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ASOG-Reform in Berlin: Überwachungsstaat in den Startlöchern
Schwarz-rote Koalition Berlins will Polizeirechte ausweiten – Linke kritisiert Totalüberwachung
Überwachungsstaat versus Grundrechte lautet die Frage, die derzeit im Berliner Abgeordnetenhaus diskutiert wird. Denn die schwarz-rote Koalition will, was Sicherheitspolitik betrifft, an einigen Stellen verschärfen. Für CDU, SPD und AfD ist klar: Um stärker zu überwachen, sind massive Einschnitte bei den Grundrechten der Berliner*innen vertretbar.
Dreh- und Angelpunkt schärferer Überwachungsmaßnahmen ist eine Novellierung des Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetzes (Asog). So soll die Polizei in mehreren Bereichen mehr Befugnisse als bisher bekommen, darunter zur Videoüberwachung an kriminalitätsbelasteten Orten (kbO) oder zur Telekommunikationsüberwachung. Das wäre die zweite Anpassung des Gesetzes seit dem schwarz-roten Regierungsstart 2023. Eine Lesung der Novelle im Parlament ist laut der Deutschen Presse-Agentur (dpa) für den 10. Juli geplant.
Dauerhafte Videoüberwachung ist künftig für die sieben Berliner kbOs, wie Kottbusser Tor oder Görlitzer Park, vorgesehen, an denen die Polizei bereits besondere Befugnisse hat. Dazu gehört, dass sie Personen anlasslos kontrollieren darf. Bei der Videoüberwachung durch die Polizei soll sie nun künftig Künstliche Intelligenz (KI) nutzen können, sagte der CDU-Fraktionsvorsitzende Dirk Stettiner der dpa.
Außerdem soll es künftig erlaubt sein, Aufzeichnungen aus Überwachungskameras der Berliner Verkehrsbetriebe erst nach 72 Stunden zu löschen. Bisher sind es 48 Stunden. Das sei zu kurz, weil sich in diesem Zeitraum Verbrechensopfer häufig noch nicht an die Polizei gewandt hätten, sagte SPD-Fraktionsvorsitzender Raed Saleh gegenüber dpa.
Laut Angaben des »Tagesspiegels« beinhaltet die Novelle außerdem eine rechtliche Sicherung des finalen Rettungsschusses. Damit wird Polizeibeamten erstmals gesetzlich erlaubt, ihre Waffe gezielt tödlich einzusetzen. Mehr Möglichkeiten bekommt die Polizei auch bei der Quellen-Telekommunikationsüberwachung (TKÜ). Dabei greift Überwachungssoftware (Staatstrojaner) direkt auf Geräte und Daten zu, bevor diese verschlüsselt werden. Das betrifft laut dpa zum Beispiel Telefonate über Anbieter wie Whatsapp, die bisher nicht verfolgt werden können.
Scharfe Kritik gibt es vonseiten der Linksfraktion. »Mit KI-gestützter Videoüberwachung, Verkehrsdaten- und Funkzellenabfragen zur Gefahrenabwehr wird es künftig kaum noch jemanden geben, der nicht von staatlichen Überwachungsmaßnahmen im öffentlichen Raum betroffen ist«, teilt der innenpolitische Sprecher der Linksfraktion Niklas Schrader mit.
Die beabsichtigte Quellen-TKÜ sei laut Schrader nicht nur ein tiefer Eingriff in die Intimsphäre der Betroffenen, sie führe außerdem zu IT-Unsicherheit. »IT-Systeme bleiben angreifbar, wenn Sicherheitslücken nicht geschlossen, sondern durch die Polizei ausgenutzt werden. Das ist unverantwortlich«, so Schrader. Der finale Rettungsschuss sorge zudem nicht für mehr Rechtssicherheit – die gebe es bereits. »Stattdessen droht die Hemmschwelle beim Einsatz von Schusswaffen durch die Polizei zu sinken.« Auch wenn einige Änderungen diskutierbar seien, habe die schwarz-rote Koalition durch die vielen eingriffsintensiven Befugnisse »jegliches Maß beim Schutz der Grundrechte verloren«.
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