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Mit Banden gegen Hamas
Israel baut Internierungslager für die Palästinenser und rüstet kriminelle Gruppen aus, die die Hamas bekämpfen sollen
Aus der Ferne, aus der Höhe wird das gesamte Ausmaß der Zerstörung im Gazastreifen sichtbar: Satellitenbilder zeigen Trümmerhaufen, wo einst Häuser standen, sich Menschen durch staubige Straßen drängten, um in schäbigen Läden zu kaufen, was es gerade so gab, wenn sie Geld dafür hatten.
Denn einfach, angenehm war das Leben in dem stark übervölkerten engen Landstrich zwischen Mittelmeer, Ägypten und Israel schon seit vielen Jahren nicht mehr. Heute ist es unerträglich – wegen des seit Oktober 2023 tobenden Krieges zwischen Israels Regierung und der Hamas, die den Gazastreifen seit Mitte 2007 kontrolliert. Aber auch, weil dieser Krieg nun mit den Nachwirkungen dessen kollidiert, was davor war. Die jahrelange Blockade durch Israel und Ägypten und der Umstand, dass die Hamas fast das gesamte verfügbare Geld in ihre Aufrüstung investierte, hat die Infrastruktur marode gemacht: Seit vielen Jahren schon dringen Meer- und Abwasser ins Grundwasser ein, machen es zum weit überwiegenden Teil ungenießbar. Die Menschen haben es trotzdem getrunken. Ab und zu warnten die Weltgesundheitsorganisation (WHO) oder eine Menschenrechtsorganisation davor, der Gazastreifen drohe unbewohnbar zu werden. Große Aufmerksamkeit erzeugte das nicht.
Nun zeigen Satellitenbilder aber auch etwas anderes: In Rafah, an der Grenze zu Ägypten, hätten Bulldozer des israelischen Militärs damit begonnen, große Flächen zu planieren, berichtet der Nachrichtensender Al Dschasira. Nahezu zeitgleich kündigte Verteidigungsminister Israel Katz den Bau eines Lagers auf den Trümmern Rafahs an: Anfangs sollten dort bis zu 600 000 Palästinenser untergebracht werden, ohne die Möglichkeit, das Lager wieder zu verlassen. Später solle die gesamte Bevölkerung Gazas dorthin gebracht werden, berichtet die israelische Zeitung »Haaretz«: Das Ziel sei, den Emigrationsplan umzusetzen, den Regierungschef Benjamin Netanjahu und US-Präsident Donald Trump vor Monaten erstmals ins Spiel gebracht hatten.
Es ist sehr wahrscheinlich, dass zu den Zerstörungen, dem Hunger und den Krankheiten bald auch noch die Seuche der Kriminalität kommen wird.
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Katz nennt dies eine »humanitäre Stadt«. Israelische Oppositionspolitiker, einige Medien und der ehemalige Regierungschef Ehud Olmert fanden dafür schnell einen Begriff aus der Vergangenheit: »Konzentrationslager«. Die Kriegsführung der Regierung sei niemandem mehr zu erklären, sagte Olmert dem britischen »Guardian«.
Einige Kommentatoren halten diese Ankündigung jedoch für eine Verhandlungstaktik. Denn die Gespräche über einen Waffenstillstand gehen weiter, immer wieder kündigen Trump und Leute aus dem Umfeld Netanjahus an, man stehe kurz davor, eine Einigung zu erzielen. Passiert ist das aber bis jetzt nicht: Die Hamas fordert eine dauerhafte Waffenruhe und einen kompletten Abzug der israelischen Truppen. Netanjahu indes fällt es sichtbar schwer, in seiner Koalition selbst einen begrenzten Abzug durchzusetzen. Denn seine Regierung basiert auf der Unterstützung durch ein ultrarechtes Wahlbündnis und die Duldung durch zwei ultraorthodoxe Parteien. Und vor allem die Rechtsradikalen haben einen Traum: den Wiederaufbau der 2005 geräumten israelischen Siedlungen im Gazastreifen. Dabei können sie auch auf die Unterstützung einiger Abgeordneter aus Netanjahus eigener Partei, dem Likud, bauen. Auf Konferenzen, die sich um das Thema Siedlungsbau in Gaza drehen, sind sogar Minister des Likud zu sehen – unwidersprochen durch Netanjahu. Denn seine Koalition hat eine so wacklige Mehrheit, dass er jede Stimme braucht.
Im Gazastreifen selbst richtet sich nun das Auge auf die Arbeit der Gaza Humanitarian Foundation (GHF), einem Unternehmen mit Sitz im US-Bundesstaat Delaware, das in Gaza vier Verteilzentren für Hilfsgüter betreibt: Immer wieder kommt es dort zu gewaltsamen Auseinandersetzungen, bei denen bereits Hunderte getötet wurden. Mal eröffnen israelische Soldaten das Feuer, mal sind es Kämpfer der Hamas. Denn Israels Regierung hat nun eine weitere Front eröffnet und damit begonnen, Angehörige der Großfamilien zu bewaffnen.
Diese Großfamilien sind traditionell ein Pfeiler des Machtgefüges im Gazastreifen. Sie haben immensen gesellschaftlichen Einfluss und waren deshalb auch einer der Gründe, warum die Hamas bis heute an der Macht bleiben konnte: Ihre Führung suchte den ständigen Ausgleich mit anderen Gruppen, schaffte es, dass diejenigen, die der Organisation kritisch gegenüberstehen, wenigstens die Füße still hielten.
Nun versucht die Regierung Netanjahus diese Gruppen zum Kampf gegen die Hamas zu motivieren, selbst wenn sie selbst gegen Israel sind. Und nicht alle, die Unterstützung erhalten, gehören zum Kreis der Großfamilien. Da ist zum Beispiel die Miliz von Jasser Dschihad Mansur Abu Schahab. Vieles deutet darauf hin, dass sie nun auch mit der GHF zusammenarbeitet. Doch vor dem Krieg war die Gruppe nach Aussagen von ägyptischen Ermittlern vor allem im Drogenschmuggel von der Sinai-Halbinsel aus aktiv und arbeitete dort mit der Terrormiliz »Islamischer Staat« zusammen. Es ist also sehr wahrscheinlich, dass zu den Zerstörungen, dem Hunger und den Krankheiten bald auch noch die Seuche der Kriminalität kommen wird.
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