- Kultur
- TV-Serie
»Boarders«: Gescheitelte gegen Gescheitere
In »Boarders« müssen fünf clevere Unterklasse-Teenies am Elite-Internat bestehen
Hübsch bunt ist da ja alles, und alles geht recht schnell, so schnell, dass diese kleine Serie über ein englisches Elite-Internat quasi ohne Schulunterricht auskommen muss. Es müssen ja so viele private Dinge geklärt werden, so viele persönliche Entwicklungen genommen, so viele pittoreske Freizeitaktivitäten in die Handlung eingebunden werden, wie sie ein Institut wie »St Gilbert’s« eben zu bieten hat: Menschen zelebrieren Tradition in frühneuzeitlichen Kostümen oder schleichen in Tarnklamotten durch den Wald, Teenager haben Sex im Mehrbettzimmer, zicken einander in viel zu schlagfertigen Dialogen an, setzen sich gegenseitig unter Drogen. Wenn der Elitenkarneval überdreht, suchen sich die moralisch verrottetsten Rich Kids einen Obdachlosen, begießen ihn grölend mit 100-Euro-Schampus und filmen sich dabei. Und wenn das Video an die Öffentlichkeit gerät, hat die Schule natürlich ein PR-Problem. Was tut sie also?
Lobt fünf Stipendien für Unterprivilegierte aus und lädt somit eine Handvoll schwarzer Jugendlicher aus South London zu sich ein, die natürlich unsere Helden sein sollen, vier Herren und eine (1) Heldin. Womit die fünf sich im Einzelnen qualifiziert haben, wird nicht ganz klar. Immerhin entpuppt Luftikus Toby sich im Laufe der ersten Staffel als Sprachgenie, der stoische Jaheim scheint Sportskanone und Computercrack gleichzeitig zu sein, und die übrigen drei haben ihre Startplätze wohl aus Gründen der TV-Erzählökonomie: Omar ist schwul und hat ein Faible für Geheimgesellschaften, wie sie in so einem Uralt-Internat zu vermuten sind; Leah ist eine Frau, superhübsch und kolonialismuskritische Aktivistin. Nummer fünf ist Femi, der keine großartigen Eigenschaften zu haben scheint, sondern einfach nur das schwarze Opfer als weiß gelesener Machtstrukturen abgibt: Auf keinen Fall anecken will er, Kontakte für seine berufliche Zukunft knüpfen will er, und seine Furcht ist diese: dass seine Familie ihn nach Nigeria schickt, wenn er sich nicht benimmt.
Mit unserem wöchentlichen Newsletter nd.DieWoche schauen Sie auf die wichtigsten Themen der Woche und lesen die Highlights unserer Samstagsausgabe bereits am Freitag. Hier das kostenlose Abo holen.
Fünf mehr oder weniger zentrale Figuren also hat die flotte Serie zu bieten, und für deren Entwicklung hat sie ganze sechs Episoden Zeit, bis jeder und jede mindestens einmal gesagt hat: »Ich musste lernen, meinen Egoismus zu überwinden.« Das geht alles zack-zack. Für existenzielle Selbsterkenntnis sind sechs Folgen Zeit. Für aufkeimende Liebe sind sechs Folgen Zeit. Für das Hinterfragen, Dekonstruieren und Restituieren diverser Freundschaften sind sechs Folgen Zeit. Für Rassismuskritik-to-go sind sechs Folgen Zeit. Dementsprechend wirbelt ein netter Cast zu nettem HipHop durch ein hübsches Farbschema und schmucke Schauplätze: Die reichen weißen Jungs haben Mittelscheitel und Alkoholprobleme, die Londoner Kumpels der Helden sind etwas rauere, doch urloyale Möchtegerngangster, die Diversitätsbeauftragten des Internats so fantasie- wie humorlose Trullas, und, tja, eigentlich sind sämtliche vorkommenden Frauen rechte Biester.
Da das eine Serie für junge Erwachsene ist, und da junge Erwachsene ja nur eine kurze Aufmerksamkeitsspanne haben, werden Konflikte so rasch beigelegt, wie sie aufgeworfen werden: Hej, gleich ist das nächste Fest, der nächste Robo-Fight, die nächste Gotcha-Battle in den ausgedehnten Wäldern um das Anwesen von »St. Gilbert’s« herum. Macht es Spaß, sich das anzuschauen? Ja, schon. Interessanter wäre natürlich eine Serie mit ein bisschen mehr Zeit, Zeit für die einzelnen Charaktere, Zeit auch für die eingewobenen Themen, die hier auf poppige Weise angetippt werden, bis in der letzten Folge die vier schwarzen Helden (und die eine schwarze Heldin) umständehalber in historischen Kostümen auf einer großbürgerlichen Säulenveranda posieren, als wäre es ein Ölbild über die Kolonialzeit – das ist schick, das ist slick, da hat Filmästhetik mal wieder über alles triumphiert, was Fragen hinterlassen könnte. Es ist ein weiteres hübsches Klischee in einer leicht verdaulichen Serie, die am Ende wenig beim Zuschauer auslöst, dafür aber einem Schauspieler den besten denkbaren Hintergrund liefert: Der bedächtige, introvertierte, intensiv mit sich kämpfende Jaheim (Josh Tedeku) bremst immer wieder das Tempo der Serie aus und öffnet sie dadurch seiner Tiefe und Präsenz. Jaheim ist das Gravitationszentrum, um das der ganze bunte Wirbel dieser Serie kreist, und falls man einem jungen Menschen wünschen möchte, dass er im Filmbusiness eine größere Karriere hat, Josh Tedeku hätte sie sicher verdient, aber er soll mal lieber etwas Ordentliches lernen.
»Boarders – Welcome to Gilbert’s« (ZDF neo) ist in der ZDF-Mediathek unter zdf.de abrufbar (und bitte nicht zu verwechseln mit »Borders«, einer israelisch-deutschen Dramaserie).
Wir sind käuflich. Aber nur für unsere Leser*innen.
Die »nd.Genossenschaft« gehört ihren Leser:innen und Autor:innen. Sie sind es, die durch ihren Beitrag unseren Journalismus für alle zugänglich machen: Hinter uns steht kein Medienkonzern, kein großer Anzeigenkunde und auch kein Milliardär.
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ unabhängig und kritisch berichten
→ übersehene Themen aufgreifen
→ marginalisierten Stimmen Raum geben
→ Falschinformationen etwas entgegensetzen
→ linke Debatten voranbringen
Mit »Freiwillig zahlen« machen Sie mit. Sie tragen dazu bei, dass diese Zeitung eine Zukunft hat. Damit nd.bleibt.