Die Demokratie dort retten, wo sie ihren Anfang nahm

In der Frankfurter Paulskirche debattierten Medienmacher, Gewerkschafter und Aktivisten darüber, wie sich der Rechtsruck aufhalten lässt.

  • Bernd Kraft
  • Lesedauer: 5 Min.
Ein geschichtsträchtiger Ort: Die Paulskirche in Frankfurt von innen.
Ein geschichtsträchtiger Ort: Die Paulskirche in Frankfurt von innen.

Wie lässt sich der voranschreitende Faschismus aufhalten? Mit dieser Frage beschäftigte sich am Samstag ein mehr als halbvoller Saal in der Frankfurter Paulskirche. Laut Veranstalter immerhin 400 Gäste. Eingeladen hatte die globalisierungskritische NGO Attac unter dem Titel »Den Abstieg ins Autoritäre stoppen! Die Rolle der Zivilgesellschaft in einer lebendigen Demokratie«. Zwischen den vielen grauen Haaren, augenscheinlich dem bürgerlichen Milieu angehörig, waren auch jüngere Menschen im Plenarsaal zu sehen.

Anlass für die Veranstaltung war die kleine Anfrage der Union zu Nichtregierungsorganisationen, die laut Attac zeigte, wie sehr rechtsextreme Narrative und Strategien inzwischen auch von Konservativen aufgegriffen und verfolgt würden. Insgesamt 551 Fragen hatte die Union Anfang des Jahres an die gescheiterte Ampel-Regierung zur Finanzierung von gemeinnützigen Organisationen gestellt. Mehrere von ihnen hatten kurz zuvor zu Demos gegen rechts aufgerufen.

Die Eröffnung übernahm der ehemalige Chefredakteur der »Süddeutschen Zeitung« Heribert Prantl. Er begann mit einer Lobesrede auf das Grundgesetz, erwähnte dabei unter anderem Artikel 20 Absatz 4, das Widerstandsrecht: »Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.«

In der Demokratie müsse ein kleiner Widerstand beständig geleistet werden, »auf dass der große Widerstand nie mehr notwendig wird«, sagte Prantl. Der Widerstand in der Demokratie heiße: Widerspruch, Zivilcourage, aufrechter Gang, Fridays for Future, Black Lives Matter oder Sea Watch und Sea Eye.

Seine durchaus inspirierende, in klassischem Prantl-Stil verfasste Keynote beendete er mit den Worten des römischen Dichters Ovid: »Glücklich ist, wer das, was er liebt, auch wagt, mit Mut zu beschützen.« Das sei ein gutes Motto für die Zivilgesellschaft. »Gönnen wir uns dieses Glück!«

Der ganz großen Frage durfte sich Natascha Strobl annehmen. »Wie stoppen wir den Rechtsruck?«, so der Titel ihres Vortrags. Die österreichische Politikwissenschaftlerin und nd-Autorin legte für die Beantwortung dieser Frage eine wichtige Grundlage: »Der Faschismus von heute ist nicht der Faschismus des 20. Jahrhunderts«, sagte sie vor dem Publikum. Der heutige Faschismus sei internationaler.

Da ist etwas dran, wenn man beispielsweise an die Konferenz der israelischen Regierung im März denkt, an der rechtsextreme Politiker*innen aus der gesamten Welt teilnahmen. Oder an die ehemalige französische Präsidentschaftskandidatin des rechtsextremen Rassemblement National Marine Le Pen, die um ihre Nähe zum russischen Präsidenten Wladimir Putin keinen Hehl macht. Oder an die AfD, die im vergangenen Bundestagswahlkampf offen vom rechten Multimilliardär Elon Musk unterstützt wurde.

Strobl versuchte, konstruktive Lehren für das Stoppen des Faschismus zu finden. Zum einen durch defensive Taktiken. »Jede Wahl ist eine Chance«, sagte sie. Doch momentan seien Wahlen vor allem ein Abwehrkampf. Das lässt sich durchaus so verstehen, dass man in ihren Augen den Faschismus einfach »wegwählen« könne. Jedoch ergänzte sie das auch mit offensiven Taktiken.

Der Mensch sei in ihren Augen gut, sagte sie unter Applaus. Es komme auf Solidarität an, auf das Zusammenleben, ob mit den Nachbar*innen oder in Hasenzuchtvereinen. Es sei wichtig, das wieder aufzubauen, was der Neoliberalismus die vergangenen 40 Jahre zersetzt habe: gemeinsame Strukturen.

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In einer letzten Runde saßen IG-Metall Vorstand Hans-Jürgen Urban, Elena Kountidou von den neuen deutschen Medienmacher*innen, Timo Reinfrank, Geschäftsführer der Amadeu-Antonio-Stiftung, und Natascha Strobel auf dem als Diskussion angekündigten Podium. Und tatsächlich gab es leichten Dissens: So musste Urban Strobls vorherigem Vortrag zumindest etwas widersprechen. Er sei sich nicht sicher, ob ihre Faschismusdefinition nicht zu weit gefasst sei.

Und während Strobl zuvor vom Neoliberalismus sprach, kritisierte der Gewerkschafter die zugrundeliegende ökonomische Basis: »Wer aber vom Kapitalismus nicht reden will, sollte auch vom Faschismus schweigen«, zitierte er einen der Väter der Frankfurter Schule, Max Horkheimer – natürlich zum Wohlgefallen des Frankfurter Publikums. Konkret fasste Urban die aktuellen Angriffe auf den Sozialstaat von der neuen Bundesregierung ins Auge, wie etwa die Lockerung des Acht-Stunden-Tages, der 1918 von der Arbeiterbewegung erkämpft wurde. Hier sieht er einen Zusammenhang mit dem Erstarken des Faschismus. Deshalb müsse auch dort angesetzt und die Menschen mobilisiert werden. Dafür sei die Frage der Produktionsverhältnisse zentral.

Timo Reinfrank von der Amadeu-Antonio-Stiftung konzentrierte sich vor allem auf Ostdeutschland und die Radikalisierung der CDU. Vor allem hier sei die AfD nicht nur stark, sondern habe auch viel Einfluss. Sie schaffe es, die anderen Parteien in Angst zu versetzen. Die CDU habe sich in Thüringen beim vergangenen Bundestagswahlkampf beispielsweise selbst abgeschafft, indem sie der AfD in ihren Positionen hinterhergerannt sei. Zwar sei Reinfrank für ein AfD-Verbot, jedoch dürfe man sich nicht darauf verlassen, weil solch ein Verfahren Jahre dauern würde. Deshalb sei es wichtig, die antifaschistischen Strukturen in Ostdeutschland zu unterstützen.

Zum Ende der Veranstaltung lässt sich das Fazit ziehen, dass eigentlich kaum Neues vorgetragen wurde. Die benannten Probleme sind bekannt, die vorgeschlagenen Lösungswege größtenteils ebenfalls. Das macht die Veranstaltung aber nicht unbedingt weniger relevant. Das Publikum zeigte sich am Ausgang der Paulskirche zumindest zufrieden – manch eine*r vielleicht auch selbstzufrieden.

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