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Gaza: Israelische Kontrolle als Werkzeug der Unterdrückung
Wie die Infrastruktur zentrales Instrument der Unterdrückung der Palästinenser wurde, beleuchtete eine Konferenz in Berlin
Die humanitäre Katastrophe in Gaza wird in der internationalen Öffentlichkeit ständig thematisiert, weniger jedoch ihre polit-ökonomischen Hintergründe. Dabei haben Israels Premier Benjamin Netanjahu und US-Präsident Donald Trump bei ihrem Treffen in Washington am Montagabend erneut ganz offen über Pläne zur »Rekonstruktion« Gazas und zur »Umsiedlung« der überlebenden Bewohner kommuniziert.
Den Blick auf den seit 20 Monaten andauernden Genozid in Gaza um die polit-ökonomische Dimension zu erweitern, war Ziel eines zweitägigen Symposiums am Wochenende. 500 Teilnehmende kamen dafür im Gebäude der Spore-Initiative in Berlin-Neukölln zusammen und diskutierten über historische Kontinuitäten von rassifizierter Arbeitsteilung, Ausbeutung sowie Handelsbeziehungen und Kapitalinteressen.
Auf einem Panel, dessen Teilnehmer*innen unter anderem die Kontrolle und Ausbeutung palästinensischer Arbeitskraft seit 1948 besprachen, kritisierte Riya al’Sanah von der Initiative Workers in Palestine, die humanitäre Situation in Gaza werde »abgekapselt von einer historischen und breiteren regionalen, anti-imperialen Perspektive diskutiert«. Dabei sei klar, »dass Jahrzehnte von kolonialer Herrschaft die Abhängigkeiten und Fragmentierung, die wir heute sehen, produziert haben«. Klassenfragen gerieten so aus dem Blickfeld. »Das macht die Handlungsmacht der Palästinenser*innen unsichtbar«, so al’Sanah.
Deutlich wurde: Das Halten in Abhängigkeit und die Fragmentierung palästinensischer Gebiete begann nicht erst mit der Staatsgründung Israels 1948. All das hat Kontinuitäten bis in die Zeit des britischen Mandats in Palästina. Anhand von Archivdokumenten rekonstruierte Tariq M. Suleiman in einem Vortrag, wie in dieser Zeit Nutzungsrechte für Energieinfrastruktur und Ressourcen gezielt an Zionisten wie den Ingenieur und Unternehmer Pinhas Rutenberg vergeben wurden. Dieser bekam 1921 das Nutzungsrecht für die Wasserkraft aus dem Jordan und dessen größtem Nebenfluss Yarmuk. Mit der 1923 gegründeten Palestine Electric Corporation, die heutzutage die Israel Electric Corporation ist, baute er Elektrizitätswerke und Dämme. Die so aufgebaute Infrastruktur war für die Gestaltung der jüdischen Siedlungen und der geografischen Dimensionen des zukünftigen Staates Israel ausschlaggebend.
Das Halten der Palästinenser in Abhängigkeit und die Fragmentierung ihrer Gebiete begann lange vor der Gründung des Staates Israel. Das zeigen Dokumente aus den 1920ern.
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Heutzutage ist der Stromkonzern ein zentrales Instrument der Kontrolle und Ausbeutung der palästinensischen Bevölkerung. Israel schuf gezielt Abhängigkeiten von überlebenswichtiger Infrastruktur wie Energie und Wasser. 2023 kamen 87 Prozent des in den palästinensischen Gebieten verbrauchten Stroms aus Israel. Im März dieses Jahres hat Israel die Energieversorgung Gazas ausgesetzt und damit eine Kontamination von Trinkwasser und den Ausfall medizinischer Versorgung verursacht. Zudem wurden in dem seit den Verbrechen der Hamas am 7. Oktober 2023 von Israel geführten Krieg gezielt Solaranlagen in Gaza zerstört.
Auch die Westbank ist abhängig von der Israel Electric Corporation. Genehmigungen für den Aufbau einer unabhängigen Energieversorgung werden nicht erteilt. 2023 kürzte Israel zudem Gelder für die Palästinensische Autonomiebehörde (PA), um Energieschulden einzutreiben. Dies führte unter anderem zu einer Kürzung der Gehälter der im öffentlichen Dienst der Westbank angestellten Palästinenser*innen, die vorher schon prekäre Arbeitsbedingungen hatten. Das Beispiel der Energieinfrastruktur illustriert, wie ungleich Zugriffsmöglichkeiten auf Ressourcen zwischen Israelis und Palästinenser*innen ist.
Die Kontrolle über die Energie- und Wasserversorgung ermöglicht es Israel, auch über die palästinensischen Gebiete hinaus gezielt seine Interessen in der Region durchzusetzen. Das war Thema auf einem Panel zur Rolle von Infrastruktur. Israels Entscheidung, die Hälfte des in den Offshore-Gasfeldern im Mittelmeer vor seiner Küste geförderten Erdgases in Länder wie Ägypten und Jordnien zu exportieren und damit abhängig von Kohle- und Ölimporten zu bleiben, dient der Festigung der Beziehungen zu den arabischen Nachbarn. Was daraus erwachsende Abhängigkeiten bedeuten, zeigten jüngst die durch den iranischen Angriff auf das Gasfeld Leviathan gestoppten Gasexporte.
Die zunehmende Integration Israels in das Energienetz der Region eröffne indes auch Möglichkeiten für neue Formen des Widerstands gegen die israelische Regierung, sagte Sai Englert von der Universität Leiden in den Niederlanden. Als Beispiel nannte er die Mobilisierung der jordanischen Zivilbevölkerung rund um den Slogan »The enemie’s gas is occupation«. Die Kampagne hatte nach den jüngsten israelischen Importstopps an Fahrt aufgenommen. Sie fordert einen Ausstieg Jordaniens aus dem Gasabkommen mit Israel und die Entwicklung einer autonomen Energieinfrastruktur. Die Stromversorgung ist indes nur ein Teil der ökonomischen Kriegführung Israels. Gaza dient als Laboratorium, in dem jegliche Infrastrukturen – Checkpoints, Gaspipelines, Wasserleitungen, Überwachungstechnologien oder die genaue Berechnung der Kalorien bei der Lebensmitteleinfuhr – zur Kontrolle der Bevölkerung eingesetzt werden.
Darüber hinaus werden Technologien zur Beeinflussung des Klimas ausprobiert. So will das israelisch-US-amerikanische Startup Stardust Patentrechte für das Solar Radiation Management (SRM) anmelden. Dabei handelt es sich um eine Geoengineering-Technologie, bei der reflektierende Partikel in die Atmosphäre eingebracht werden. Wie gut sie funktioniert, solle in Gaza getestet werden. Diese Tests fänden bereits statt, berichtete der palästinensische Klimaaktivist Mohammed Usrof.
Nabil Hamdan, Aktivist und Student der Umweltwissenschaften an der Technischen Universität Berlin, berichtete auf einem Panel zu Waffenexporten ähnliches: »Mit Technologien der Kontrolle und Unterdrückung, die an den Palästinenser*innen ausprobiert werden, sammeln israelische Unternehmen und Rüstungsfirmen Wissen und Erfahrungen, die in Forschungskooperationen unter anderem mit deutschen Unis eingebracht werden.« Institute umgingen dabei Zivilklauseln an Hochschulen durch Dual-Use Regelungen. Sie seien so mitverantwortlich für Kriegsverbrechen.
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