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Schleuserprozess: Freiheit für Marjan Jamali

Iranische Geflüchtete in Italien vom Vorwurf der Mitgliedschaft in einer Schlepperorganisation freigesprochen

Marjan Jamali nach ihrer Entlassung aus dem Hausarrest bei »Jungi Mundi« in Camini
Marjan Jamali nach ihrer Entlassung aus dem Hausarrest bei »Jungi Mundi« in Camini

Das Strafgericht im süditalienischen Locri hat am Montag Marjan Jamali, eine junge Frau iranischer Herkunft, vom Vorwurf der Schleuserei vollständig freigesprochen. Sie war im Oktober 2023 gemeinsam mit ihrem achtjährigen Sohn in Roccella Ionica an der kalabrischen Küste mit einem Flüchtlingsboot angekommen. Unmittelbar danach wurde sie festgenommen, da ihr vorgeworfen wurde, Teil einer Schlepperorganisation gewesen zu sein.

Die Justiz beschuldigte sie unter anderem, während der Überfahrt bestimmte Aufgaben auf dem Boot übernommen und Essen verteilt zu haben. Damit, so die Anklage, habe sie kriminelle Strukturen unterstützt. Die Staatsanwaltschaft forderte deshalb eine Haftstrafe von sechs Jahren für Jamali sowie Schadenersatz in Höhe von 15 000 Euro pro Person auf dem Boot – insgesamt über 1,5 Millionen Euro.

Im Verlauf des Prozesses wurden zwei Zeugen gehört, die gemeinsam mit Jamali die Überfahrt unternommen hatten. Sie bestätigten die Darstellung der Angeklagten, wonach sie selbst als Geflüchtete unterwegs gewesen sei und keine Rolle bei der Organisation der Fahrt gespielt habe. Zudem sei sie während der Überfahrt von drei Männern – im Beisein ihres Kindes – sexuell belästigt worden. Die Iraker hatten sie später als angebliche Schleuserin belastet – für den Prozess waren sie aber nicht mehr auffindbar.

Die Anklage stützte sich unter anderem auf ihre Mitgliedschaft in einer Telegram-Gruppe, die mutmaßlich von Schleppern genutzt wurde – laut Verteidigung ein schwaches und missverstandenes Indiz. Ihr Rechtsanwalt präsentierte im Prozess hingegen eine Quittung über eine Zahlung der Familie Jamalis an eine türkische Agentur – ein Beleg, dass sie ihre Überfahrt selbst finanziert hatte und somit als Passagierin reiste. Auch ein ägyptischer Migrant, der sich selbst als Bootsführer bekannte, sowie eine in Deutschland aufgespürte Familie bestätigten laut der italienischen Zeitung »Il Manifesto«, dass Jamali lediglich Passagierin gewesen sei.

Jamali war gemeinsam mit einem weiteren Angeklagten, Amir Babai, vor Gericht gestellt worden. Die beiden hatten bereits gemeinsam die Reise über die Türkei nach Italien unternommen. Babai wurde im Prozess ebenfalls durch Zeugen entlastet. Er hatte sich nach Aussage von Jamali auch bemüht, sie während der Überfahrt vor Übergriffen zu schützen. Gegen Babali verhängte das Gericht in Locri eine Haftstrafe von sechs Jahren und einem Monat sowie eine Geldstrafe von 1,5 Millionen Euro. Seine Verteidigung kündigte Berufung an.

Vor dem Gerichtsgebäude protestierten am Montag Aktivist*innen der Organisation Tre Dita gegen die Kriminalisierung politischer Flüchtlinge. Auch die kurdische Regisseurin und Aktivistin Maysoon Majidi, Präsidentin der Organisation, war zugegen. Sie war wegen ähnlicher Vorwürfe ebenfalls angeklagt und im Februar freigesprochen worden – sie hatte zuvor zehn Monate in Haft verbracht.

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»Geflüchtete sind keine Kriminellen. Der Begriff Schlepper ist bedeutungslos. Menschenhändler steigen nie selbst in die Boote – Geflüchtete dagegen riskieren ihr Leben«, sagte Majidi bei dem Protest vor dem Gericht. Sie verwies auf die Lage insbesondere im kurdischen Teil des Iran, wo laut der Menschenrechtsorganisation Hana im Jahr 2024 mindestens 124 Kurd*innen hingerichtet wurden. Jamali sei Opfer patriarchaler Gesetze in der Islamischen Republik, darunter jenes, das vorsieht, dass nach einer Scheidung das Sorgerecht für Kinder ab dem siebten Lebensjahr auf den Vater übergeht. »Marjan wollte nur in Frieden mit ihrem achtjährigen Sohn leben«, sagte Majidi weiter.

Allerdings war dies auch in Italien zunächst nicht möglich. Jamali war 598 Tage von freiheitsentziehenden Maßnahmen betroffen. In den ersten sieben Monaten im Gefängnis war sie von ihrem Sohn getrennt. Zusammen mit dem Kind wartete Jamali nach ihrer Entlassung aus der Untersuchungshaft im kalabrischen Bergdorf Camini auf den Ausgang des Verfahrens – anfangs noch mit einer Fussfessel und regelmäßigen Besuchen durch die Carabinieri. Erst im März 2025 wurden diese Maßnahmen aufgehoben.

Untergebracht waren Jamali und ihr Sohn in Camini im Rahmen des Aufnahmeprogramms »Jungi Mundi«, das von der Sozialkooperative Eurocoop betrieben wird. Das Projekt fördert die Aufnahme und Integration von Geflüchteten, insbesondere Familien und Minderjährigen, durch dezentrale Unterbringung und gemeinschaftliche Aktivitäten.

Das Modell zur Wiederbelebung entvölkerter und verfallender Dörfer ist international bekannt durch Caminis Nachbardorf Riace und dessen Bürgermeister Mimmo Lucano. Zusammen mit der Mailänderin Ilaria Salis kandidierte er vergangenes Jahr erfolgreich für die links-grüne Liste im Europaparlament. »Marjans Geschichte ist kein Einzelfall – sie spiegelt die Gewalt wider, die vielen Menschen durch ein System angetan wird, das Migrant*innen als existenzielle Bedrohung behandelt«, erklärt Salis am Dienstag gegenüber »nd«. Italiens Regierung wirft sie eine »unerbittliche Anti-Migrations- und rassistische Propaganda« vor.

»Ich bin sehr glücklich, dass alles vorbei ist, auch dank meines Anwalts. Jetzt will ich mich um die Zukunft meines inzwischen neunjährigen Sohnes kümmern. Dank des Projekts in Camini haben wir auch eine Unterkunft«, sagte Jamali zu »nd«. Zunächst möchte sie auch in dem Dorf bleiben und eine Arbeit finden. »Ich kenne inzwischen alle, und alle grüßen mich, wenn sie mich sehen. Sie helfen den Geflüchteten und haben auch mir sehr geholfen.« Sorgen macht sie sich um ihre Eltern, die im Stadtzentrum von Teheran leben. Diese seien vor den israelischen Bombardements in ein Haus der Familie in den Bergen im Norden der Hauptstadt geflüchtet.

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