So viele Personen, so wenig Menschen

Die Feministin Gertrud Klemm wurde vom Verlag aus dem Band »Das Pen!smuseum« ausgeschlossen

  • Karsten Krampitz
  • Lesedauer: 2 Min.
Gecancelt: Gertraud Klemm wurde nach öffentlicher Kritik aus dem Sammleband »Pen!smuseum« ausgeschlossen.
Gecancelt: Gertraud Klemm wurde nach öffentlicher Kritik aus dem Sammleband »Pen!smuseum« ausgeschlossen.

Für den kommenden Bücherherbst verspricht der Grazer Leykam-Verlag einen »Befreiungsschlag«, ja eine »Offenbarung«, kurzum: »die Sensation des Bücherherbstes!« »Das Pen!smuseum« soll ein »literarisches Feuerwerk« sein, eine Anthologie mit Geschichten, die laut Klappentext »bitterböse, kompromisslos und dabei unfassbar lustig« sind. Als der Verlag nun Ende Mai auf Social Media das Buchcover zeigte, das unter anderem die Autorinnen aufzählte, folgte ein Shitstorm sondergleichen.

Und schon am nächsten Tag erklärte Leykam auf Instagram, man nehme jede Kritik ernst und habe sich durch jene an der Wiener Schriftstellerin Gertraud Klemm entschieden, »klare Konsequenzen zu ziehen und die Autorin nicht zu veröffentlichen«. Auf diese unfassbare Illoyalität des Verlags soll hier nicht weiter eingegangen werden, dafür aber auf den Anlass der Empörungswelle: ein Essay zum »identitätspolitischen Ballett im Feminismusdiskurs«, den Klemm 2022 im Wiener »Standard« veröffentlicht hatte.

»Ich bin jetzt eine Flinta*«, schrieb sie darin. »Gefragt hat mich zwar niemand. Aber das F im Kürzel steht für ›Frau‹ und meint mich mit; ich kann mich also nicht beschweren.« Zur Erklärung: Flinta ist ein Akronym. Das F steht für heterogene cis Frauen, L für Lesben und die weiteren Buchstaben für Menschen, die I wie intergeschlechtlich, N wie nichtbinär, T wie trans sind. Mit A für agender sind Leute gemeint, die sich keinem Geschlecht zugehörig fühlen oder das Konzept von Geschlecht ablehnen.

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Anfänglich sollte damit nur gezeigt werden, wer auf Veranstaltungen und in bestimmten Räumen willkommen ist. Gertraud Klemm kritisiert nun, dass dieser Neologismus mehr und mehr die linksfeministischen Diskurse dominiert. Wer dagegen »Frau« sagt, um die ganz normale, nicht auszurottende Geschlechterungerechtigkeit zu verbalisieren, gelte als transfeindlich und halte am Binären fest. »Egal ob Mädchenmord, Sexualverbrechen oder Gender-Pay-Gap: Es sind Flinta*s, die darunter leiden. Wenn ich sprachästhetische oder ideologische Bedenken habe und mich frage, was passiert, wenn die Kategorie Frau einfach so verschwindet – aber nicht die Kategorie Mann – bin ich unten durch. Dann krieg ich ein neues Kürzel verpasst: Fart oder Terf. Diskussion beendet.« Und genau das ist passiert, wenn auch mit drei Jahren Verspätung.

Der Transparenz halber: Der Autor hat auch schon mal eine Anthologie mit einem Text von Gertraud Klemm herausgegeben: »Drei Wege zum See oder Eine andere Stadt« im Klagenfurter Drava-Verlag. Im Übrigen wäre da noch ein anderes Wort, das in linken Papieren und Diskursen immer seltener Verwendung findet: der Mensch. Frei nach Alfons Petzold (1882–1923), dem österreichischen Arbeiterdichter: Es gibt so viele Personen auf der Welt und so wenig Menschen.

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