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Schuldnerberater: »Finanzielle Allgemeinbildung« als Schulfach
Schuldnerberater fordern gesetzliche Regelungen und bessere Schulbildung
Über Geld spricht man nicht, über zu wenig Geld erst recht nicht. Dennoch werden weit mehr als eine halbe Million Menschen in diesem Jahr in einer Schuldnerberatungsstelle Rat suchen. Immer mehr Menschen verschulden sich – und das auch schon häufig in jungen Jahren. Verführerische Kreditangebote, Buy-Now-Pay-Later-Angebote (»Kaufe jetzt, zahle später«), Online-Kauf per Zahlungsanbieter wie Klarna & Co sowie steigende Mieten erschweren es vielen Verbrauchern, mit ihren finanziellen Mitteln klar zu kommen. Ein Grund dafür ist mangelnde Kenntnis in Geld- und Finanzangelegenheiten.
Jeder zehnte Erwachsene in Deutschland ist nach Angaben der Bundesarbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung überschuldet. Das sind rund 7 Millionen Überschuldete. Schulden sind für viele Menschen sehr belastend und der tägliche finanzielle Druck verhindert oft, klare Gedanken zu fassen. Doch nur jeder Zehnte geht zu einer Schuldnerberatungsstelle.
Gewarnt sei an dieser Stelle jedoch vor kommerziellen Beratungsstellen. Sie werben im Internet, in Tageszeitungen oder im örtlichen Werbeblatt um Kunden und versprechen oft das Blaue vom Himmel. Letztlich wollen sie aber selber Kasse machen. Dagegen gibt es bundesweit 1600 gemeinnützige(!) Beratungsstellen. Getragen werden sie von der Arbeiterwohlfahrt AWO, Caritas und Rotem Kreuz, von der Diakonie, Paritätischem Wohlfahrtsverband, von Kommunen und Verbraucherzentralen. In einer aktuellen Umfrage ihres Dachverbandes, der Arbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung der Verbände (AG SBV), stellen 63 Prozent der teilnehmenden Einrichtungen fest, dass die Nachfrage nach einer Schuldnerberatung deutlich gestiegen ist.
»Wenn wir mit jungen Leuten im Gespräch sind, berichten sie uns ganz direkt von persönlichen Erfahrungen mit digitalen Konsumangeboten«, sagte Thekla Gehrmann vom Diakonischen Werk Altholstein kürzlich während einer Online-Pressekonferenz. »Buy now, pay later sorgt schnell dafür, den Überblick zu verlieren.« Häufig fehle Verbrauchern einfaches Grundwissen.
Unter dem Motto »Beste Investition Finanzbildung – Wenn aus Minus Plus wird« warnen Schuldnerberatungsstellen bundesweit vor intransparenten Kreditangeboten, wachsender Unwissenheit in Geldangelegenheiten und daraus resultierender Überschuldung. Sie fordern von der Politik mehr finanzielles Engagement und eine stärkere Regulierung der vielen Anbieter, die sich auf dem Beratungsmarkt tummeln.
»Menschen, die frühzeitig im richtigen Umgang mit Finanzen geschult werden, haben ein wesentlich geringeres Risiko, in die Verschuldungsfalle zu geraten. Das gilt für junge wie für ältere Menschen«, sagt Roman Schlag, Sprecher der AG SBV. Ist es erst zu einer Überschuldung gekommen, benötigen Menschen einen schnellen Zugang zu einer kostenlosen Beratung. Deshalb fordert die AG SBV einen gesetzlichen Rechtsanspruch auf kostenfreie Schuldner- und Insolvenzberatung.
»Wenn wir mit jungen Leuten im Gespräch sind, berichten sie uns ganz direkt von persönlichen Erfahrungen mit digitalen Konsumangeboten.«
Thekla Gehrmann
Diakonisches Werk Altholstein
Damit es gar nicht zum Schlimmsten kommt, soll von Klein auf eine »finanzielle Allgemeinbildung« vermittelt und als Schulfach etabliert werden. Dass dies nicht reichen wird, um eine heile Geldwelt zu erzeugen, zeigt ein Blick auf den sogenannten Armutsnachteil. Ärmere Menschen sind auf dem Finanzmarkt strukturell benachteiligt. Das ist das zentrale Ergebnis einer von der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung geförderten Studie (»Der Armutsnachteil. Wie es um die Chancengleichheit am Finanzmarkt steht«).
Wie groß die Benachteiligung ist, zeigt ein für die Studie neu entwickelter Indikator: der Armutsnachteil. Er beziffert, wie viel Geld den rund 35 Millionen Erwachsenen, die zur unteren Vermögenshälfte in Deutschland gehören, im Vergleich zu Wohlhabenderen entgeht. Im Jahr 2024 lag der Armutsnachteil bei 525 Euro. Angesichts von oft nicht mehr als ein paar Tausend Euro an Vermögen ist das eine Menge Geld.
Die Portfolios Vermögensarmer sind renditeschwächer und sie zahlen höhere Produktkosten als Wohlhabendere. »Denn wer kaum etwas hat – und wir reden hier über die Hälfte der Bevölkerung und mehr – kann es sich kaum leisten, potenziell gewinnträchtige, aber auch schwankungsanfällige Anlagen zu wählen«, sagt Christina Schildmann, Leiterin der Forschungsförderung der Hans-Böckler-Stiftung. Die Untersuchung entlarvt damit den Mythos, private Altersvorsorge, wie sie im Koalitionsvertrag der neuen schwarz-roten Bundesregierung vorgesehen ist, könnte für alle gleich gewinnbringend funktionieren.
Eine seriöse Schuldnerberatung in Ihrer Nähe finden Sie auf der Internetseite der Bundesarbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung meine-schulden.de und auf der privaten Internetseite schuldnerberatung.de. Fragen Sie gegebenenfalls bei Ihrem Jobcenter, dem Sozialamt oder einer Verbraucherzentrale nach Kontaktdaten.
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