»Wir verstehen die Katastrophe als strategischen Raum«

Ende August organisieren Klimaaktivisten das erste »Kollapscamp«, um solidarisch durch Krisen zu gehen

Preppen gibt es von rechts, von links – und von oben: Der Ratgeber des Bundesamts für Bevölkerungs- und Katastrophenschutz
Preppen gibt es von rechts, von links – und von oben: Der Ratgeber des Bundesamts für Bevölkerungs- und Katastrophenschutz

Sie veranstalten Ende August ein Kollapscamp. Warum soll das jetzt ein Thema für Linke sein?

Cindy Peter: In Krisen solidarisch zu handeln und gemeinsame Wege zu finden, damit es möglichst vielen besser geht, ist grundsätzlich ein Thema für Linke. Und genau darum geht es beim Kollapscamp.
Tadzio Müller: Viele Linke glauben, Katastrophe und Kollaps wären das Ende aller Kämpfe. Wir verstehen die Katastrophe aber als strategischen Raum, in der wir politisch handlungsfähig sein können – und müssen. Stichwort rechte Kollapsvorbereitung.

Warum sollte man im Sommer am Kollapscamp teilnehmen und nicht den Grundlehrgang beim THW besuchen?

Peter: Ein Grundkurs beim THW ist eine gute Idee, das Kollapscamp ist jedoch thematisch breiter aufgestellt. Es geht nicht nur um tatsächliche Katastrophenhilfe, zu der übrigens die Hilfsorganisation Cadus ein extra für uns entwickeltes mehrtägiges Training anbietet. Es geht aber auch um emotionale Arbeit, Selbstverteidigung, den Schutz von Demos und linken Orten, solidarische Stromversorgung und das Haltbarmachen von Lebensmitteln, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Wir waren beim Organisieren selbst überrascht, wie viele großartige Angebote uns gemacht wurden, die wir anfangs selbst gar nicht auf dem Zettel hatten.
Müller: Und darin liegt für uns auch das Besondere an unserem Camp: das THW in allen Ehren, die machen sehr wichtige Arbeit. Uns geht es aber nicht nur darum, dies und das zu lernen, was in der Katastrophe oder im Kampf gegen den Faschismus nützlich oder notwendig ist – es geht auch darum, einen Kristallisationsort für eine neue Bewegung zu schaffen, einer Bewegung, die für Gerechtigkeit in Katastrophe und Kollaps kämpft.

Interview

Das Kollapscamp findet vom 28. bis 31. August im brandenburgischen Kuhlmühle statt. Das dreitägige Programm reicht von Workshops zur Frage »Was tun im Hochwasser?« bis zur emotionalen Arbeit in Krisensituationen. Cindy Peter und Tadzio Müller waren bzw. sind lange in der Klimagerechtigkeitsbewegung aktiv. Sie sehen Kollapspolitik als deren teilweise Fortentwicklung an.

Mehr Informationen hier.

Und was unterscheidet euch von Hans-Peter mit dem Bunker im Vorgarten und der Knarre im Nachttischschrank?

Müller: Jetzt mal im Ernst: Die Idee rationaler Vorbereitung auf Krisen und Katastrophen immer in die rechte Prepper-Ecke zu stellen, ist doch auch langsam ein bisschen Retro. Es kommen in Polykrise und Kollaps halt Katastrophen auf uns zu, und wer sich nicht darauf vorbereitet, steht dann dumm da. Vorbereiten oder auch »Preppen« gibt’s daher in verschiedenen Geschmacksrichtungen: Individualistisches Fascho-Preppen, Standard-Preppen (was z.B. das Bundesamt für Bevölkerungs- und Katastrophenschutz vorschlägt), und jetzt endlich auch: solidarisches Preppen. Und beim solidarischen Preppen geht’s nicht primär um Vorräte, sondern um Beziehungen.
Peter: Wir wollen dafür sorgen, dass Hans-Peter keinen Bunker nur für sich baut und diesen mit der Knarre verteidigt, sondern dass er mithilft, Räume und Strukturen für viele zu schaffen, um im Fall von Katastrophen und der grundsätzlich drohenden Verschlechterungen unseres Alltags möglichst viele Menschen unterstützen und schützen zu können, sodass wir alle gemeinsam besser mit den kommenden Krisen und Katastrophen umgehen können.

Welche Inhalte sind euch beim Camp besonders wichtig?

Peter: Wir legen zwei Schwerpunkte: Einerseits emotionale Arbeit angesichts des Kollapses, in dem wir alle bereits stecken, damit Menschen nicht in Wut, Trauer, Verzweiflung und Überforderung feststecken. Andererseits praktische Angebote und Praxiswissen. Zum Beispiel: Wir werden lernen, wie wir gemeinsam Christopher Street Days gegen Naziangriffe verteidigen können, wie wir in einer akuten Katastrophe anderen helfen können, zum Beispiel im Hochwasser. Oder wie wir miteinander kommunizieren, wenn Telefon und Internet nicht da sind – zum Beispiel über Funk. Ich persönlich freue mich auf den praktischen Teil und werde mich auf dem Camp Orga-Arbeit verweigern (sorry, liebe Mitstreiter*innen), um bei möglichst vielen Workshops selbst teilnehmen zu können.
Müller: Mir persönlich sind die Inhalte wichtig, die sich auf meine eigenen Ängste und Sorgen in der Katastrophe beziehen: Der Anstieg queerfeindlicher Gewalt macht mir große Angst. Also würde ich gerne lernen, mich effektiv gegen Prügelnazis zu wehren. Ich bin HIV-positiv: Was passiert, wenn meine Medikamente nicht mehr so leicht lieferbar sind – welche Medikamente können wir auch selbst produzieren?

Was glaubt ihr, kann man vom Kollapscamp mitnehmen für den Aktivismus zu Hause?

Peter: Ganz grundsätzlich möchten wir Menschen den Einstieg in Themen eröffnen, die ihnen bisher vielleicht nicht so nahe lagen. Und zeigen, dass Aktivismus viele Facetten hat, die wir bisher noch gar nicht mitgedacht haben. Dass wir auch im Kollaps nicht handlungsunfähig sind und dass Preppen kein rechtes Hoheitsgebiet ist.
Müller: Beim Kollapscamp werden wahnsinnig viele neue Beziehungen zwischen solidarischen Menschen geknüpft werden, und da es beim solidarischen Preppen wie gesagt um Beziehungen geht, ist das schon einiges – endlich andere kennen, die nicht mehr verdrängen, sondern wieder gemeinsam handlungsfähig werden wollen.

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Welche positive Perspektive kann Kollapspolitik haben?

Peter: Selbstermächtigung und das Ablegen der gefühlten Ohnmacht angesichts der bereits laufenden und noch kommenden Katastrophen. Auch mit Blick auf die Klimagerechtigkeitsbewegung, die im Moment eindeutig einen schweren Stand hat, kann die Eroberung des strategischen Raums, der im Kollaps entsteht, ganz viel bewegen und hoffentlich neuen Schwung, neue Menschen und neue Ideen bringen. Immerhin gilt es ja nach wie vor, das System zu stürzen, um jedes Zehntel Grad zu kämpfen und den fossilen Kapitalismus ernsthaft herauszufordern.
Müller: Wenn immer mehr und immer heftigere Katastrophen auf uns zukommen, dann bedeutet das, dass Katastrophen immer wichtigere und wuchtigere politische Räume werden. Bisher bereiten sich, bis auf das oben bereits erwähnte THW vor allem faschistische Strukturen auf Katastrophen- oder gar Kollaps-Szenarien vor. Wir »Links-Grün-Versifften« haben denen da noch nichts, wirklich gar nichts, entgegenzusetzen. Solidarische Kollapspolitik hat die Perspektive, die Katastrophe – und das heißt eben: die Zukunft – den Nazis zu entreißen und in ihr wieder solidarisches Handeln massenhaft möglich und erlebbar zu machen. Das halten wir für einen Fortschritt.

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