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Knirschen, nicht kategorisierbar
Das Caspar-Brötzmann-Massaker gab ein Konzert in Berlin-Kreuzberg: Mehr 80er-Jahre-Westberlin an einem Abend geht nicht
Das Caspar Brötzmann Massaker erkunde »die akustischen Phänomene abseits konventioneller Tonalität«, hieß es neulich im Musikmagazin »Visions«. Das ist gut formuliert. Darunter kann man sich etwas vorstellen. Man weiß dann sofort: Hier gibt es nichts zu holen für Menschen, die sich heiteren Sinnes im Viervierteltakt wiegen wollen. Die Rede war vom neuen Album der Band – dem ersten seit über 25 Jahren.
Caspar Brötzmann, Sohn des Free-Jazz-Saxofonisten Peter Brötzmann, gründete seine Band in Westberlin im Jahr 1986, zu einer Zeit, als der Punkrock zwar längst Vergangenheit, aber Westberlin noch ein Ort war, der ein Versprechen an alle Freunde des Nonkonformen war: Hier bin ich Randgruppenmitglied, hier darf ich’s sein. Der Wunsch, mit den Mitteln der Rockmusik auch einen möglichst ruppigen, nonkonformen Sound zu erzeugen, schien bei dem damals 24-Jährigen, der als junger Teenager Gitarristen wie Jimmy Page (Led Zeppelin) und Ritchie Blackmore (Deep Purple, Rainbow) verehrte, vorhanden gewesen zu sein. Man trieb sich gemeinsam mit den Einstürzenden Neubauten und Nick Cave in Westberlins Subkultur herum. Bis Mitte der 90er Jahre entstand eine Handvoll Alben, deren Titel auf eine Vorliebe für die Farbe Schwarz schließen lassen (»Black Axis«, »Der Abend der schwarzen Folklore«) und die Musik enthalten, »die kein Identitätsangebot schafft« (»Taz«). Live spielte die Gruppe im Vorprogramm von geistesverwandten Bands wie Sonic Youth.
Ende der 90er hatte die Band sich aufgelöst, nur ein paar Mal kam man für das eine oder andere Konzert noch zusammen. Doch vor ein paar Jahren ist der schroffe, schwerfällige, dröhnende Noise-Rock von Caspar Brötzmann vom US-amerikanischen Southern-Lord-Label, das spezialisiert ist auf schroffen, schwerfälligen, dröhnenden Noise-Rock, wiederentdeckt worden. Zwei der alten Platten erschienen in neuer Auflage.
Eine der Grundfragen Brötzmanns schien von Anfang an zu lauten: Was kann man alles mit einer elektrisch verstärkten Gitarre machen, um ihr brachiale Geräusche zu entlocken, zu denen man nicht tanzen kann? Seither arbeitet der Künstler mal mehr, mal weniger intensiv an der Beantwortung dieser Frage. Die praktischen Übungen scheinen dann in Musikstücke zu münden.
Derzeit spielt das Trio seine ersten Konzerte seit vielen Jahren. Eine neue Schlagzeugerin hat man auch, Saskia von Klitzing, die man bisher vor allem als Drummerin der Fehlfarben kennt. Am vergangenen Mittwochabend gastierte das »Massaker«, wie die Band sich selbst abgekürzt nennt, in Berlin-Kreuzberg. Im Publikum sieht man zahlreiche Träger von T-Shirts, deren Aufdrucke (Celtic Frost, Sleep, Brutal Assault, Ten Foot Pole) schon andeuten, welche Sorte musikalischer Reigen von den Anwesenden präferiert wird: Von Black Metal über Stoner-Rock und Doom Metal zu Hardcore. Die Dreieinigkeit des Hörens mit Schmerzen: dunkel, laut, wuchtig.
Wie auf Kommando beginnt das Konzert mit einem repetitiven Donnergrollen: Brumm, Bratzel, Brumm, Bratzel. Das geht zwei Minuten so. Man hat ja Zeit. Brumm, Bratzel. Dann tritt Brötzmann mit seiner E-Gitarre auf die kleine Bühne und brummbratzelt erst mal weiter. Mit seinen Fingern trommelt und klopft er beständig am Gitarrenkopf herum. Hier ist das Instrument nicht auf sein konventionelles Gitarrendasein reduziert, hier und heute darf es ganz Klangkörper sein und auch mal brummbratzeln oder Betonmischmaschinen- oder Flugzeugmotorengeräusche produzieren, wenn ihm (oder dem, der es handhabt) gerade danach ist. Schnell ist klar: Brötzmann ist noch der Alte.
Wie auf Kommando beginnt das Konzert mit einem repetitiven Donnergrollen: Brumm, Bratzel, Brumm, Bratzel. Das geht zwei Minuten so. Man hat ja Zeit.
Das Donnergrollen und Brummbratzeln geht merklich in andere, intensivere Geräusche über. Brötzmann schabt, scharrt, scheuert und schrubbt an seiner E-Gitarre herum und erzeugt ein Dengeln und Wummern. Was macht die Gitarre? Sie wimmert und grummelt gerade noch, aber gleich dröhnt und kreischt sie gleichzeitig. Das geht. Man glaubt es nicht, aber simultanes Dröhnen und Kreischen ist möglich, ich habe es selbst gehört. Das Schlagzeug und der Bass begleiten das Dröhnen perfekt, indem beide wiederholt zeitweise in stumpfen, archaischen Rhythmus verfallen. Das Rumsen der Rhythmusgruppe ergänzt das Quietschen der Gitarre perfekt. Natürlich kann oder will Brötzmann nicht singen, was der Musik ja auch nicht guttäte. Stattdessen schreit, jault oder deklamiert er Satzfetzen ins Mikrofon. Man versteht kein einziges Wort davon, aber das ist auch nicht nötig. Man spürt die Stimmung. Man ahnt, dass es sich um ungute Dinge handelt, von denen hier die Rede ist. Einmal versteht man das Wort »Breakdown«, was so viel heißt wie Zusammenbruch, Störfall, Maschinenschaden. Da weiß man: Ja, genau, so ist es. Manchmal scheuert er mit den Fingerknöcheln auf dem Gitarrensteg herum, als wolle er dort mit aller Gewalt einen unsichtbaren Fleck wegputzen. Auch das macht unangenehme Geräusche, an welchen dieser Abend insgesamt nicht gerade arm ist.
In den ruhigeren Momenten klingt das alles, als spiele ein desorientierter Neil Young auf Speed den atonalen Soundtrack zu einem bulgarischen Underground-Science-Fiction-Film aus den späten Siebzigern ein, in lebhafteren Passagen wie ein Swans-Konzert in den Achtzigern, das heißt: als höre man ein einziges nicht enden wollendes Auffahrunfallgeräusch, das von den Sirenentönen einer kaputten Alarmanlage begleitet wird, die sich nicht mehr abschalten lässt. Im späteren Verlauf des Abends ballt sich das akustische Geschehen zu einer Kakophonie aus beständigem Knirschen, Hämmern, Mahlen, Sägen, dem man sich irgendwann widerstandslos hingibt.
Zugegeben: Dieser mit Baustellenlärm untermischte Impro-Noise-Experimental-Rock, dem man seine Herkunft aus den permissiven 1980er Jahren anhört, mag nicht jedermanns Sache sein. Aber seien wir ehrlich: Andreas Gabaliers Bierzelt-Schlagermusik für Halbnazis ist ja nun auch nicht jedermanns Sache.
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