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Böden in der Ukraine: »Ein eher unsichtbares Opfer«
Die Böden in der Ukraine sind durch den Krieg schwer und teilweise dauerhaft geschädigt
Kriege zerstören Städte und die Lebensräume der Menschen. Weniger bekannt ist, dass sie auch ganze Ökosysteme und die Böden vernichten.
Ja, Kriege zerstören Menschenleben und die Umwelt. Der Boden ist eher ein unsichtbares Opfer. Umso gravierender sind die Folgen. Die Ukraine gehörte nicht zufällig zu den weltweit größten Exporteuren landwirtschaftlicher Produkte. Sie hat unglaublich fruchtbare Böden. Diese Tschernoseme oder Schwarzerden enthalten große Mengen an Nährstoffen. Für mich ist der Boden zwar Objekt wissenschaftlicher Forschung, für uns Ukrainer*innen ist er aber Teil unserer nationalen Identität. Deshalb gehört es wohl auch zur Kriegsstrategie, den Boden als Lebensraum und identitätsstiftendes Merkmal zu zerstören.
Sie haben sich bereits vor der Vollinvasion Russlands mit den Böden in der Ukraine beschäftigt. Was haben Sie untersucht?
Ich habe meine Bodenforschungen begonnen, als die südöstlichen Regionen, besonders der Donbas, erstmals von Russland besetzt wurden. Damals war ich noch am Semenenko-Institut für Geochemie, Mineralogie und Erzbildung in Kiew. Unser Forschungsteam dokumentierte zu der Zeit erhebliche Bodenschäden durch militärische Aktivitäten. Vor dem Krieg gab es allerdings auch schon Probleme. Die intensive Landwirtschaft, Urbanisierung und die Industrialisierung führten zu Erdrutschen, Verdichtung und Schadstoffanreicherungen. Und dann gab es ja noch die Tschernobyl-Katastrophe. Durch sie wurden etwa fünf Prozent der Landesfläche radioaktiv verseucht. Der Donbas ist die am stärksten industrialisierte Region. Deshalb verursacht der Krieg dort hauptsächlich Schadstoffemissionen. Je nachdem, ob es sich um eine Stadt oder agrarische Landschaft wie Charkiw oder Mykolajiw handelt, unterscheiden sich die Bodenzerstörungen. Unabhängig davon beschäftigt mich besonders, wie sich Schwermetalle und andere giftige Substanzen im Boden anreichern und was mit ihnen dann passiert.
Dr. Anastasiia Splodytel ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Technischen Universität Braunschweig und untersucht die Folgen kriegsbedingter Bodenzerstörung in der Ukraine. Die Ergebnisse sollen dazu beitragen, nach dem Krieg die Umweltschäden zu beseitigen.
Wie wirkt sich der Krieg auf die Böden aus?
In der Ukraine wird fast das gesamte Arsenal an militärischer Ausrüstung, Waffen und Munition eingesetzt. Dadurch kommt es zu zwei Arten von Bodenzerstörung: mechanische und chemische. Mechanisch, weil Minen, Granatsplitter, hochexplosive, panzerbrechende und kumulative Geschosse – die haben eine besonders starke Explosionswirkung – Druckwellen erzeugen. Übrig bleiben tiefe Krater und Bodenumschichtungen. Auch Panzer und Schützengräben verursachen Bodenschäden. Durch Verbrennung und Detonation entstehen viele giftige und schädliche »Nebenprodukte«. Diese chemischen Stoffe verseuchen die Böden, das Grund- und Oberflächenwasser. Und dann gibt es noch die indirekten Zerstörungen. Als der Kachowka-Staudamm gesprengt wurde, überschwemmte der See eine riesige Fläche darunterliegender Gebiete. Unsere Forschungen zeigen, dass die Böden dort zehnmal höhere Schadstoffkonzentrationen aufweisen, als zulässig ist. Trotzdem leben dort Menschen. Ich bin mir sicher, sie nutzen das Land weiterhin landwirtschaftlich. Was das für sie bedeutet, liegt auf der Hand.
Können solche zerstörten Böden wiederhergestellt werden?
Möglich ist das. Das Problem ist aber, dass das sehr langwierig und komplex ist. Je nach Zerstörungsart und Kontamination gibt es physikalische, chemische und biologische Sanierungsmethoden. Manchmal ist es auch sinnvoll, die Böden sich selbst zu überlassen. Mit einem Schutzstatus dürfen sie nicht mehr bewirtschaftet werden. Damit hat die Ukraine bereits Erfahrungen nach der Tschernobyl-Katastrophe gesammelt. Sanierungen bedeuten aber nicht, dass die Böden wieder so werden, wie sie mal waren. Einige werden für die nächsten Generationen, vielleicht sogar in den nächsten 100 oder 1000 Jahren keine wertvollen Humusschichten mehr haben und bleiben kontaminiert. Zukünftig wird es eher darum gehen, die Schäden zu minimieren und neue Nutzungsmöglichkeiten für diese Flächen zu finden. Die minenverseuchten Gebiete müssen wenigstens wieder sicher werden. Allein das wird Jahrzehnte dauern. Die Ukraine gehört inzwischen zu den am stärksten mit Minen verseuchten Ländern der Welt.
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Wie geht die lokale Bevölkerung mit den Bodenzerstörungen um?
Bisher gibt es keine systematischen Untersuchungen über den Umfang der Zerstörungen oder umfassende ökologische und geochemische Bewertungen. Solange der Krieg andauert, wird das auch nicht möglich sein. Was wir bisher wissen, stammt aus Untersuchungen, die wir auf eigenes Risiko durchgeführt haben. Es fehlen auch Strukturen, um die Bevölkerung über die Umweltrisiken zu informieren. Doch egal, ob die Menschen die Gefahr verseuchter Böden kennen oder nicht, müssen sie die Flächen bewirtschaften – um zu überleben. Für manche endet das wegen der Minen im Acker tödlich. Auf externe Hilfe ist kein Verlass. Was sollen sie also tun? Hilfreich wäre zumindest, die Menschen über die lauernden Gefahren zu informieren.
Was gibt Ihnen die Kraft, trotz des anhaltenden Krieges weiterzuforschen?
Als ich damals meine Forschungen in der Sperrzone von Tschernobyl begann, wurde mir klar, wie paradox die Folgen solcher Katastrophen sein können. Eine gewaltige, menschengemachte Katastrophe verwüstete Hunderttausende Quadratkilometer Land. Heutzutage ist dort ein riesiges Biosphärenreservat, die Natur holt sich die Flächen allmählich zurück. Dieser Ort ist nicht nur ein Symbol der Zerstörung, sondern zeigt auch die Kraft der Natur. Wie auch in Tschernobyl können aus den derzeit zerstörten Regionen mit den verseuchten Böden vielleicht neue Schutzgebiete und Pufferzonen entstehen. Das hoffe ich und wünsche ich mir.
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