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Krieg mit unüberschaubaren Folgen
Israels Angriffe auf den Iran sind eindeutig völkerrechtswidrig. Ein Kommentar
Mit den landesweiten Angriffen auf den Iran weitet Israel sein Operationsgebiet für militärische Aggressionen aus. Nichts anderes als ein völkerrechtswidriger Angriffskrieg ist das, was die israelische Regierung und mit ihr befreundete Staaten verniedlichend als »Präventivschlag« bezeichnen und so suggerieren, dass der Iran morgen oder übermorgen selbst Israel mit einer Atombombe angegriffen hätte und Israel praktisch handeln musste. Tatsächlich gab es keine Hinweise auf einen unmittelbar bevorstehenden iranischen Angriff auf Israel, und nur dann wäre der Angriff Israels wohl völkerrechtskonform gewesen. Linksparteichef Jan van Aken spricht von einer »gefährlichen Eskalation«, die auch »nicht mit Selbstverteidigung zu rechtfertigen« sei. Aber westliche Staaten schlucken die Mär eines israelischen Staates, der sich lediglich verteidige: keinerlei Verurteilung des Vorgehens der israelischen Regierung, nur der routinehafte Aufruf zur Zurückhaltung an beide Seiten.
Am Sonntag sollte eigentlich im Oman weiter über das iranische Atomprogramm verhandelt werden. Die Vorstellung, dass Israel seine Drohung, die iranischen Nuklear-Einrichtungen zu zerstören, noch während laufender Vermittlungsbemühungen, wahr machen würde, lag zwar immer im Bereich des Möglichen, schien aber irrational und schädlich für eine Übereinkunft. Doch der israelische Regierungschef Benjamin Netanjahu hat nie Zweifel daran gelassen, dass er gar kein Interesse an einem Abkommen hat (an deren Ausgestaltung er auch nicht direkt beteiligt ist), um das Atomprogramm einzuhegen und unter rigorose internationale Kontrolle zu stellen, sondern dessen völlige Zerstörung. Die nuklearen Anlagen des Irans, die sich teilweise tief unter der Erde befinden, wurden zwar nicht vollständig zerstört, aber dafür höchstwahrscheinlich der Versuch, auf dem diplomatischen Weg ein Atomabkommen hinzubekommen.
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Die USA haben nach eigenen Aussagen zwar nicht aktiv mitgewirkt an den Luftangriffen, aber sie waren informiert, haben zuvor einen Teil ihres Botschaftspersonals aus dem Irak, Kuwait und Bahrain abgezogen sowie Israel mit hoher Wahrscheinlichkeit logistisch unterstützt, glauben viele Beobachter, zum Beispiel durch die Bereitstellung von Satellitenbildern und durch die Lieferung moderner Angriffswaffen. Dass die iranische Regierung zur Vergeltung wie angedroht US-amerikanische Einrichtungen im Mittleren Osten angreifen wird, dürfte zum derzeitigen Zeitpunkt eher unwahrscheinlich sein, weil der Iran dann in direkten Konflikt mit der US-Armee geriete.
Warum hat US-Präsident Donald Trump, der noch immer auf eine Verhandlungslösung mit dem Iran drängt, den israelischen Premier Netanjahu nicht von einem Angriff abgehalten? Will er damit militärisch den Druck auf den Iran erhöhen: Seht her, was euch passieren wird, solltet ihr einem Abkommen nicht zustimmen? Oder ist Netanjahu schon dermaßen beratungsresistent, dass er sich selbst von seinem wichtigsten Verbündeten nichts sagen lässt und ganz auf eigene Faust handelt? Waren die von Trump angestoßenen Verhandlungen für ein neues Abkommen womöglich nur eine Schauveranstaltung, inszeniert von der US-Regierung, um den Iran in Sicherheit zu wiegen vor einem lange geplanten Angriff durch Israel?
Die Folgen der israelischen Aggression sind nicht überschaubar. Das iranische Regime könnte nach diesen Angriffen seine atomare Doktrin offiziell ändern und nun erst recht alle Anstrengungen unternehmen, um an eine Atombombe zu kommen. Nur dann wäre das Land unangreifbar und das aus der Revolution von 1979 hervorgegangene System der Islamischen Republik sicher. Es ist klar, dass der Iran den israelischen Angriffen nichts entgegenzusetzen hat; eine funktionierende Luftabwehr, die die israelischen Bomber aufhalten könnte, gibt es offensichtlich nicht. Und die bisherigen Abschreckungsmittel – Hamas und die Hisbollah – sind aus dem Spiel. Das sagt auch viel aus über das jahrzehntelang nacherzählte Narrativ eines angeblich militärisch übermächtigen Iran. Das heißt, zur Abschreckung würde gemäß dieser Logik nur die Bombe helfen.
Freie Hand für die rechte israelische Regierung
Absehbar wird das iranische Regime den außenpolitischen Druck auch durch verstärkte innenpolitische Repression zu kompensieren suchen. Die Anzahl der Hinrichtungen sind schon jetzt auf Rekordniveau, und durch die Kriegssituation ist eine Radikalisierung des politischen Establishments der Islamischen Republik zu erwarten und eine Stärkung der Hardliner wahrscheinlich, wie man es schon während des Iran-Irak-Kriegs in den 1980er Jahren beobachten konnte. Es ist gut möglich, dass die israelische Regierung mit ihren Angriffen auch den Anstoß für einen Sturz der Islamischen Republik geben wollte. Doch es wäre wohl naiv zu glauben, dass die Tötung auch von Spitzenpersonal in Armee und Revolutionsgarden sowie von Nuklearphysikern das herrschende System so weit erschüttern könnte, dass es kippt. Bisher war der Ersatz von Führungspersonal und die Machttransition kein unüberwindbares Hindernis für das islamische Regime des Iran.
Die rechte israelische Regierung scheint freie Hand zu haben, in der Region nach eigenen Erwägungen militärisch anzugreifen, ohne dass dies irgendwelche Konsequenzen hat: vom Iran über Syrien und Libanon bis zum Jemen. Vom genozidalen Krieg im Gazastreifen gar nicht zu sprechen, der durch den neuen Kriegsschauplatz zumindest für einige Tage aus dem Blick der Weltöffentlichkeit geraten wird. Aus israelischer Sicht ist der Moment für den Angriff auf den Iran daher ideal, trotz der laufenden Gespräche zwischen den USA und dem Iran: Wegen des brutalen Vorgehens der israelischen Armee im Gazastreifen schien die Stimmung sich in den letzten Wochen zunehmend gegen Israel zu wenden, Kritik an der Regierung wurde immer lauter. Dies dürfte nun vorbei sein, insbesondere wenn der Iran zurückschlägt. Dann dürften die Unterstützer Israels wieder die Formel in den Mund nehmen, dass das Land sich ja schließlich verteidigen müsse.
Ein weiterer Effekt der Eskalation betrifft ganz konkret die Zukunft der Palästinenser: Am Dienstag kommender Woche startet am UN-Sitz in New York eine von Frankreich und Saudi-Arabien initiierte internationale Konferenz zur Zweistaatenlösung. Es wird erwartet, dass bei dieser Gelegenheit weitere Staaten mit Gewicht auf der internationalen Bühne Palästina als eigenständigen Staat anerkennen, unter anderem Frankreich. Angesichts der Ereignisse im Iran ist jedoch absehbar, dass das geplante Programm der Konferenz in dieser Form nicht umgesetzt wird. Die Trump-Regierung hatte potenzielle Teilnehmerstaaten bereits in dieser Woche von der Teilnahme »abgeraten«; Israel leistet mit der Eröffnung des neuen Kriegsschauplatzes im Iran seinen Teil, um das Ziel einer Zweistaatenlösung zu untergraben.
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