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Mit Presserecht gegen die Meinungsfreiheit?
Yossi Bartal fragt, wie rechte Medien und politische Vereine die Pressefreiheit als Vorwand nutzen, um gegen unliebsame Demonstranten vorzugehen
Wer kennt das nicht? Man sitzt an einer Bartheke, der Blick bleibt an einem Fremden hängen – und plötzlich ist da dieses zögerliche Lächeln, gefolgt von den ersten schüchternen Small-Talk-Points: Wie heißt du? Wohnst du hier in der Nähe? Und irgendwann kommt sie unweigerlich, die Frage nach der Hauptbeschäftigung. Was machst du eigentlich so? Die Antwort darauf, vor allem in Berlin, fällt vielen gar nicht so leicht.
Denn die Zahl derer, die zwischen Jobs pendeln, Projekte wuppen und nebenbei noch Kunst machen oder die Welt retten wollen, wird immer mehr. Prekarität? Freiheit? Hängt maßgeblich davon ab, ob man reiche Eltern hat. Jedenfalls fällt mir auch die Antwort schwer, wenn es heißt: »Und – was machst du genau tagsüber?«
Zunehmend gestehe ich mir und anderen dennoch ein: Eigentlich bin ich Journalist. Dieser ungeschützte Berufsbegriff fasst am treffendsten zusammen, was ich die vergangenen Jahre für verschiedene Auftraggeber tue. Und doch kommt mein Satz manchmal ins Stocken, denn neben dem Schreiben und Recherchieren wie meine festangestellten Kollegen, trage ich auch andere Hüte: Regelmäßig arbeite ich mit Nichtregierungsorganisationen zusammen. Und auch mein politisches Engagement, auf der Straße und online, gehört zu mir. Manchmal kann es auch verwirrend sein, wo das eine aufhört und das andere anfängt.
Yossi Bartal ist seit 2006 ein begeisterter Wahl-Neuköllner. Aufgewachsen in West-Jerusalem lernte er früh, dass Selbsthass die edelste Form des Hasses ist. Mit einer gesunden Dosis Skepsis gegenüber Staat und Gesetz schreibt er für nd.Digital jeden dritten Montag im Monat über Parallelgesellschaften, (Ersatz-) Nationalismus und den Kampf für eine bessere Welt.
Denn Journalismus soll anders als reiner Aktivismus oder Interessenvertretung sein. Und wenn ich journalistisch unterwegs bin, so ist es auch mein Anspruch: kritisch, auch selbstkritisch zu bleiben, Fakten zu benennen, die vielleicht nicht ins eigene Weltbild passen und transparent mit meiner eigenen Voreingenommenheit umzugehen. So würde ich es falsch finden, über eine politische Aktion zu berichten, die ich selbst initiiert habe.
Diese Trennlinie zwischen Aktivismus und Journalismus wird jedoch von vielen ignoriert – und besonders eine Journalistengewerkschaft trägt aktiv zu ihrer Verwässerung bei. Das kommt vor allem in Berlin zum Ausdruck, wo seit Jahren die systematische Überwachung pro-palästinensischer Kundgebungen durch dezidiert pro-israelische Vereine und rechte Medien unter dem Deckmantel des Journalismus betrieben wird. Protestierende, die sich ihrer Observation entziehen möchten, werden hier reflexhaft als »Pressefeinde« denunziert.
Das Thema ist komplex: Zwar kann die stundenlange Dokumentation migrantisch geprägter Versammlungen durch Fotografen-Teams, die sich keine normale Zeitungsredaktion leisten kann, auch ein öffentliches Interesse darstellen. Tatsächlich finden sich in ihren nachfolgend stark editierten Online-Videos manchmal volksverhetzende und gewaltverherrlichende Aussagen, die unter Demo-Teilnehmern gefallen sind. Dennoch lässt sich fragen, ob ein Monitoring durch staatlich finanzierte Organisationen Journalismus darstellt oder eher einer verfassungsschutzähnlichen Überwachung ähnelt.
Man muss sich fragen, ob ein Monitoring durch staatlich finanzierte Organisationen Journalismus darstellt oder eher einer verfassungsschutz-ähnlichen Überwachung ähnelt.
Noch schwieriger wird es, wenn manche Akteure dieser pro-israelischen Szene nicht nur filmen, sondern sich Protestierenden aggressiv annähern und Wortgefechte mit ihnen suchen und das Ganze dann genauso aufdringlich aufnehmen. Auch provokatives Vorgehen kann in Ausnahmefällen journalistisch berechtigt sein, aber hier scheint etwas anderes dahinterzustecken.
Denn wenn bekannte Vertreter der Springer-Presse, deren Tochterfirma von Geschäften in israelischen Siedlungen profitiert, oder Mitarbeiter*innen von Vereinen, die das israelische Militär öffentlich loben, gezielt in palästinensische Proteste eindringen, dürfen sie sich kaum wundern, wenn dies gewaltsame Reaktionen hervorruft. Vor allem von Teilnehmenden, deren Familien aktuell israelische Kriegsverbrechen erleiden. In der Tat scheinen manche dieser mit Presseausweisen ausgestatteten Aktivist*innen sie sogar bewusst herbeiführen zu wollen.
Das kann man auch im Bericht der internationalen Organisation Reporter ohne Grenzen nachlesen, die die »Nahost-Demonstrationen« zum »gefährlichsten Ort für deutsche Journalistinnen im Jahr 2024« erklärt hat. Interessant ist jedoch, dass der Bericht erst im Kleingedruckten zugibt, dass sich von den 40 verifizierten Vorfällen 29 nur gegen zwei Personen richteten – einen streitsuchenden »Bild«-Journalisten und einen mit ihm zusammenarbeitenden »Fotojournalisten«, der für eine pro-israelische Organisation »vor Ort war«.
Das rechtfertigt natürlich keine Gewalt. Doch die Annahme, hier ginge es allein um Pressefreiheit, ist blauäugig – und nicht nur, weil die angeblich Betroffenen sich öffentlich mit einem Staat solidarisieren, dessen Militär in den vergangenen 19 Monaten fast 200 Journalist*innen in Gaza getötet hat. Vielmehr drängt sich der Verdacht auf, dass hier systematisch versucht wird, pro-palästinensische Proteste als gewalttätig zu framen – und damit ihre Versammlungsfreiheit zu untergraben. Tatsächlich berief sich die Polizei mehrfach auf vermeintliche Medienübergriffe, um Anti-Kriegs-Demos zu untersagen.
Ob diese politische Instrumentalisierung der Pressefreiheit wirklich im Interesse der meisten Journalist*innen liegt – egal welcher politischen Tendenz und ob freiberuflich oder nicht –, darf bezweifelt werden. Der einseitige Einsatz für diese Art der medialen Konfrontation – besonders durch den Berliner Landesgeschäftsführer der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in ver.di Jörg Reichel, der in einer offiziellen Mitteilung gewaltfreie Demonstrantinnen als »Hamas-Aktivistinnen« bezeichnete – stieß zuletzt zunehmend auf Kritik. Eine ernsthafte Debatte in Redaktionen und Berufsverbänden sucht man jedoch vergebens. Zeit, dies zu ändern.
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