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- Ernst Jandl
t-t-t-t / t-t-t-t!
Vor 100 Jahren wurde Ernst Jandl geboren
»schtzngrmm / schtzngrmm / t-t-t-t / t-t-t-t«, so lauten die ersten Verse eines Gedichts aus dem Jahr 1957. Es dürfte – neben »ottos mops«, versteht sich – eines der bekannteren Werke des österreichischen Schriftstellers und Lyrikers Ernst Jandl sein. In dem Poem wurde der Krieg zur Abwechslung einmal nicht mahnend, anklagend, warnend (oder verherrlichend) zum Thema gemacht, wie man es bis dahin aus der Literatur gewohnt war, sondern akustisch wiedergegeben, in einer teils kaputtgegangenen, teils aber auch neu erfundenen Sprache, die sich von allem Schwulst befreit hat. So verweist das Gedicht, das aus verschriftlichten Gefechtsgeräuschen zu bestehen scheint und in dem Wörter zu Kriegslärm verfremdet werden, auf das, was der Krieg am Ende ist: eine Materialschlacht, ein Ort des maschinellen Tötens und Getötetwerdens.
Der Antimilitarist Jandl, der im postnationalsozialistischen Österreich einer verschwindend kleinen Minderheit angehörte, hatte gelernt, jenen Worten und Sätzen zu misstrauen, die den Krieg einst mit hervorgebracht haben. Der Sprache der NS-Propaganda, des Kitsches und der salbungsvollen Verkündigung sowie der Sprache der Belehrung und Erbauung setzte er das subversive Sprachspiel, die sprachliche Reduktion und das Zerlegen der Sprache in ihre Einzelteile entgegen, verfuhr also in der Tradition jener Dadaisten, die bereits 40 bis 50 Jahre zuvor ihre Art der Sprachzertrümmerung praktizierten. Tatsächlich sah sich Jandl selbst in der Tradition von Klangexperimentatoren wie Velimir Chlebnikow, Expressionisten wie August Stramm und Dadaisten wie Kurt Schwitters stehend, die er als eine Tradition der Normabweichung verstand.
Was natürlich bei den konservativen Literaturbetriebswächtern der deutsch-österreichischen Nachkriegszeit Irritation und Empörung auslöste. Der Lyriker Jandl, der eine sehr eigenwillige Sprache und Form für sich gefunden hatte, sei ein »Lyriker ohne eigene Sprache«, urteilte in den 1960er Jahren etwa der Suhrkamp-Verleger Siegfried Unseld, dessen Verlegerleben an Fehleinschätzungen nicht gerade arm war.
Neben den Gedichten verfasste Jandl auch essayistische Arbeiten, Prosa, Theaterstücke und Hörspiele. Darauf angesprochen, dass er einmal geschrieben habe, dass er »das Possierliche aus der Dichtung entfernen« wolle, antwortete er in einem Interview aus dem Jahr 1986: »Unser Leben folgt weitgehend bestehenden Normen. Und daher ist das Nichtnormierte, das der Norm sich Widersetzende oder das nicht Normierbare oder das, was sich von der Norm wegbewegt hat, das ist das Spannende, das ist das Interessante, ist also das, was einen beben machen kann.«
Dass der Mann nicht nur Repräsentant der experimentellen Dichtung der Nachkriegszeit war, sondern auch ein großer Humorist, mag dieses Gedicht aus dem Jahr 1954 zeigen: »sommerlied // wir sind die menschen auf den wiesen / bald sind wir menschen unter den wiesen / und werden wiesen, und werden wald / das wird ein heiterer landaufenthalt«. Wer das komisch findet und gerne weiterlachen möchte, dem sei an dieser Stelle das beste Hörspiel der Welt ans Herz gelegt. Es entstand 1976 und heißt »die humanisten. konversationsstück in einem akt«. Der Hörspielautor und -produzent Hermann Bohlen urteilt darüber wie folgt: »Es ist packend, radikal, schonungslos und kurz. Außerdem versteht man es schon beim ersten Mal. Es inspiriert, ermutigt, erhebt und begeistert. Kommt dabei aber mit ganz simplen Mitteln aus, drei menschlichen Stimmen und einem MG.« Hören Sie es sich bitte an. Tun Sie’s zu Ehren Ernst Jandls, der heute vor 100 Jahren geboren wurde.
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