wahnsinnigsten) Vertreter der ganzen Richtung« (Dietmar Dath).

Mit 15 brach er die Schule ab. Seine späten Teenagerjahre beschrieb er einmal so: »Ich hasste die Scheißwelt. Als ich die dummen Scheißwörter ›If you go to San Francisco, be sure to put a flower in your hair‹ hörte, wollte ich John Phillips [von der Folk-Band The Mamas and the Papas, der das Lied geschrieben hat] Scheißenochmal erwürgen.«

Ozzy machte Drecksarbeit in der Fabrik und in einem Schlachthaus, »bei der er Kuhköpfe ausnehmen und Innereien putzen musste« (»Taz«). Daneben betätigte er sich mit begrenztem Erfolg als Kleinkrimineller, bevor er schließlich, begeistert vom mitreißenden Sound der Beatles, den Beschluss fasste, sich dauerhaft dem Blues und dem Rock zuzuwenden und eine Laufbahn als Sänger anzustreben, was ihm schließlich auch gelang. Insgesamt acht Black-Sabbath-Alben entstanden zwischen 1970 und 1978 mit ihm, Ozzy, einer sich unermüdlich körperlich verausgabenden, greinenden und keifenden Bühnenattraktion. Viele Kilometer legte er so zurück, ruhelos hin- und herwandernd, während er den Kopf samt Haarmähne ekstatisch vor- und zurückwarf, manisch in die Hände klatschte oder wie ein menschlicher Gummiball über die Bühnenbretter federte. Gleichzeitig entwickelte er sich in diesen Jahren zum inoffiziellen Europameister in der Disziplin Drogennutzung.

»Anfangs wirkte Osbourne beinahe engelsgleich, wie ein jüngerer (…) Bruder von Jim Morrison. 1979 war er bereits ein fahriges, aufgeschwemmtes Wrack« (»Der Spiegel«). Im selben Jahr, 1979, war es dann auch soweit, dass Osbourne die Band Black Sabbath, die er maßgeblich geprägt hatte, wegen »künstlerischer Differenzen« mit seinen Kollegen verlassen musste, aber auch deshalb, weil er aufgrund seines über Jahre hinweg erhöhten Genusses illegaler Substanzen den Anforderungen des Tour- und Bandlebens nicht mehr gerecht werden konnte.

Er habe »Schwimmbecken voll Schnaps gesoffen, ganz abgesehen vom Kokain, Morphium, den Schlaftabletten, dem Hustensirup, LSD und Rohypnol«, teilte der Sänger viele Jahre später bezüglich seines zeitweise extensiven Drogenkonsums einmal mit. »Es gibt keinen plausiblen medizinischen Grund dafür, dass ich noch existiere. Vielleicht kann es die Genforschung erklären.« Danach gefragt, welche Jahre seines Rockstardaseins die schönsten gewesen seien, soll er einmal die sehr gute Antwort gegeben haben: »Die, an die ich mich erinnere.«

1980 konnte er, dank der Unterstützung von Sharon Arden, seiner Managerin und späteren Ehefrau, die sich um ihn kümmerte und ihn ermutigte, weiterzumachen, mit dem Album »Blizzard of Ozz« eine denkwürdige Laufbahn als Solo-Künstler beginnen. Musikalisch wendete er sich vom doom-metal-artigen Sabbath-Stil ab und einem eher mainstreamigen, Pop-Elemente aufnehmenden Hardrock zu, textlich ging es auf dem bewährten Pfad weiter wie früher: »Die Leute sehen mich an und sagen: Ist das Ende nah, wann ist der letzte Tag auf Erden? / Wie sieht die Zukunft der Menschheit aus? / Woher soll ich das wissen? / Ich wurde ausgemustert, ich bin verloren.«

Das Album war ein beträchtlicher kommerzieller Erfolg. Es folgten Tourneen durch die USA, in deren Verlauf es auch zu jenem mittlerweile hunderttausendfach kolportierten Ereignis kam, das bis heute die komplette Medienberichterstattung über den Sänger dominiert: Er soll auf der Bühne einer Fledermaus, in der Annahme, es handele sich bei ihr um ein Gummitier, den Kopf abgebissen haben.

Osbourne, der in dieser Phase auch eine Art offenen Kleinkrieg gegen seine einstigen Bandkollegen von Black Sabbath führte, inszenierte sich in der Folge auf Plattencovern und in den Medien bevorzugt als blutverschmierter, die Augen verdrehender Irrer mit rot-schwarzem Dracula-Cape und groteskem Grinsen im Gesicht, was langfristig ein Gutteil seines Erfolgsrezepts als Künstler sein würde und ihm die beiden Ehrentitel »Madman« und »Fürst der Finsternis« eintragen sollte.

Wobei sein zitatreiches Spiel mit Versatzstücken und Motiven aus dem Horror-Genre und dem Okkultismus (Vollmond, Kruzifixe, Vampire, Totenköpfe, Fledermäuse), das er großzügig ins Artwork und in seine Live-Shows integrierte, erfreulicherweise immer wieder christliche Fundamentalisten und andere Erzkonservative verschreckte. Fortan bestimmte nicht allein seine von wiederholten Drogenexzessen und Entzugsklinikaufenthalten begleitete Rocksängerkarriere sein öffentliches Wirken, sondern vor allem das Prinzip »The show must go on«.

Einen ganz neuen Weg schlug er ein, als er zwischen 2002 und 2005 seinen Alltag und den seiner Familie vom Sender MTV abfilmen ließ. Mit der überaus erfolgreichen Reality-TV-Serie »Meet The Osbournes« demontierte er seinen eigenen Mythos als harter Hund und böser Clown und schuf zugleich einen neuen: den des verwirrt-liebenswürdigen, schon sanft in Richtung Senilität gleitenden Familienpapas, der früher einmal ein bedeutender Rockstar war. Sein Reality-Soap-Star-Dasein schadete ihm nicht, im Gegenteil: Dass der Metal-Sänger, der eine große Vorliebe für das Wort »Fuck« hegte, sich als selbstironiefähiger Quatschmichel mit viel Humor erwies, vor den Kameras auch seine Schwächen ausstellte und sich bereitwillig an der Herstellung einer Karikatur von sich selbst beteiligte, brachte ihm viel Sympathie ein.

Am 5. Juli dieses Jahres hatte Ozzy Osbourne seinen letzten öffentlichen Auftritt: das endgültige Abschiedskonzert von Black Sabbath. Die Band hatte sich, wie schon einmal einige Jahre zuvor, in der Originalbesetzung zusammengefunden, um in ihrer Heimatstadt Birmingham eine abschließende Performance zu absolvieren. 45 000 Menschen waren im Publikum.

Weil der Sänger, der seit Jahren an der Parkinson-Krankheit und anderen gesundheitlichen Problemen leidet, nicht stehen konnte, hatte man ihn, wie es ihm gebührte, auf einem raumgreifenden schwarzen Thron Platz nehmen lassen. Von seinen Fans verabschiedete er sich, auch im Namen seiner Sabbath-Kollegen, an diesem Abend mit den Worten: »Eure Unterstützung über all die Jahre hat es uns überhaupt erst ermöglicht, den Lebensstil zu führen, den wir leben. Ich danke euch von ganzem Herzen.« Am Dienstagmorgen ist Ozzy Osbourne im Alter von 76 Jahren verstorben.

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