Das Ende des Pinkwashing?

Wer Angriffskriege zelebriert, braucht sich nicht mehr mit Regenbogenfahnen reinzuwaschen – meint Yossi Bartal

»Pride Parade« für die Rechte von trans*Menschen und für sexuelle Diversität in Berlin-Marzahn.
»Pride Parade« für die Rechte von trans*Menschen und für sexuelle Diversität in Berlin-Marzahn.

»Er liebt mich, er liebt mich nicht, er liebt mich doch – nein, er liebt mich nicht…« Die Beziehung zwischen dem Staat und den von ihm in der Spätphase des Neoliberalismus entdeckten nützlichen Minderheiten gleicht einer emotionalen Achterbahnfahrt. Ob wir nun schwul, jüdisch, Frauen oder – in Ausnahmefällen – sogar nicht ganz weißhäutig oder geschlechtseindeutig sind: Jahrelang schien es, als fänden unsere Kämpfe für Gleichberechtigung in einigen Ländern nicht nur Zustimmung, sondern sogar staatliche Förderung.

Yossi Bartal

Yossi Bartal ist seit 2006 ein begeisterter Wahl-Neuköllner. Aufgewachsen in West-Jerusalem lernte er früh, dass Selbsthass die edelste Form des Hasses ist. Mit einer gesunden Dosis Skepsis gegenüber Staat und Gesetz schreibt er für nd.Digital jeden dritten Montag im Monat über Parallelgesellschaften, (Ersatz-) Nationalismus und den Kampf für eine bessere Welt.

Dies war keineswegs ein Geschenk unserer ach so toleranten Politik, sondern primär das Ergebnis sozialer Auseinandersetzungen, die oft rebellisch und gesetzeswidrig geführt worden waren. Man kann es als das süß-saure Schicksal erfolgreicher Aufstände betrachten, dass sie früher oder später von Staat und Kapital vereinnahmt werden – und natürlich schreit die Heuchelei dabei oft zum Himmel.

So folgte auf die errungene Liberalisierung in Fragen der Sitten und Moral auch vielerorts eine ganz andere »Liberalisierung« des Arbeitsmarktes, die den Lebensstandard der Arbeiterklasse – insbesondere von Frauen und rassifizierten Menschen – systematisch verschlechterte. Auch die Aufnahme zahlreicher jüdischer Kontingentflüchtlinge in Deutschland fiel in eine Zeit von Sozialleistungskürzungen, die viele der Neuankömmlinge in Altersarmut führte.

Wer sich zum Dreck bekennt, muss sich nicht ständig mit höherwertigen Zielen reinwaschen.

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Hinzu kommt die Teile-und-herrsche-Taktik und darin, wie Identitätsfragen für repressive Zwecke missbraucht werden: Frauen gegen Migranten, Juden gegen Araber, Schwule gegen Türken – man gewinnt den Eindruck, bestimmte Gruppen wurden von oben vor allem dann gefeiert, wenn sie sich gegen andere instrumentalisieren ließen. Bis hin zur Rechtfertigung von Abschiebungen oder gar Kriegen.

Mit Begriffen wie Pinkwashing oder, neuerdings auch, ›Jew-Washing‹ versucht man, diese zynische Strategie zu beschreiben, bei der Unterdrückung und Ausbeutung als moralisch legitim – ja sogar als aufgeklärt – erscheinen sollen. So haben israelische Vertreter*innen oft Kritik an ihrer Besatzungspolitik mit Verweis auf größere Toleranz gegenüber LGBT-Menschen im Vergleich zu Nachbarländern zu umgehen versucht. Oder deutsche Politiker*innen, die zuweilen die Notwendigkeit des tödlichen Grenzregimes um Europa mit patriarchalen Strukturen oder antisemitischen Vorurteilen unter Migrant*innen begründeten. So konnte sich ein Selbstbild der Mehrheitsgesellschaft als emanzipiert und offen propagieren, die sich – und insbesondere ihre schutzwürdigen Minderheiten – lediglich gegen die gefährlichen Barbaren da draußen verteidigen müsse, leider auch mit zunehmender Gewalt.

Mit dem Vormarsch der Rechten gerät nun dieser diskursive Trick ins Wanken – denn die intoleranten Barbaren sind diejenigen, die allmählich an den Schalthebeln der Macht bei uns sitzen. Der Abschottungs- und Aufrüstungswahn, der sich noch vor Kurzem als notwendiges Übel im Dienst der Demokratieverteidigung verkaufte, hat sich verselbstständigt – und braucht sich immer weniger zu rechtfertigen. Der entfesselte Vernichtungswille gegen Schwächere und die Lust an Aggression feiern sich selbst, wie der Faschist im Weißen Haus täglich beweist. Bilder von Folter und Zerstörung werden von ihm und seinen Unterstützer*innen nicht mehr versteckt, sondern mit Stolz verbreitet.

Die neu entdeckte Liebe zum Dreck zeigt sich auch hierzulande. Während Einbürgerungswillige nun amtlich versichern müssen, sich zum ›Verbot der Führung eines Angriffskrieges‹ zu bekennen, zeigte Friedrich Merz seinen »größten Respekt« für die massive Bombardierung des Iran – bei der Hunderte Zivilist*innen getötet wurden, darunter, laut einem Bericht in der »New York Times« auch zahlreiche trans* Menschen, die im berüchtigten Evin-Gefängnis saßen. »Das ist die Drecksarbeit, die Israel macht für uns alle«, erklärte der Mann, der das höchste Amt der vollziehenden Gewalt innehat.

Wer sich zum Dreck bekennt, muss sich nicht ständig mit höherwertigen Zielen reinwaschen. Das betrifft auch die ohnehin prekäre Beziehung zwischen queerer Bewegung und Staat, wie die jüngsten Dekrete der Bundestagspräsidentin Julia Klöckner gegen die Teilnahme von Bundestagsmitarbeiter*innen am Berliner CSD oder das öffentliche Zeigen queerer Symbole andeuten. Denn unsere historischen Erfolge – so sehr vereinnahmt, dass selbst Regenbogenfahnen jahrelang nicht als Verletzung des Neutralitätsgebots galten – stehen nun wieder zur Debatte: neben der verfassungsgarantierten Menschenwürde und den Grundsätzen des Völkerrechts.

Zu hoffen bleibt, dass die Hunderttausenden, die am kommenden Samstag in Berlin demonstrieren werden, um die erkämpfte sexuelle Diversität zu verteidigen und auszubauen, auch diese Verbindung erkennen – und sich klar gegen Vernichtungskriege, Abschiebungen und die Kriminalisierung sozialer Bewegungen positionieren. Nicht an der Seite, sondern im Widerstand gegen alle Staaten, die diese Verbrechen begehen oder ermöglichen.

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