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Gipfel der Hardliner
Viele »Rückführungen«, dichte Außengrenzen: Ziel der Länder, deren Innenminister sich auf Einladung von Alexander Dobrindt auf der Zugspitze trafen
Seine Inszenierung vor malerischer Alpenkulisse dürfte Alexander Dobrindt (CSU) als gelungenen Coup verbuchen. Am Freitag hatte der Bundesinnenminister seine Amtskollegen aus Frankreich, Polen, Österreich, Tschechien und Dänemark sowie EU-Innenkommissar Magnus Brunner zu einem »Migrationsgipfel« auf die Zugspitze geladen. Beziehungsweise in die Räumlichkeiten des Panomaramarestaurant knapp darunter.
Das goldene Gipfelkreuz hielten dagegen am Vormittag Kletterer besetzt, die dort in Sichtweite des Politikertreffens den Protest der deutschen Flüchtlingsräte artikulierten, indem sie ein großes Banner entrollten. Darauf nannten sie das Ziel des Treffens beim Namen: Es ging um noch mehr Abschottung der EU vor unerwünschten Zuwanderern. Vor denen nämlich, die in jedem zweiten Satz der Anwesenden auf der Pressekonferenz am Freitagnachmittag nicht als Menschen bezeichnet wurden, die Schutz vor Krieg, Verfolgung und Elend suchen, sondern als Sache: »illegale Migration«.
»Wir wollen, dass Deutschland nicht mehr im Bremserhäuschen sitzt, sondern in der Lokomotive fährt, wenn es darum geht, die Migrationspolitik zu verschärfen.«
Alexander Dobrindt Bundesinnenminister
Die gelte es entschlossen zu bekämpfen, so der Tenor der Statements der Minister und des Kommissars. Sie alle wollen Vorreiter sein für einen »Asyl- und Migrationspakt«, den sie vorantreiben und mit dem sie das jüngst verschärfte Gemeinsame Asylsystem (Geas) der EU nochmals härter machen wollen. Hauptziele dabei: erstens eine bessere Ausstattung der Grenzbehörde Frontex und der EU-Polizeiinstitution Europol, um die Außengrenzen des Staatenbündnisses noch undurchlässiger zu machen. Zweitens Beschleunigung der Asylverfahren, um möglichst viele Menschen abschieben zu können. Drittens das Vorantreiben von Abkommen mit sogenannten sicheren Drittstaaten, in die man künftig auch Personen ausfliegen können möchte, die keinerlei Bezug zu dem entsprechenden Land haben, ja das sie nicht einmal durchquert haben.
Bislang gibt es in der EU-Verordnung, die Asylverfahren regelt, das sogenannte Verbindungselement. Danach dürfen Menschen nur in Drittstaaten überführt werden, wenn sie dort längere Zeit gelebt haben oder über engere Kontakte zu dort lebenden Personen verfügen. Die schwarz-rote Bundesregierung hat in ihrem Koalitionsvertrag das Ziel formuliert, dieses Verbindungselement zu streichen. Hierzu besteht zwischen den sechs auf dem Gipfel vertretenen Ländern und dem EU-Innenkommissar vollkommene Einigkeit.
Alexander Dobrindt wählte große Worte, um sich und die deutsche »Asylwende« in Szene zu setzen. Die neue Bundesregierung wolle, dass »Deutschland nicht mehr im Bremserhäuschen sitzt, sondern in der Lokomotive fährt, wenn es darum geht, die Migrationspolitik zu verschärfen«. Wenn es darum gehe, »wirksame Maßnahmen gegen die illegale Migartion zu ergreifen«, sei das Motto nicht mehr »german vote, sondern german partnership«. Gemeinsam wolle man zeigen, dass man die Kontrolle über das Problem zurückgewinne und so den »Populisten« und »Extremisten« den Boden entziehe, wie es Tschechiens Innenminister Vít Rakušan ausdrückte.
Dobrindt betonte, auf nationaler Ebene tue die Bundesregierung alles, um »Pull-Faktoren zu reduzieren«, und auf der der Europäischen Union werde man alles daran setzen, die Ziele zu erreichen, die die Gipfelteilnehmer auch in einer gemeinsamen Erklärung formulierten. In das EU-Migrationssystem müsse »mehr Geschwindigkeit« komme, sagte der Gastgeber. »Doppelt- und Dreifachprüfungen« müssten der Vergangenheit angehören. Schlepper und Schleuser gelte es zu bekämpfen, die »Rückkehrverordnung deutlich zu schärfen«. Zudem sollten »Return Hubs entstehen auch in Drittstaaten, wo Ausreisepflichtige auch außerhalb Europas untergebracht werden können«.
An solchen »Return Hubs« oder Rückführungszentren außerhalb der EU, etwa in der Türkei, wird bereits gearbeitet. Sie sind Teil des Kommissionsvorschlags zur Reform der EU-Rückführungsrichtlinie. Dabei handelt es sich um Einrichtungen, in denen nationale Behörden gemeinsam mit EU-Agenturen wie Frontex Abschiebungen koordinieren und vorbereiten sollen.
»Wirksame Rückführungen sind eine unerlässliche Voraussetzung für das Vertrauen in eine ausgewogene europäische Migrationspolitik«, heißt es in der gemeinsamen Erklärung. Dazu gehörten auch Abschiebungen nach Syrien und Afghanistan. Diese müssten »möglich sein«. Bislang ist die Ausreise von abgelehnten Asylbewerbern in diese beiden Länder mit hohen Hürden verbunden.
Dobrindt hob auf dem Gipfel hervor, der am Freitag vom Airport Halle/Leipzig gestartete Abschiebeflug nach Kabul mit 81 Afghanen an Bord – nach seinen Angaben geht es ausschließlich um »Straftäter, um schwere, schwerste Straftäter« – sei erst der Anfang. Er sei fest entschlossen, künftig auch ohne die Unterstützung von Mittlern wie dem Golfemirat Qatar solche Abschiebungen vorzunehmen. Er bekräftigte, dass er direkt mit den in Afghanistan herrschenden radikalislamischen Taliban über die Maßnahmen verhandle. Entsprechende direkte Gespräche gab es auch im Vorfeld der Abschiebung am Freitag, der ersten unter der Ägide der schwarz-roten Koalition.
»Es ist wirklich inakzeptabel, dass nur einer von Vieren, die sich illegal in Europa aufhalten, dann auch tatsächlich rückgeführt wird.«
Magnus Brunner EU-Kommissar für Inneres und Migration
Bundeskanzler Friedrich Merz stärkte Dobrindt in seiner Sommer-Pressekonferenz am Freitag diesbezüglich den Rücken. Diplomatische Kontakte zwischen Deutschland und der »De-facto-Regierung« in Kabul habe es seit deren Rückkehr an die Macht durchgängig gegeben, sagte der CDU-Vorsitzende. Er betonte, dies seien Beziehungen zwischen Staaten und zwischen Bundesregierung und Taliban. Deren Regime erkenne man eben nicht an, wenn man mit ihm über Rückführungen verhandle, betonte er.
Genau dies, nämlich die Anerkennung eines täglich die Menschenrechte seiner Bewohner verletzenden Regimes, werfen viele zivilgesellschaftliche Initiativen, Die Linke und die Grünen der Bundesregierung vor. Grünen-Politiker Anton Hofreiter sprach am Freitag von einer »massiven Aufwertung von islamistischem Terror«.
Dobrindts Amtskollegen auf der Zugspitze waren demgegenüber voll des Lobes für die deutsche Aktion. Österreichs Innenminister Gerhard Karner hob hervor, der Regierung in Wien sei es gelungen, erstmals Straftäter nach Syrien abzuschieben. Im Koalitionsvertrag von Union und SPD heißt es, man wolle generell wieder Menschen nach Syrien und Afghanistan abschieben, »beginnend mit Straftätern«.
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Alle Teilnehmenden betonten ihre große Einigkeit darin, dass Binnengrenzkontrollen nur eine vorübergehende Maßnahme seien. Es gehe um dichte EU-Außengrenzen, damit »wir wieder unseren alten Schengenraum bekommen und uns frei bewegen können«, sagte auch Polens Innenminister Tomasz Siemoniak. Er versicherte wie zuvor Dobrindt und auch Kanzler Merz, man ziehe an einem Strang und arbeite daran, die östliche Außengrenze zu sichern und zu »befestigen«, um zu verhindern, dass Russland und Belarus »Migranten als Waffen« zur Destabilisierung der EU nutzten. Siemoniak dankte der deutschen Regierung und der EU für die Unterstützung bei diesem Vorhaben, und Dobrindt lobte mehrfach deren »Engagement« und damit auch die seit Jahren durch Polen praktizierten illegalen Pushbacks (Zurückschiebungen) nach Belarus.
Nach Angaben des polnischen Innenminister befinden sich an der Grenze seines Landes zu Litauen und Belarus 11 000 Soldaten und Grenzschützer »in ständiger Bereitschaft«. Dobrindt will am Montag mit Siemoniak an die Grenze zu Belarus reisen, um die dortigen mit EU-Hilfe errichteten Grenzanlagen zu besichtigen.
Ganz auf der Linie der Zugspitzenminister war auch EU-Kommissar Brunner. Europa müsse selbst entscheiden, wer den Kontinent betrete, und nicht die Schlepper und Schleuser, sagte der Österreicher. »Es ist wirklich inakzeptabel, dass nur einer von Vieren, die sich illegal in Europa aufhalten, dann auch tatsächlich rückgeführt werden«, so Brunner. Das solle mit der Reform der Rückführungsverordnung »besser« werden.
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