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Barcelona: »Das ist unser Haus, wir leben hier!«
Anna Olestí organisiert in ihrem Wohnblock in Barcelona den Widerstand gegen die drohende Zwangsräumung
Wir haben uns für das Interview in Ihrer Mietwohnung in der Casa Papallona, einem denkmalgeschützten Bau in Barcelona, verabredet. Wie lange dürfen Sie noch in Ihrer Wohnung bleiben?
Der Mietvertrag von mir und meinen beiden Mitbewohnerinnen ist noch für drei Jahre gültig, aber damit sind wir hier im Haus fast eine Ausnahme: Im Block gibt es 14 Wohnungen, in elf davon wohnen Menschen aus dem Viertel, teils seit vielen Jahrzehnten. Etwa die Hälfte von ihnen hat bereits einen Brief erhalten, dass gegen sie eine Räumungsklage läuft.
Aus welchen Gründen?
Die Casa Papallona wurde 2024 vom niederländischen Investmentfonds Amsterdam Developments aufgekauft. Seitdem wurden die (in Spanien für Privatpersonen derzeit maximal fünf Jahre gültigen) Mietverträge nicht mehr verlängert. Wir Hausbewohner sollen raus, weil der Fonds die Wohnungen in »Co-Livings« verwandeln will, in teure Wohngemeinschaften, in denen jeder Bewohner, jede Bewohnerin ein eigenes Zimmer hat, aber Küche und Bad geteilt werden.
So wie in Ihrer WG?
Nein! Ich wohne mit zwei Freundinnen aus der Schulzeit zusammen. Das ist ein Wohnprojekt, für das wir uns ganz bewusst entschieden haben, wir leben in einer Gemeinschaft zusammen, in unserer gemeinsamen Wohnung. Beim Co-Living aber werden die Zimmer einzeln vermietet, auf die Zusammensetzung der WG hat man keinen Einfluss. Es geht den Besitzern schlicht und ergreifend darum, mehr Profit aus den Wohnungen schlagen zu können. Und deswegen sollen wir gehen. Das ist eine bodenlose Ungerechtigkeit.
Anna Olestí, 25, ist Anwältin und Sprecherin des von Räumung bedrohten Wohnblocks Casa Papallona in Barcelona. Sie engagiert sich in der sozialistischen Mietergewerkschaft Sindicat d’Habitatge Socialista de Catalunya.
Wer wohnt noch in der Casa Papallona?
Wir sind eine bunte Mischung. Es gibt Familien mit Kindern, Paare, eine ältere Frau, die hier schon mit ihrer Mutter gelebt hat und natürlich nicht aus der Wohnung ziehen will, in der sie ihr ganzes Leben verbracht hat.
Wie wollen Sie die drohende Räumung verhindern?
Seit der Investmentfonds das Haus gekauft hat, treffen wir uns alle zwei Wochen, jedes Mal in einer anderen Wohnung. Wir planen Protestaktionen gegen den Hausbesitzer, treffen uns mit den Vertretern der sozialistischen Mietergewerkschaft und nehmen an deren Aktionen teil.
Sie sind Sprecherin des Wohnblocks. Hat Sie Ihr Beruf als Anwältin mit dem Spezialgebiet Wohnrecht dazu prädestiniert?
Als ich vor drei Jahren hier eingezogen bin, habe ich gerade meine Masterarbeit geschrieben. Damals war ich bereits Mitglied in der sozialistischen Mietergewerkschaft – und mir war klar, dass man sich dem Desaster in Sachen Wohnraum nicht alleine entgegenstellen kann, sondern wir nur eine Chance haben, wenn wir als Kollektiv handeln. Ausschlaggebender als mein Beruf war mein politisches Engagement.
Ihr Block ist nicht das einzige Wohngebäude, dem Räumung droht. Wenige Hundert Meter von hier befindet sich die Casa Orsola, ein Jugendstilgebäude, das Anfang des Jahres zum Symbol des Kampfs für erschwinglichen Wohnraum wurde.
Das Problem ist überall gleich: Wir leben in einer Gesellschaft, in der Wohnraum zur Ware verkommen ist, zu einem Wirtschaftsgut, mit dem spekuliert wird – auf unsere Kosten. Das ist ein riesiges Drama.
In der Casa Orsola sollten keine »Co-Livings« entstehen, sondern Wohnungen für hochpreisige Kurzzeitmieten zwischen einem und elf Monaten. Auch da drohten Zwangsräumungen. Nachdem Tausende tagelang protestiert hatten, kaufte die Stadt den Block auf, um das Projekt zu stoppen. Wäre das eine Blaupause für die Casa Papallona?
Das Entscheidende war nicht der Kauf, sondern dass die Menschen sich dafür eingesetzt haben. Die Stadt hat doch gar nicht das notwendige Geld, um alle bedrohten Häuser aufzukaufen. Außerdem profitieren davon letztlich vor allem die Spekulanten: Der Investmentfonds, dem die Casa Orsola gehörte, hat ein Plus von drei Millionen Euro erwirtschaftet, zusätzlich zu den Mieteinnahmen – und das alles von unseren Steuergeldern. Das kann doch nicht die Lösung sein.
Was wäre denn die Lösung?
Wohnraum muss ein garantiertes Grundrecht und kostenlos verfügbar sein für alle, so wie das Recht auf Bildung oder das Recht auf Gesundheitsversorgung.
Kostenloser Wohnraum für alle ist nur schwer durchsetzbar. Welche Gesetze könnten denn helfen, das Problem zu mindern?
Eine Gesetzesänderung wird das Problem mit der Wohnungsnot nie von Grund auf lösen können. Katalonien ist dafür das beste Beispiel: Mit Mietpreisbremse und einem verpflichtenden Anteil von Sozialwohnungen für Besitzer von fünf oder mehr Wohnungen haben wir die protektionistischsten Wohnraumgesetze des ganzen Staates – und trotzdem die meisten Zwangsräumungen. Weil die Eigentümer so profitgierig sind und immer wieder Schlupflöcher finden. Weil die Verwaltung ineffizient ist und nicht ausreichend sanktioniert. Und weil das Verfassungsgericht viele sinnvolle Regelungen wieder einkassiert hat: Den stärksten Schutz genießt in einer kapitalistischen Gesellschaft nun mal das Privateigentum. Dagegen kommt kein Gesetz an.
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Aber nur auf die Revolution zu warten, kann doch auch nicht die Lösung sein. Sie sind Juristin: Wo würden Sie den Hebel ansetzen?
Man könnte die Vermietung von einzelnen Zimmern verbieten, wie das beim Co-Living passiert – oder Kurzzeitmieten, mit denen systematisch die in Katalonien gültige Mietpreisbremse unterlaufen wird. Aber das Wichtigste bleibt die Mobilisierung: Der Protest für erschwinglichen Wohnraum muss zur Massenbewegung werden.
Ist das überhaupt möglich in einem Land wie Spanien, wo immer noch etwa 75 Prozent der Bevölkerung im Eigenheim leben?
Das war vielleicht vor 30 Jahren so, aber seit ein paar Jahren können wir beobachten, wie die Mittelschicht immer mehr verarmt und die Zahl der Mieterinnen und Mieter steigt: Neben meiner Arbeit für die Gewerkschaft arbeite ich für eine Obdachlosenstiftung. Von meinem Gehalt könnte ich mir niemals eine Eigentumswohnung leisten, wie das meine Eltern noch konnten. Die Miete frisst 40 Prozent meines Gehalts. Und in meiner Situation sind viele.
Wie werden die Bewohnerinnen und Bewohner des Hauses reagieren, wenn tatsächlich der erste Räumungsbescheid im Briefkasten landet?
Wir werden bleiben! Nicht nur, weil es schlicht keinen anderen Ort gibt, an den wir gehen könnten. Sondern aus Prinzip: Das ist unser Haus! Wir leben hier! Wir werden nicht gehen. Unter keinen Umständen.
Mit 25 gehören Sie zu den jüngeren Bewohnerinnen hier im Block. Aber fällt solche Entschlossenheit auch jemandem so leicht, der Mitte 60 ist und vielleicht einfach keine Lust mehr hat auf Konflikte mit Polizei oder Justiz?
Wir haben in den vergangenen Monaten in diesem Wohnblock eine beispiellose politische Kohäsion erreicht: Allen, wirklich allen ist klar, dass wir nur Erfolg haben können, wenn wir gemeinsam handeln, unabhängig davon, wie die individuellen Rahmenbedingungen sind. Jede und jeder hier weiß, dass die drohende Räumung nicht persönlichen Umständen, nicht Glück oder Unglück geschuldet ist, sondern Ergebnis eines strukturellen Problems ist. Es ist ein Klassenproblem. Wer das verstanden hat, zeigt sich automatisch solidarisch. Und hier im Haus haben es alle verstanden. Das zu sehen, finde ich sehr bewegend.
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