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Das Geisterhaus Flora: 21 Jahre Leerstand in Friedenau
Im Süden Berlins kämpft eine Initiative dafür, ein Haus wieder bewohnbar zu machen. Getan hat sich seit elf Jahren Einsatz wenig.
»Hier wohnt niemand. Höchstens der Fuchs ist da manchmal drin«, sagt Ingrid Schipper. Die pensionierte Lehrerin steht vor dem »Geisterhaus Flora« in Friedenau. Die Tür des Jugendstilgebäudes mit großflächigen Ornamenten auf der von der Witterung gezeichneten Fassade ist verriegelt, rotes-weißes Flatterband soll den Weg zu einem Kellerfenster versperren. Man habe die Bauaufsicht darüber informiert, dass das Kellerfenster kaputt sei und man einfach ins Haus kommen könne, berichtet Schipper. Das Flatterband sei wohl die Lösung des Problems gewesen.
Das Haus an der Kreuzung von Odenwaldstraße und Stubenrauchstraße steht seit 21 Jahren leer und verfällt immer weiter. Die Nachbarschaftsinitiative Friedenau setzt sich seit elf Jahren dafür ein, es wieder bewohnbar zu machen. Zwischen 40 und 50 Menschen könnten hier ein Zuhause finden. Ingrid Schipper hat die Gruppe mitgegründet. »Das ist alles bei einem gemeinsamen Frühstück von unserer Fußballgruppe vor elf Jahren entstanden«, sagt sie. »Am Anfang waren auch noch viele junge Leute dabei, die am liebsten direkt eingezogen wären. Mittlerweile sind wir schon eher eine Rentner*innengang, die überwiegende Mehrheit ist 70 plus.« Ihr und ihren Mitstreiter*innen ist es zu verdanken, dass das Geisterhaus stadtweit bekannt ist.
Die Rentner*innen sorgen immer wieder für Wirbel. Am Haus sind zahlreiche Banner befestigt. »Eigentum verpflichtet, hier wird es vernichtet«, steht auf einem. Und im ersten Stock sind von innen an die Scheiben Porträts von berühmten Frauen geklebt: Unter anderem Rosa Luxemburg, Mahsa Amini und Simone de Beauvoir blicken auf die Straße.
Die Banner hat die Initiative am 1. Mai angebracht. Vor einem Monat hat die Initiative das Haus kurz besetzt, um erneut auf den Zustand aufmerksam zu machen. Es war nur eine von vielen Aktionen der Senior*innen. Konzerte, Infoveranstaltungen und Lesungen habe man schon organisiert, berichtet Schipper. »Was uns wirklich zusammenhält, sind unsere Aktionen.« Denn Erfolg in ihrem Anliegen hatte die Initiative nicht. Auch nicht, seit sie dazu übergegangen ist, stärker auf die Institutionen der Stadt zu bauen.
Das Haus gehört einer älteren Dame, die es verfallen lässt. Man sehe zwar immer mal wieder Handwerker, berichtet Schipper, und zwischendurch sei auch mal ein Gerüst aufgebaut worden. Aber getan hat sich nichts. Der Zustand des Hauses verschlechtert sich immer weiter. Das Dach ist kaputt, im Treppenhaus fehlen alle Absturzsicherungen, Heizung, Wasser und Strom sind abgestellt und in einigen Wohnungen gibt es Wasserschäden. Nur einige Punkte aus einer langen Liste, die aus der Antwort des Senats aus dem Mai auf eine Anfrage des fraktionslosen BSW-Abgeordneten Alexander King hervorgehen.
Das Problem mit verfallenden Wohnhäusern geht über das Geisterhaus Flora hinaus. Auch hier war die Nachbarschaftsinitiative aktiv. »Zu Coronazeiten haben wir eine Sammlung von ›Problemimmobilien‹ gemacht«, sagt Schipper. Insgesamt habe man 80 Objekte gefunden, teilweise auch Einfamilienhäuser. »Aber 40 bis 50 richtig große Altbauten haben wir zusammengekriegt. Einige sind noch immer im gleichen Zustand.«
Leerstand von Wohnraum ist seit 2014 illegal. Damals führte der Senat das sogenannte Zweckentfremdungsgesetz ein. »Damit wird Wohnraum vor Zweckentfremdung durch Leerstand, Abriss und der Umwandlung in Gewerberaum oder Ferienwohnung geschützt«, heißt es auf der Homepage des Senats. Geholfen hat das im Fall des Friedenauer Geisterhauses nicht. Die Eigentümerin wurde das erste Mal 2015 aufgefordert, das Haus wieder bewohnbar zu machen. Auch Zwangs- und Bußgelder des zuständigen Bezirks Tempelhof-Schöneberg in Höhe von mehr als 200 000 Euro haben nicht dazu geführt, dass sie das Haus wieder bewohnbar gemacht hat.
Theoretisch gibt es seit einer Verschärfung des Zweckentfremdungsgesetzes 2018 die Möglichkeit, dass – falls sich ein Immobilienbesitzer weigert, Wohnraum wieder herzustellen – ein Treuhänder eingesetzt wird. Man könnte das auch eine vorübergehende Enteignung nennen. Der Treuhänder handelt anstelle des Eigentümers und saniert das Gebäude. Sollte der Eigentümer die dabei anfallenden Kosten nicht bezahlen, kann der Bezirk in Vorleistung gehen. Unter anderem deswegen scheuen die notorisch klammen Bezirke das Verfahren.
Auf Betreiben des Friedenauer SPD-Abgeordneten Orkan Özdemir und seines Parteikollegen Lars Rauchfuß wurde Ende 2022 ein Pilotprojekt dazu gestartet. Drei Häuser in Berlin, darunter auch das Geisterhaus in Friedenau, sollen treuhänderisch von einem landeseigenen Wohnungsunternehmen saniert werden. In einem Senatsschreiben vom September 2022 heißt es: »Sollte ein Bezirk ein entsprechendes Pilotverfahren anstreben, werden die zuständigen Senatsverwaltungen unterstützen und aus den dann generierten praktischen Erfahrungen soweit möglich allgemeine Handlungshilfen für weitere Treuhändereinsätze ableiten.« Auch eine finanzielle Unterstützung des Senats wurde wiederholt in Aussicht gestellt.
Der Bezirk hat sich der Sache angenommen. »Am Anfang lief das auch ganz flüssig«, sagt Ingrid Schipper. Aber in letzter Zeit, seit der Wiederholungswahl, nachdem das zuständige Amt für Stadtentwicklung von der CDU-Bezirkspolitikerin Eva Majewski übernommen worden sei, habe der Bezirk nur blockiert. Auf nd-Anfrage erläutert Majewski, warum das Projekt nicht vorankommt: »Die Einsetzung eines Treuhänders konnte noch nicht erfolgen, weil bei der Erarbeitung des Treuhändervertrages sowohl von Seiten des designierten Treuhänders als auch von Seiten des Bezirksamtes Rechtsfragen aufgetreten sind.« Diese Frage hätten weitreichende Konsequenzen sowohl im Hinblick auf die Ausgestaltung des Treuhändervertrages als auch bei der abschließenden Geltendmachung der Kosten bei dem Eigentümer, so Majewski.
»Der Bezirk beabsichtigt unverändert die Instandsetzung des Gebäudes durchzusetzen, vorzugsweise im Wege der Einsetzung eines Treuhänders«, erklärt die Bezirksstadträtin weiter. Ein Umstand der die Bearbeitung erschwert, ist die Personalsituation im Bezirk, erklärt Majewski. Dabei würde es schon helfen, vorhandene Stellen zu besetzen. Aber das ist für die Bezirksverwaltung schwierig, »da sie sich dabei nicht nur in Konkurrenz zur Privatwirtschaft, sondern auch zur Senatsverwaltung, zur Bundesverwaltung und schließlich zum Land Brandenburg befinden«, so die Bezirksstadträtin.
Der SPD-Abgeordnete Orkan Özdemir begleitet die Nachbarschaftsinitiative schon seit neun Jahren. Dass es mit der Instandsetzung durch einen Treuhänder nicht vorankommt, sei frustrierend, wie er im Gespräch mit »nd« sagt. »Eigentlich ist es ganz simpel: Es gibt eine neue Rechtsgrundlage und das Vorgehen muss erprobt werden.« Dass gegen das Vorhaben, einen Treuhänder einzusetzen, geklagt werden würde, sei von vorneherein klar gewesen, so Özdemir weiter. »Das war ja der Sinn der Sache: Dass das gerichtlich geklärt wird, um eine Grundlage für vergleichbare Fälle zu haben.«
Aber ohne bezirkliche Entscheidung keine Klage und damit keine Klärung. »Das Bezirksamt kommt immer mit dem Argument, dass das nicht rechtssicher sei. Aber das ist doch allen klar.« Es gebe eigentlich keinen Grund, dass der Bezirk sich so zurückhalte. Der Senat hat einen Treuhänder gefunden, wiederholt Finanzierung zugesagt. Das alles um, wie Özdemir sagt, klarzumachen: »Wenn jemand Wohnraum verfallen lässt, akzeptiert das Land Berlin das nicht.«
»Für die Zivilgesellschaft ist das tödlich, wenn solche Initiativen keinen Erfolg haben.«
Ingrid Schipper
Nachbarschaftsinitiative Friedenau
Deswegen sei Stadtentwicklungssenator Christian Gaebler (SPD) auch so sauer gewesen, dass es nicht vorangehe, so Özdemir. Gaebler hatte im April im RBB-Interview auf mehr Tempo gedrängt und ein Ende des Pilotprojekts angedroht. »Mein Eindruck ist, dass es den Bezirksämtern momentan wichtiger ist, kleinteilige Finanzströme zu regeln oder sich auf ihren rechtlichen Einschätzungen auszuruhen, als das Problem zu lösen, und dann sage ich: Dann bin ich irgendwann mit meinem Latein am Ende. Entweder die Bezirke kommen endlich in die Pötte, oder wir sind dann raus.« Wie die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung auf nd-Anfrage mitteilt, werden aktuell Gespräche mit den Bezirken vorbereitet. Wie es mit dem Pilotprojekt weitergeht, ist unklar.
Bezirksstadträtin Majewski bewertet die bisherige Zusammenarbeit mit der Senatsverwaltung hingegen positiv: Diese sei sehr konstruktiv. »So hat die Senatsverwaltung das Bezirksamt beispielsweise bei der Auswahl eines geeigneten Treuhänders und der anschließenden Erarbeitung des Treuhändervertrages unterstützt.«
»Es muss jetzt auch mal was passieren«, sagt Ingrid Schipper. Trotz des jahrelangen Stillstands macht die Initiative unermüdlich weiter. Während des Gesprächs mit »nd« hat die Aktivistin in ihrer Tasche einen riesigen Stapel Flyer, mit dem sie auf eine Petition hinweisen möchte. Schon Tausende hat die Initiative verteilt. »Wir fordern Bezirksstadträtin Eva Majewski auf, endlich vom gesetzlichen Instrument des Treuhändereinsatzes Gebrauch zu machen, um den jahrzehntelangen Leerstand des Jugendstilhauses Flora in Friedenau zu beenden«, heißt es darin.
Schipper berichtet, in der Initiative verspüre man schon einen negativen Effekt wegen der Hängepartie. »Die Nachbarn verfolgen das ja auch«, sagt sie. Die Konsequenz, die viele zögen, sei, dass man sich auf die Politik nicht verlassen könne. »Für die Zivilgesellschaft ist das tödlich, wenn solche Initiativen keinen Erfolg haben. Wenn der Eindruck entsteht, dass nur hingehalten, blockiert, verzögert wird.«
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