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Iran und Israel: Wackliger Deal
Israel und der Iran stimmen nach anfänglichem Zögern der von Trump vorgeschlagenen Waffenruhe zu
Am Dienstag kurz vor Sonnenaufgang schien der iranisch-israelische Krieg genauso überraschend zu Ende zu gehen, wie er begonnen hatte. Ab 3 Uhr 30 würden die Waffen schweigen, verkündete Donald Trump knapp auf seinem Online-Nachrichtendienst Truth Social. Und richtete sich direkt an die Regierungen in Jerusalem und Teheran: »Bitte verletzen Sie das Abkommen nicht.« Die israelische Regierung bestätigte kurz darauf, die Angriffe auf den Iran einstellen zu wollen. »Wir haben zwei Länder, die so lange und so hart gekämpft haben, dass sie nicht wissen, was zum Teufel sie da tun«, maßregelte Trump die beiden Kriegsparteien.
Als die »Teheran Times« und andere iranische Medien die Existenz einer Absprache mit dem US-Präsidenten bestritten, glaubten viele Beobachter noch an ein Kommunikationsproblem in der Zwölf-Millionen-Stadt. Am Montag hatten riesige Rauchwolken über Teheran gestanden und die Bewohner in Angst und Schrecken versetzt. Israelische Kampfjets hatten das Hauptquartier der Revolutionsgarden und die Gebäude des Inlandsgeheimdienstes und der Basidsch-Volksmilizen ins Visier genommen.
Stippvisite in Moskau
Der am Montag von Istanbul nach Moskau gereiste iranische Außenminister Abbas Araqtschi schloss zwar die Fortsetzung der Atomgespräche unter Beschuss aus, plädierte aber auch für ein Ende des Konfliktes. Der Iran sei völkerrechtlich illegal angegriffen worden und baue auf den diplomatischen Beistand der Vereinten Nationen und befreundeter Länder, so Araqtschi. Die Aufforderung eines europäischen Diplomatentrios zur Rückkehr an den Verhandlungstisch beantwortete er mit Zynismus: »Als wir mit den USA verhandelt haben, wurden wir von Israel bombardiert. Als wir danach mit Europa verhandelten, haben US-Bomben die Diplomatie zunichtegemacht.«
Am Morgen rannten dann die Bewohner mehrerer israelischer Städte wieder in die Luftschutzbunker, wie so oft in der vergangenen Woche. Um 7 Uhr morgens schlug eine iranische Langstreckenrakete in einem Wohnblock der Stadt Beersheba ein. Die Bilanz waren vier Tote und 22 Verletzte, Rettungsdienste suchten auch am Mittag noch nach Vermissten. Zwischen 5 Uhr und 10 Uhr 30 gab es immer wieder Luftalarm. »Zwar sind die Zahlen der Opfer noch immer weitaus niedriger als im Iran und mit Gaza nicht zu vergleichen«, sagt Schaim, ein Student aus Jerusalem. »Aber alleine die Tatsache, dass so viele iranische Raketen nicht abgefangen werden können, schockiert viele meiner Freunde.«
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Am Grenzübergang zu Ägypten bildeten sich am Montag lange Schlangen. In Israel lebende Ausländer oder Touristen versuchen sich auf dem Landweg in den Urlaubsort Scharm El-Scheikh durchzuschlagen, da der Flughafen in Tel Aviv geschlossen ist. Israelischen Staatsbürgern ist es derzeit nicht erlaubt, das Land zu verlassen. Die Behörden möchten den Eindruck vermeiden, dass eine größere Ausreisewelle stattfindet.
»Die Regierungskoalition von Benjamin Netanjahu lehnt alles ab, was als Schwäche ausgelegt werden könnte«, sagt Ori Goldberg, ein Analyst aus Haifa. »Die Eskalation von Montagmorgen war also absehbar.« Verteidigungsminister Israel Katz kündigte als Antwort auf die Toten von Beersheba einen Angriff auf das Zentrum der iranischen Hauptstadt an. Die Zerstörung weiterer Regierungsgebäude oder Kasernen der bis zu einer Million Mann starken Paramilitärs könnte zu einem nur schwer zu stoppenden Kreislauf der Gewalt führen, der in eine weltweite Wirtschaftskrise führen könnte.
Revolutionsgarden warten auf den Einsatzbefehl
Das iranische Parlament hatte am Sonntag bereits die Sperrung der Straße von Hormuz beschlossen und damit den Export von rund 20 Prozent des weltweit produzierten Öls und Gases. Noch warten die Marineeinheiten der Revolutionsgarden auf einen Einsatzbefehl. Die Führung in Teheran will eigentlich nicht die deutlich verbesserten Beziehungen mit Katar, den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) und Saudi-Arabien aufs Spiel setzen. Deren gesamte Öl- und Gasproduktion hängt vom Nadelöhr Hormuz ab, einer bis zu 40 Kilometer breiten Meerenge. Schon der Raketenangriff auf eine US-Militärbasis in Katar war ein Schock.
Zwar war die US-Armee bereits sechs Stunden vor der iranischen Reaktion informiert worden. Doch schon das Spektakel von aufsteigenden Luftabwehrgeschossen und den Leuchtstreifen der iranischen Langstreckenraketen am Himmel über Doha ist für die Golfstaaten ein Paradigmenwechsel. Ein eskalierender Krieg gefährdete ihr Geschäftsmodell, das von Investitionen und Fachleuten aus aller Welt lebt und vom Ruf, sicher und fortschrittlich zu sein. Die Reisewarnung vieler europäischer Länder für die Golfstaaten hat zu hektischer diplomatischer Aktivität geführt.
Im Iran glauben nur wenige Menschen daran, dass Benjamin Netanjahu den Krieg beenden wird. Die Bombardierung der Innenstadt von Teheran wird als Beginn der Zerstörung aller staatlichen Strukturen gewertet. Erst am Sonntag, direkt vor dem Kriegseintritt der USA, waren viele Bewohner aus dem Umland zurückgekommen. Nur wenige Familien können sich das Leben als Flüchtlinge außerhalb der Stadt leisten, sie fürchten zudem um ihre Ersparnisse, die sie wegen der Sanktionen in Form von Bargeld oder Gold in Tresoren zu Hause aufbewahren. »Aus Angst, dass Teheran zu Gaza wird«, sagt die Studentin Ava »nd« am Telefon, »werden nun überall nationalistische Töne angeschlagen. Der Aufruf von Netanjahu an die Opposition, auf die Straße zu gehen und gleichzeitig zu bomben, war ein großer Fehler.« Ob die Feuerpause mehr als eine Atempause ist, bleibt offen.
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