Eine Kritik des Linkspopulismus

Ein gewinnbringender Beitrag für eine moderne sozialistische Partei aus dem Populismusbegriff ist unwahrscheinlich

  • Krunoslav Stojaković
  • Lesedauer: 7 Min.
Sahra Wagenknecht versuchte es beim Aufstehen-Projekt mit Linkspopulismus und ist mit dem BSW beim selbst ausgerufenen Linkskonservatismus angekommen.
Sahra Wagenknecht versuchte es beim Aufstehen-Projekt mit Linkspopulismus und ist mit dem BSW beim selbst ausgerufenen Linkskonservatismus angekommen.

Im politischen und wissenschaftlichen Diskurs in Deutschland ist der Begriff des Populismus umstritten. Seine Kritikerinnen und Kritiker betonen, dass er keine kohärente Ideologie habe, eine programmatische Variationsbreite aufweise und in erster Linie als Strategie des Machterwerbs verstanden werden müsse.

Daraus folgt in der hiesigen, dominant bürgerlichen und in weiten Teilen antikommunistischen politischen Debatte eine Fokussierung auf tatsächliche und vermeintliche Gemeinsamkeiten von Links- und Rechtspopulismus. Die an der Universität Münster lehrende Soziologin Karin Priester schrieb im Jahr 2012 in der von der Bundeszentrale für politische Bildung herausgegebenen Zeitschrift »Aus Politik und Zeitgeschichte«, dass beide Formen des Populismus eine »rigide Ausschließung der verschiedenen definierten Anderen von der Wir-Gruppe, also vom Volk« eine. Rechts- und Linkspopulisten würden die Illusion einer intakten Welt, des sogenannten Heartland, beschwören. »Wird aber dieses Heartland von Krisen und inneren oder äußeren Feinden – darunter auch den Eliten als Agenten des gesellschaftlichen Wandels – bedroht«, so Priester weiter, formiere sich »Populismus als reaktive, defensive Kraft«.

Priester räumt zwar ein, dass sich anhand von Inklusion und Exklusion zwischen Rechts- und Linkspopulismus unterscheiden lasse. Davon abgesehen seien die Gemeinsamkeiten aber frappierend: Polarisierung zwischen Volk und Elite, Opferattitüde, Nationalismus. Zwar lässt sich aus Priesters Argumentationsweise ein bürgerlich-staatstragender Duktus herauslesen. Auch bezieht sie sich in erster Linie auf den lateinamerikanischen Kontext mit seinen zumeist personenzentrierten, präsidentiellen Systemen. Doch selbst bei progressiven Autorinnen und Autoren fehlt die letzte analytische Überzeugungskraft beim Versuch, den Linkspopulismus eindeutig zu definieren und vor allem gegenüber seinem rechten Gegenpart strategisch und ideologisch klar abzugrenzen, um ihn für eine sozialistische Handlungsstrategie in Deutschland anwendbar zu machen.

Hierzu hat der Dresdner Politikwissenschaftler Kolja Möller einige ideengeschichtlich sehr anregende Veröffentlichungen vorgelegt, zuletzt eine umfassende »Gesellschaftstheorie« des Populismus unter dem Titel »Volk und Elite«. Doch auch Möller kommt trotz einer relevanten empirischen Basis und umfassender historischer Kontextualisierung zu dem Schluss, dass die Quintessenz des Populismus als Kommunikationsstrategie in einer zunächst unspezifischen Mobilisierung des Volkes gegen die Eliten liege, er ideologisch widersprüchlich sei und vor allem von rechten politischen Akteuren erfolgreich umgesetzt wird.

Eine linke Nutzbarmachung, dies wird deutlich, ist nur mittels permanenter Abgrenzungsbemühungen zu haben, insbesondere da der Volksbegriff vor allem in Deutschland so eindeutig nationalistisch eingefärbt ist, dass eine politisch-strategische Umdeutung kaum Aussicht auf Erfolg verspricht. Zudem verdeckt er aufgrund seiner gesellschaftspolitischen Vereinfachung und Fokussierung auf ein »Volk« den klassenkonstituierenden Grundwiderspruch zwischen Kapital und Arbeit. Auch ist seine ideologische Leere nur sehr schwer vereinbar mit sozialistischer Theoriebildung und dem ihr inhärenten Internationalismus.

Linkspopulismus als politische Zuschreibung gibt es zweifelsohne, insbesondere in Lateinamerika und Südeuropa sogar mit einigem, wenn auch nicht nachhaltigem politischen Erfolg. Wenig überraschend, dass die Hochphase der hiesigen Diskussion um das Für und Wider in der Zeit des Aufstiegs insbesondere der spanischen Linksbewegung Podemos und von Syriza in Griechenland lag. Auch erfolgreiche lateinamerikanische Beispiele wie in Venezuela, Chile und Uruguay wirkten sich auf die Begriffsrezeption in Deutschland aus. Die Frage ist allerdings, ob die gesellschaftliche und parteipolitische Linke einen Gewinn aus der Einführung und Nutzung dieses Begriffs ziehen kann. Hilft er bei den strategisch-theoretischen Bemühungen, Denk- und Organisationsblockaden zu überwinden, um sozialistische Inhalte besser und massentauglicher zu vermitteln?

Wie schwierig das Unterfangen ist, den Populismusbegriff fruchtbar in die linke politische Theorie und Praxis einzubringen, musste seit 2017 die Linke-Führung erfahren. In einem Zeitungsbeitrag aus dem Jahr 2018 beispielsweise versuchte die Ko-Parteivorsitzende Katja Kipping, dem Linkspopulismus in Form einer positiven Emotionalität in strategisch-kommunikative Zukunftsdebatten zu verhelfen. Dazu stellte sie eine Unterscheidung zwischen Rechts- und Linkspopulismus an, die zwar viel guten Willen und rhetorisches Geschick zeigte, allerdings in der politischen Praxis wenig Anklang fand und sich am Ende vollkommen von der Ursprungsintention löste. Auch aufgrund des politisch-medialen Diskurses, den die Parteiführung zu keinem Zeitpunkt zu steuern in der Lage war.

Der große Unterschied, so Kippings damaliges Argument, liege darin begründet, dass Rechtspopulist*innen nach unten treten (»Rechtspopulismus ist Rebellion auf den Knien vor den Herrschenden«), während der Linkspopulismus eine »Revolte des aufrechten Ganges« sei. Linkspopulist*innen agitieren und organisieren demnach die Armen und Ärmsten gegen die Superreichen und die politisch-ökonomischen Eliten, die für die Ausbeutungsverhältnisse ursächlich verantwortlich sind, statt die Schuldigen bei den Ärmsten unter den Armen zu suchen. So weit, so richtig. Doch die linken Versuche, den Populismus für eine sozialistische politische Praxis zu nutzen, kollidierten mit der politischen Realität jener Zeit, und die hieß: Corona-Pandemie, Aufstieg der AfD und Übernahme der medialen Diskurshoheit über die vermeintlich notwendige programmatische Wende der Linkspartei durch den neostalinistischen Flügel um Sahra Wagenknecht.

Der bürgerliche, weithinantikommunistische Diskurs fokussiert sich auf tatsächliche und vermeintliche Gemeinsamkeiten von Links- und Rechtspopulismus.

Allen voran Wagenknechts 2021 veröffentlichtes Buch »Die Selbstgerechten« verlagerte sowohl die innerlinke Debatte als auch die politisch-mediale Perzeption so, dass nachfolgend der Linkspopulismus nahezu ausschließlich im Zusammenhang mit Wagenknecht und den ihr nahestehenden Personen insbesondere aus der Bundestagsfraktion wahrgenommen wurde. Die Gründung des Bündnisses Sahra Wagenknecht (BSW) wird in der publizistisch-wissenschaftlichen Debatte folgerichtig als ein Produkt »der populistischen Wende« bezeichnet. Diese populistische Wende zeigte an, dass der Versuch, einen linken und inklusiven Populismus salonfähig zu machen, gescheitert war und der rigide und personenzentrierte Politikstil Sahra Wagenknechts die diskursive Oberhand insbesondere in den Medien gewann. Wagenknecht hatte schon mit der Aufstehen-Bewegung versucht, eine linkspopulistische Sammlungsbewegung zu etablieren. Ihre eigene Partei bezeichnet sie als linkskonservativ, diese sei weder rechts noch links.

Zu den intellektuellen Stichwortgebern des deutschen Linkspopulismus gehört der Wirtschaftswissenschaftler Wolfgang Streeck, der die »Verteidigung des Nationalstaats als Ort des Schutzes gegen die gesellschaftszerlegende Volatilität von Märkten und relativen Preisen« zur primären politischen Aufgabe erhob. Diese Argumentation ist nicht nur faktisch falsch und relativ schnell widerlegbar, sobald wir den Blick in die Nationalstaaten der kapitalistischen Peripherie schweifen lassen. Sie formiert zudem rassistisch konnotierte politische Behauptungen, wie sie sich etwa bei Sahra Wagenknecht finden, wenn sie in ihrem Bestseller selbstgerecht schreibt: »Wo jeder hinzukommen kann, gibt es kein Miteinander und auch keine besondere Hilfe füreinander. Und zwar aus einem ganz praktischen Grund: Jedes echte Solidarsystem muss die Zahl der Einzahler und Empfänger in einer gewissen Balance halten, um nicht zusammenzubrechen.«

Statt Klassenanalyse finden wir hier eine nationalistisch inspirierte Spaltung der Arbeiterklasse; ähnliche Tendenzen und Aussagen lassen sich in linkspopulistischen Organisationszusammenhängen europaweit finden. Gegen solche Positionierungen meldeten sich im jüngsten Bundestagswahlkampf auch Gewerkschafter zu Wort. Der Arbeitskreis Internationalismus bei der IG Metall distanzierte sich deutlich von Wagenknecht und in Bayern traten gewerkschaftlich organisierte BSW-Mitglieder aus Protest gegen den Rechtsschwenk aus der Partei aus.

Für eine sozialistische Organisation des 21. Jahrhunderts, und nur das kann die Lehre aus der Geschichte sein, ist der Internationalismus essenziell, gehört das Verständnis darüber, dass die Arbeiterklasse einen universellen Charakter aufweist, zur programmatischen Grundannahme. Der Linkspopulismus unterstellt der Arbeiterklasse einen Konservatismus und eine nationale Verbohrtheit, die in dieser Form nicht zutreffen und beispielsweise durch die Untersuchungen der Arbeitssoziologin Beverly Silver überzeugend widerlegt wurden.

Der Politologe Georg Fülberth schrieb 2015, dass es den Linkspopulismus nicht gebe, er eine Erfindung vor allem der politischen Rechten und der politischen Mitte sei, um linke Massenbewegungen zu diffamieren. Auch wenn wir einer solch weitreichenden Behauptung nicht folgen müssen, bleibt doch festzuhalten, dass ein gewinnbringender strategischer Beitrag für eine moderne sozialistische und internationalistische Partei und Bewegung aus dem Populismusbegriff unwahrscheinlich ist. In nahezu allen wissenschaftlichen Beiträgen zum Populismus wird hervorgehoben, dass er ideologisch undefiniert und substanzlos ist. Sozialistische Parteien können allein schon aufgrund ihrer ideologischen Disposition kaum populistisch sein.

Zudem orientiert sich der dominante bürgerlich-mediale Diskurs auf das Begriffspaar Links- und Rechtspopulismus, sodass – analog zum Konzept des politischen Extremismus – die politische Mitte als der eigentliche Ort vernünftiger Politik behauptet wird. Den Kern dieser Bedenken trifft der Trierer Sprachwissenschaftler Martin Wengeler in einem Aufsatz aus dem Jahr 2019: »Zu fragen wäre …, ob die inhaltlichen, ideologischen Unterschiede, gerade in punkto Inklusion und Exklusion bestimmter Gruppen an gesellschaftlicher Teilhabe sowie in punkto anti-aufklärerischer versus vernünftig begründeter Kritik an den Verhältnissen, nicht so entscheidend ist, dass die gemeinsame Bezeichnung als Populismus mehr Probleme als Erkenntnisse liefert.«

Insofern erscheint die gegenwärtige politische Strategie der Partei Die Linke, die eigene Organisation und den eigenen Habitus zu proletarisieren, den direkten Kontakt durch zeitaufwändige, aber essenzielle Gespräche mit den Menschen zu suchen, um die Bindekraft an die Klasse der Werktätigen zu erhöhen, als der erfolgversprechendere, da in der Tradition der internationalen Arbeiterbewegung stehende Weg.

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