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Absage an die Idylle

Revolution auf dem Försterhof? Armin Petras setzt am Staatstheater Cottbus Leoš Janáčeks Oper »Das schlaue Füchslein« in Szene

  • Kai Köhler
  • Lesedauer: 5 Min.
Eine enorme Ensembleleistung: »Das schlaue Füchslein« am Staatstheater Cottbus
Eine enorme Ensembleleistung: »Das schlaue Füchslein« am Staatstheater Cottbus

Eine Füchsin als Opernheldin? Das ist nicht das einzig Ungewöhnliche an Leoš Janáčeks Oper. Eine durchgehende Handlung fehlt. Im ersten Akt wird die junge Füchsin vom Förster eingefangen, lässt sich aber nicht als Haustier halten. Sie flieht, um im zweiten Akt einen jungen Fuchs kennen- und lieben zu lernen. Im dritten Akt gibt es schon viele kleine Füchslein. Einmal aber ist die Füchsin gar nicht schlau, provoziert einen Wilderer und wird prompt erlegt.

Als »herzzerreißende Idylle« hat Milan Kundera die Oper bezeichnet, und das trifft viele ihrer Züge. Idyllisch ist die Gemeinschaft der Waldtiere, musikalisch sind ihre Balletteinlagen; berührend die füchsische Liebesgeschichte. Doch gibt es Gegenszenen der Menschenwelt, mit dem Förster und seinen Kumpanen. Sie zeigen ein Miteinander in der Provinz, wo man sich kennt, mehr oder minder gutmütige Sticheleien anbringt, ohne ganz böse zu sein. Diese Menschen altern halbwegs würdevoll; Kinder fehlen auf der Menschenebene. Die Natur dagegen stellt sich immer wieder her. Am Ende trifft der Förster eine Tochter der Füchsin, die er besser erziehen will; abgelenkt aber wird er von einem Frosch, der ihm, wie bereits einer in der ersten Szene, auf die Nase springt und stammelt, dass damals sei der Großpapa gewesen.

Die ewige Natur als Trost des endlichen Menschen – das konnte man schon bei der Uraufführung 1924 unter Ideologieverdacht stellen und ist ein gutes Jahrhundert später vollends problematisch geworden. Die Cottbuser Inszenierung verweigert denn auch den idyllischen Wald. Im Zentrum des Geschehens (Bühnenbild: Natascha von Steiger) steigt eine angeschrägte Holzfläche empor, begrenzt von einem wie improvisiert zusammengenagelten Lattenzaun. Das wirkt so vorläufig wie gewollt hässlich. Von Beginn an ist die Natur kaputt, und an diesem Beginn ereignet sich ein Gewaltakt: die Entführung der Füchsin.

Das ist einerseits richtig, und die Inszenierung von Armin Petras betont dieses Einerseits. Förster, Försterin, Wirtin, Schulmeister – bei ihm sind sie alle bösartig. Im Schlussakt liegt aus irgendwelchen Gründen noch der Wirt als Leiche herum, und ein hinzuerfundener Polizist schurigelt den Försterhund. Ist das Gesellschaftskritik? Jedenfalls beseitigt es mit der Idylle auch das Herzzerreißende, das Kundera der Oper zugeschrieben hat. Und damit fällt auch jedes Mitempfinden mit diesen Brutalos weg; mögen sie altern und – hoffentlich bald – sterben: umso besser!

Die Musik hat es da nicht leicht. Janáček hat sich große Mühe gegeben, mit seinen Sprachmelodien feinste emotionale Schattierungen wiederzugeben. Die Regie lässt dem wenig Raum. Entsprechend klingen die Protagonisten der Menschenwelt. Andreas Jäpel als Förster verfügt über eine eindrucksvolle Stimmkraft, singt außerordentlich textverständlich, kann aber die vielen Aspekte seiner Figur nicht wiedergeben. Ja, der Förster raubt die Füchsin mit Gewalt; aber nein, er bleibt von dem freiheitsliebenden Tier fasziniert. In der Schlussszene, in der sich der Förster mit seinem Altern konfrontiert, findet Jäpel feinere Abstufungen; aber die Figur war von der Regie zuvor allzu festgelegt, als dass man ihr noch eine Wandlung abnehmen würde. Überdies ist ein Teil der Szene wieder mit Videoprojektionen (Maria Tomoiagǎ) überfrachtet, wie sie bereits zuvor die ausgedehnten Orchesterpassagen zur Begleitmusik reduzierten.

Überhaupt hat das Orchester keinen leichten Stand. Das Philharmonische Orchester des Staatstheaters Cottbus arbeitet unter der Leitung von Johannes Zurl durchaus Schönheiten der Partitur heraus, darunter wunderbare, an den Impressionismus erinnernde Klangmischungen. Doch im Gegensatz zur Regie, die Krassheiten hervorhebt und gern auch hinzufügt, vermeidet Zurl orchestrale Zuspitzungen. Sogar die Liebe von Füchsin und Fuchs klingt recht dezent.

Zum Klang gehört auch, dass in Cottbus auf Deutsch gesungen wird. Das ist ein Problem, denn Janáček hat seine Sprachmelodien durchs genaue Hören aufs Tschechische gefunden und vermag so feinste Wendungen der Gefühle wiederzugeben. Zudem hört man die alte Übertragung von Max Brod, die Inhalte verändert, und zwar nicht zum Klügeren. Brods Fassung lässt die Menschenwelt platter erscheinen, als sie im Original ist.

Und stimmt überhaupt die Entgegensetzung von rigider Menschenordnung hier, freiem Tierleben dort? Die junge Füchsin hetzt, um sich im Tumult zu befreien, die Hennen auf dem Försterhof zur Revolution auf. Sie beißt aber kurz vor ihrer Flucht, gut füchsisch, die Hennen noch zu Tode. Im zweiten Akt liefert ihr Geliebter Kaninchenfleisch als Werbegeschenk ab. Und zum Mörder der Füchsin wird zuletzt ein Landstreicher und Wilderer – offenkundig ein Feind der Honoratioren, mit denen der Förster sich betrinkt.

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Wie immer sind die Verhältnisse widersprüchlich, eine anarchische Revolte ist keine Revolution, Gewalt findet auch zwischen den Unterdrückten statt – das Werk ist politisch klüger als seine politisch engagierten Interpreten. Die Frage bleibt, was man heute damit macht.

Ein Extrem markiert Clara Weydes Magdeburger Inszenierung von 2024, wo der Wald ebenfalls von Beginn an kaputt ist und man den Förster gut versteht, wenn er sich am Ende die Kugel gibt. Am anderen Ende findet sich Katharina Thalbachs seit vielen Jahren an der Deutschen Oper Berlin erfolgreiche Version, die viele fantasievoll gestaltete Waldtiere aufbietet und Gefahr läuft, dass das Publikum sich lediglich am Hübschen erfreut. Aber mag auch das Positive verdächtig geworden sein: Ohne dies geht es nicht, besonders bei diesem Werk. Sonst finden die emotionalen Schattierungen, mit denen Janáček musikalisch auch die Menschen ausgestattet hat, keine szenische Entsprechung. Und wie lässt sich die drohende und bereits weit fortgeschrittene Zerstörung der Natur verdeutlichen, wenn man sie von Beginn an als kaputt sieht? Schließt nicht Janáčeks Behauptung von der Ewigkeit der Natur – so fragwürdig sie erscheint – nicht auch ein Bild einer möglichen Zukunft ein, das politisch notwendig ist?

Diese Schlussapotheose gehört in Cottbus dem Orchester, das hier einen kraftvollen Zugriff findet und von der Regie nicht weiter gestört wird. Die Aufführung wird auch von Anna Martha Schuitemaker als Füchsin getragen, die inmitten von Bosheit und Niedergang die Möglichkeit eines besseren Lebens verkörpert. Entsprechend lässt ihr die Regie mehr Freiraum, und Schuitemaker nutzt diese, um die mannigfaltigen Schattierungen dieses Charakters zu profilieren. Unterstützt wird sie von den Ensemblemitgliedern des Staatstheaters Cottbus, das die zahlreichen kleineren und mittleren Rollen gut zu besetzen vermag.

Nächste Vorstellung: 11.7., Wiederaufnahme in der kommenden Spielzeit
www.staatstheater-cottbus.de

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