Bauernaktivist: »Unsere Lebensweise wurde zerstört«

Bauernaktivist Ebert García über die schlimmen Folgen des Kohleabbaus in Kolumbien

  • Interview: Benjamin Beutler
  • Lesedauer: 5 Min.
Die Kohleminen in Cesar im Nordosten Kolumbiens brachten Landraub, Zwangsvertreibung und Menschenrechtsverletzungen mit sich.
Die Kohleminen in Cesar im Nordosten Kolumbiens brachten Landraub, Zwangsvertreibung und Menschenrechtsverletzungen mit sich.

Herr García, Sie waren kürzlich in Deutschland, um über die Bergbaufolgen in Ihrer Heimat im Nordosten Kolumbiens zu berichten. Wie genau hat der Steinkohleabbau Ihre Gemeinde verändert?

Seit die großen Bergbauunternehmen ins Departamento del Cesar gekommen sind, haben wir Landraub, Zwangsvertreibung, Massaker, Menschenrechtsverletzungen, Verschwindenlassen und Stigmatisierung erlebt. Unsere Gemeinden lebten früher von der Landwirtschaft, vom Mais- und Maniok-Anbau, von unserer Verbindung zur Erde. Aber die Minen haben alles verändert. Viele Familien mussten ihre Häuser aufgeben. Was bleibt, ist ein Schmerz, der uns jeden Tag begleitet. Unsere Lebensweise wurde zerstört, und die Wunden sind noch nicht verheilt.

Könnten Sie uns ein konkretes Beispiel nennen?

Natürlich. Nehmen wir eine Familie aus einem Dorf wie El Hatillo oder Boquerón, wo die Minen direkt neben den Häusern betrieben werden. Diese Menschen wurden gezwungen, ihr Land zu verlassen, weil durch den Kohleabbau die Luft und das Wasser verschmutzt wurden und die Erde durch die Sprengungen bebte. Viele erhielten keine angemessene Entschädigung, nur leere Versprechungen. Einige wurden gewaltsam vertrieben, andere flohen aus Angst vor bewaffneten Gruppen. Diese Familien haben nicht nur ihre Häuser verloren, sondern auch ihre Identität, ihre Wurzeln. Jetzt leben sie oft in den Randgebieten der Städte ohne Perspektive, ohne Arbeit.

Interview

Ebert García ist Präsident der Bauern­versamm­lung des Cesar. Die Organisation vertritt Opfer des bewaffneten Konflikts im Minen­korridor der Region.

Viele Menschen im Cesar arbeiten in den Minen. Wie stehen die Gemeinden zum Kohleabbau?

Es ist oft die einzige Möglichkeit, Geld zu verdienen. Einige profitieren kurzfristig, können ihre Familien ernähren, ein kleines Haus bauen. Aber viele andere einschließlich unserer Organisation sind gegen diesen rücksichtslosen Abbau. Wir sehen die Zerstörung, die er hinterlässt, nicht nur in der Natur, sondern auch in unseren Gemeinden. Wir kämpfen für Arbeitsmöglichkeiten, die unsere Region nicht zerstören. Es geht nicht darum, die Minen einfach zu schließen, sondern darum, eine Zukunft zu schaffen, in der unsere Kinder nicht von Berufen abhängen, die unser Land zerstören.

Es heißt von Unternehmen und Regierungen immer, Bergbau bringe Wohlstand in die Region. Ist das im Cesar nicht der Fall?

Dass der Bergbau Fortschritt und Wohlstand bringt, klingt gut, aber im Cesar sehen wir mehr Armut, mehr Ungleichheit. Unsere landwirtschaftliche Kultur, die uns ernährt hat, wurde durch die Bergbauökonomie ersetzt. Viele Dörfer, die früher blühten, sind jetzt Geisterstädte, mit zerstörten Straßen und verlassenen Feldern. Die wahren Nutznießer sind Politiker, die die Lizenzgebühren nach Belieben verwalten. Dieses Geld, das den Gemeinden zugutekommen sollte, verschwindet oft in dunklen Kanälen. Die Menschen im Cesar bleiben mit leeren Händen zurück.

Sie erwähnen auch die Gewalt in der Region. Wer ist dafür verantwortlich?

Gewalt ist allgegenwärtig. Es gibt bewaffnete Gruppen im Minenkorridor, die uns bedrohen. Wer die Stimme erhebt, riskiert sein Leben. Wir wissen nicht genau, wer diese Gruppen kontrolliert, aber sie sind da und sorgen dafür, dass viele schweigen. Ich kenne Menschen, die verschwunden sind, nur weil sie gegen Ungerechtigkeiten protestiert haben. Diese Angst prägt unser Leben.

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Seit 2004 haben deutsche Energieunternehmen über 110 Millionen Tonnen kolumbianische Kohle importiert, ein Großteil stammt aus den Minen im Cesar. Welche Botschaft haben Sie für die Menschen in Deutschland?

Ich bitte die Menschen in Deutschland: Hören Sie auf, kolumbianische Kohle zu verbrauchen! Für Sie bedeutet sie Wohlstand, Energie, Komfort. Aber für uns bedeutet sie vertriebene Familien, zerstörte Dörfer, verlorene Leben. Ich verstehe, dass Energie wichtig ist, aber ich flehe Sie an, sich des Preises bewusst zu werden, den wir dafür zahlen. Ihre Solidarität kann den Unterschied machen.

Wie könnte die deutsche Gesellschaft konkret dazu beitragen, die Situation im Cesar zu verbessern?

Die Menschen könnten Druck auf Energieunternehmen ausüben, die unsere Kohle kaufen. Mein Vorschlag ist, dass deutsche und europäische Unternehmen einen Fonds einrichten, um die Opfer des Minenkorridors zu entschädigen. Dieser Fonds könnte auch die Bildung unserer Kinder unterstützen. Viele junge Menschen im Cesar träumen von einer besseren Zukunft jenseits der Kohle, aber sie brauchen Zugang zu Schulen, zu Ausbildungsmöglichkeiten. Das wäre ein Schritt hin zu Gerechtigkeit und Heilung.

Was gibt Ihnen Hoffnung für die Zukunft Ihrer Region?

Meine Hoffnung liegt in unserer Gemeinde. In den Menschen, die trotz Gewalt, Armut und Ungerechtigkeit weiterkämpfen. In den Frauen, die sich organisieren; in den jungen Menschen, die träumen, die lernen wollen, die unsere Region wieder aufbauen möchten. Und ich sehe Hoffnung in der internationalen Solidarität, wie sie Organisationen wie Kolko und Pax for Peace zeigen. Sie tragen unsere Stimme in die Welt, und das gibt uns Kraft. Mein Traum ist eine Zukunft, in der der Cesar nicht länger für den Reichtum anderer blutet, sondern ein Ort ist, an dem unsere Kinder in Frieden und mit Würde aufwachsen können. Dafür kämpfen wir.

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