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Pham Phi Son erhält Aufenthaltserlaubnis nach Odyssee
Der DDR-Vetragsarbeiter Pham Phi Son wird nicht abgeschoben – musste dafür aber nach Berlin ziehen
Der von Abschiebung bedrohte ehemalige vietnamesische DDR-Vertragsarbeiter Pham Phi Son und seine Familie haben nach einer jahrelangen Odyssee endlich eine Aufenthaltserlaubnis bekommen. Dazu musste die vietnamesische Familie allerdings von Chemnitz nach Berlin ziehen. Denn die sächsischen Behörden wollten die Familie abschieben und haben erst nach anhaltenden Protesten vor zwei Jahren der Familie den Umzug in die Hauptstadt gestattet. Dass die Familie in Berlin noch einmal zwei Jahre auf das Aufenthaltsrecht warten musste, liegt nicht am fehlenden Willen der Berliner Behörden, sondern an deren langsamem Arbeitstempo.
Was war geschehen? Pham Phi Son, heute 67 Jahre alt, kam 1987 als Vertragsarbeiter in die Stadt, die damals noch Karl-Marx-Stadt hieß. Viele Jahre lebte er dort als unbescholtener Bürger, arbeitete, hatte eine Wohnung, zahlte Steuern. Doch 2016 kehrte er nach einem Vietnam-Urlaub nicht wie vorgeschrieben nach sechs, sondern erst nach neun Monaten nach Deutschland zurück, weil eine alte Kriegsverletzung dort wieder aufbrach und stationär behandelt werden musste. Eine länger als sechs Monate währende Abwesenheit aus der EU ist normalerweise ein Grund, das Aufenthaltsrecht zu entziehen, es sind aber Ausnahmen möglich. Das »Vergehen« fiel der Stadt Chemnitz ein Jahr später auf, als der frisch verheiratete Mann die Geburt seiner Tochter beurkunden wollte. Statt eines deutschen Passes, der der Neugeborenen wegen des langen Aufenthaltes ihres Vaters in Deutschland zugestanden hätte, bekam die ganze Familie eine Ausreiseaufforderung. Das Verwaltungsgericht bestätigte die Entscheidung der Stadt Chemnitz.
Nach einem misslungenen Abschiebeversuch war die Familie fast zwei Jahre lang untergetaucht, der Tochter fehlten soziale Kontakte. Die Sächsische Härtefallkommission, die in dem Fall zweimal angerufen wurde, konnte keinen Härtefall erkennen. Jedenfalls nicht mit der notwendigen Zweidrittelmehrheit. Die einfache Mehrheit war dem Vernehmen nach zustande gekommen. Auch nachdem der Fall wieder an die Stadt Chemnitz zurückgegeben worden war und beide Elternteile als dringend benötigte Fachkräfte in einem sächsischen Gastronomiebetrieb Arbeit gefunden hatten, entschied Chemnitz gegen ein Bleiberecht und führte unter anderem die in der Tat schlechten deutschen Sprachkenntnisse der Eltern als Argument an. Versuche der sächsischen Behörden, dem Familienvater eine Straftat anzudichten, scheiterten allerdings. Ein Gericht sprach ihn frei.
Der Fall erregte überregional Aufmerksamkeit. 107 000 Menschen haben eine Online-Petition für ein Bleiberecht der Familie unterzeichnet. Abgeordnete von SPD, Linke und Grünen, Eltern aus der Kita der Tochter und die Katholische Kirche solidarisierten sich mit den gläubigen Katholiken. Um den Fall vom Tisch zu bekommen, gestattete Chemnitz Mitte 2023 den Umzug der Familie nach Berlin. Hier fanden die Eltern Arbeit in einer Kantine. Die inzwischen achtjährige Tochter besucht eine Berliner Schule.
»Das Tragische ist, dass die Geschichte dieser Familie kein Einzelfall ist.«
Jenny Fleischer Rechtsanwältin
Die Familie freut sich über das Ende des langjährigen Schwebezustandes und möchte in Berlin endlich ohne Zukunftsangst leben. »Der lange Kampf hat sich nun gelohnt«, freut sich auch Jenny Fleischer, die Anwältin der Familie. Rechtlich stand für die Fachanwältin für Migrationsrecht ohnehin seit Jahren außer Frage, dass die Familie ein Aufenthaltsrecht erhalten muss. »Das Tragische ist, dass die Geschichte dieser Familie kein Einzelfall ist. Die Ausländerbehörden informieren oftmals nicht über Bleibemöglichkeiten, sodass es in der Folge zu unangebrachten Abschiebungen kommen kann. Der oft jahrelange Kampf mit den Behörden ist für die Betroffenen zermürbend und zutiefst belastend«, so die Juristin.
Auch der frühere sächsische SPD-Landtagsabgeordnete und DDR-Bürgerrechtler Frank Richter, der die Familie in ihrem jahrelangen Kampf gegen die drohende Abschiebung begleitet hat, freut sich mit Pham Phi Son und seiner Familie. »Ich persönlich bin den Chemnitzer Bürgerinnen und Bürgern, die sich für ihn eingesetzt haben, sehr dankbar. Sie wussten um die Lebensleistung des in ihrer Stadt lebenden Vietnamesen und erkannten, wie unverhältnismäßig hart und inhuman eine Abschiebung gewesen wäre.« Richter sagt, die Familie habe Chemnitz gutgetan, »weil die Stadt arbeitsame und integrierte Menschen aus dem Ausland braucht. Ich frage mich: Warum fand die Berliner Behörde einen rechtskonformen Weg, den man in Chemnitz nicht zu erkennen vermochte?«
Emily Barnickel vom Berliner Flüchtlingsrat hatte sich ebenfalls für das Schicksal der vietnamesischen Familie interessiert und angeboten, sich in der Berliner Härtefallkommission für ein Bleiberecht für den langjährig in Deutschland lebenden Mann und seine junge Familie einzusetzen, wenn dies notwendig geworden wäre. »Wir freuen uns, dass es in Berlin jetzt sogar ohne Härtefallkommission geklappt hat«, sagt sie gegenüber »nd«. »Das zeigt, dass die Behörden in Chemnitz jenseits aller rechtsstaatlichen Prinzipien agiert haben.«
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