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- Regieren auch mit der AfD
BSW-Politikerin für »Modell wechselnder Mehrheiten« in Thüringen
Wahlkreismitarbeiterin und Stadträtin Tina Rolle spricht sich für »Modell wechselnder Mehrheiten« aus
Im Thüringer Landesverband des BSW gibt es zumindest in Teilen der Partei offensichtlich einigen Frust über den sozialdemokratischen Koalitionspartner – und eine gewisse Bereitschaft zu versuchen, das Land gemeinsam mit der CDU als Minderheitskoalition zu regieren, die sich dann auch auf die AfD stützen sollte, um politische Mehrheiten im Landtag zu bekommen.
»Wir lassen uns von der Sechs-Prozent-Partei SPD gängeln«, hieß es in einem inzwischen gelöschten Instagram-Post der BSW-Politikerin Tina Rolle. Die SPD wolle Mehrheiten nur jenseits der AfD suchen, was der Linken viele politische Gestaltungsmöglichkeiten einräume. »Eine Minderheitsregierung mit der CDU, würde uns deutlich mehr Spielräume schaffen, so könnte man wechselnde Mehrheiten nutzen, um die Programmatik des BSW besser abzubilden und durchzusetzen«, war dort weiter zu lesen.
In dem entsprechenden Post – von dem im politischen Erfurt noch immer zahlreiche Screenshots im Umlauf sind – wird dieses Statement mithilfe einer Umfrage in dem sozialen Netzwerk untermauert. Die Frage dazu lautete: »Was haltet ihr von wechselnden Mehrheiten?« 61 Prozent derer, die sich an der Abstimmung beteiligt hatten, befürworteten ein solches parlamentarisches Modell. Wie viele Menschen an der Umfrage teilgenommen haben, ist unklar. Der Account von Rolle hat etwa 1300 Follower.
»Es tritt beim BSW immer wieder Unterirdisches zutage.«
Georg Maier
SPD-Landesvorsitzender in Thüringen
Die Brombeer-Koalition aus CDU, BSW und SPD verfügt im Landtag über 44 von 88 Abgeordnetenmandaten und hat damit keine eigene Mehrheit. Das Bündnis ist für die Verabschiedung von Gesetzen auf die zumindest indirekte Unterstützung der Linken angewiesen, da die drei Parteien in ihrem Koalitionsvertrag eine Zusammenarbeit mit der AfD ausgeschlossen haben. Ein Modell wechselnder Mehrheiten würde es CDU und BSW ermöglichen, nötige Stimmen bei der AfD zu suchen. Der Thüringer Landesverband der AfD wird als erwiesen rechtsextremes Beobachtungsobjekt des Verfassungsschutzes geführt.
Tina Rolle ist eine in Ostthüringen beheimatete BSW-Politikerin und Gastronomin. Sie arbeitet nach eigenen Angaben als Wahlkreismitarbeiterin für den Vorsitzenden der Thüringer BSW-Landtagsfraktion Frank Augsten und sitzt auch im Stadtrat von Meuselwitz, einer kleinen Stadt im Altenburger Land. Ihr Vorgesetzter hatte sich vor Kurzem als erster Vorsitzender einer Thüringer Landtagsfraktion mit dem AfD-Fraktionsvorsitzenden Björn Höcke getroffen. Bei der Landtagswahl 2024 hatte sich Rolle auf dem BSW-Listenplatz 26 für ein Mandat im Landesparlament in Erfurt beworben – und den Einzug in den Landtag damit deutlich verpasst.
Die BSW-Landesvorsitzende Katja Wolf reagierte verhalten auf diesen Post, der für eine Haltung innerhalb des BSW im Freistaat steht, die es schon lange gibt, die aber selten so öffentlich zur Schau getragen worden ist. »Das ist eine politische Position, die ich nicht teile, die ich aber aushalte«, sagte Wolf gegenüber, »nd«. Der Post sei »ehrlich«, weil er für eine Einschätzung der Lage stehe, die es in ihrer Partei tatsächlich gebe, auch wenn diese Einschätzung von falschen Vorstellungen getragen werde. »›Wechselnde Mehrheiten‹ klingt romantisch, ist es aber überhaupt nicht«, sagte Wolf. Vielmehr sei es für eine Minderheitskoalition sehr anstrengend, sich Mehrheiten in einem Parlament zu beschaffen.
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Mit wechselnden Mehrheiten zu regieren, sei »in der jetzigen Situation für Thüringen die schlechteste Variante«, so Wolf. Über die Art des Miteinanders in der Koalition nachzudenken, sei grundsätzlich aber nie falsch, weil so etwas immer ein Anlass sei, »um uns zu überlegen, ob die Koalition, in der wir uns befinden, die beste für Thüringen ist«, sagte Wolf. Weder sie noch der Thüringer BSW-Ko-Vorsitzende Gernot Süßmuth kannten den Post nach eigenen Angaben, ehe sie von unserer Zeitung damit konfrontiert wurden.
In SPD-Kreisen dagegen sorgt der Post seit Tagen für teilweise erheblichen Unmut gegenüber dem BSW – und bestärkt all jene, die glauben, dass es ein Fehler war, in die Brombeer-Koalition einzutreten. Der Landesvorsitzende der Sozialdemokraten, Georg Maier, allerdings warnt davor, den Post übermäßig zu beachten. »Solche Stimmen aus der zweiten Reihe, die nerven, auch mich persönlich, keine Frage«, sagte er. Für ihn sei aber viel relevanter, was im Koalitionsvertrag des Brombeer-Bündnisses stehe und was politische BSW-Verantwortungsträger wie etwa Wolf sagten und täten. »Aber klar: Es tritt beim BSW immer wieder Unterirdisches zutage«, so Maier.
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