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Die wollen nur spielen

Eine politikwissenschaftliche Studie über »Bullshit als politische Strategie« erklärt den performativen Unsinn des Populismus

  • Tobias Prüwer
  • Lesedauer: 7 Min.
Alles nur Spielchen? Der sogenannte QAnon-Schamane auf einer Trump-Wahlveranstaltung, bevor er zwei Tage später am 6. Januar 2021 am Sturm auf das Kapitol in Wahsington teilnahm
Alles nur Spielchen? Der sogenannte QAnon-Schamane auf einer Trump-Wahlveranstaltung, bevor er zwei Tage später am 6. Januar 2021 am Sturm auf das Kapitol in Wahsington teilnahm

Zionistische Laserkanonen aus dem All sind verantwortlich für Waldbrände in Kalifornien. Frauen treiben noch nach der Geburt ab. Für ein Tempolimit auf den Autobahnen fehlen die Verkehrsschilder und ein Reichsbürger krönt sich selbst zum König: Die Gegenwartspolitik ist voller Falschbehauptungen und verwirrender Praktiken. Marjorie Taylor Greene, Donald Trump, Volker Wissing und Peter Fitzek sind dafür willkürliche Stichwortgeber für derlei Unsinn. Aber meinen die das ernst? Oder haben sie Spaß an der dreisten Lüge? Solche Fragen sind schief gestellt, meinen die Leipziger Politikwissenschaftler Robert Feustel und Gregor Ritschel. Deshalb untersuchen sie mit ihrem Buch »Populistische Spiele« anhand des Spielbegriffs »Bullshit als politische Strategie«. Denn die Verlautbarer des Unsinns, so ihr Verdacht, unterlaufen die Unterscheidung zwischen Ernst und Spaß, Wahrheit und Lüge. Ihre Studie verstehen sie nicht als Gegenentwurf zu anderen Theorien des Populismus, sondern als Ergänzung, um blinde Stellen zu identifizieren. Sie stellen das Bullshit-Bingo in allen politischen Lagern fest, im rechten bis ganz rechten sei es aber überwiegend zu verorten.

Gefährliches Spiel mit dem Bullshit

»Flood the Zone with shit«, so erklärte Trumps Ex-Berater Steve Bannon die politische Überwältigungstaktik. Es gehe darum, so viel Unsinn zu behaupten, bis niemand mehr mit dem Richtigstellen hinterherkommt. Doch soll Bullshit-Verbreiten nicht nur überwältigen, so Feustel und Ritschel. Den Begriff Bullshit führte der Philosoph Harry Frankfurt ein, indem er den Kraftausdruck – wortwörtlich: »Bullenkot« – inhaltlich unterfütterte. Bullshit, das ist purer Unsinn. Steht die Lüge der Wahrheit gegenüber, so steht Unsinn jenseits dessen. Wer lügt, nimmt am Wahrheitsspiel teil und erkennt die Existenz von Wahrheit an. Der Lügner entscheidet sich nur, das Gegenteil zu behaupten. Wer hingegen Bullshit verbreitet, kümmert sich nicht um Wahrheit oder Lüge.

Bullshitter sind nach Frankfurt Blender, denen es um die Performance geht. Hier setzen Feustel und Ritschel mit dem Spielbegriff an. »Spiel« meinen sie nicht metaphorisch oder philosophisch, etwa wie in Ludwig Wittgensteins Sprachspiel-Theorie. Sie begreifen mit dem »Homo Ludens« von Johan Huizinga das Spiel als soziale Praxis. Es ist Entgrenzung und Überschreitung, Entwurf anderer Räume, Regeln und fantasievolle Aneignung der Welt. Durchs Spiel lernt der Mensch sich kennen. Gefährlich wird es, so Feustel und Ritschel, wenn sich das Spielerische ins Politische mischt, der performative Unsinn politisch wird.

Mit dem Spiel, so der Ansatz, lässt sich das Lächerliche und Absurde der Bullshitter fassen, was jene Ansätze nicht vermögen, die auf Vernunft und rationale Kommunikation setzen. Wenn etwa eine Rednerin beim versuchten Reichstagssturm 2020 behauptete, US-Präsident Trump sei zur Unterstützung der Querdenker und Reichsbürger in Berlin, dann war das weder Fake noch Spaß. »Das Spiel ist Motor der affektpolitischen Mobilisierung«, sagen die Autoren. Es fördert Emotionen und gibt dem Unsinn gewissermaßen Sinn. Natürlich bedeutet das im Kern die Leugnung, nur Spiel zu sein. So erscheint eine Doppelperspektive: Man betrachtet von außen so etwas wie ein Spiel, während die daran Beteiligten das anders sehen.

Vier Einsichten

Die Autoren machen vier Aspekte dieses performativen Unsinns aus, die sie für erkenntnisförderlich halten. Als Erstes nennen sie das Verschwimmen von Ernst und Spaß. Man kann mit heiligem Ernst in ein Computerspiel vertieft sein oder beobachten, wie konzentriert Kinder beim Spiel sind. So lässt sich die Krönungszeremonie des kürzlich festgenommenen Reichsbürgers Peter Fitzek als LARP (Live Action Role Playing), also als in echt veranstaltetes Rollenspiel, verstehen. Das sind eigentlich spielerische Zusammenkünfte von Menschen, die sich verkleidet zum Wochenendvergnügen ins Mittelalter einleben. Im Video der Pseudo-Krönung erklärt Fitzek dem Betrachter im feierlichen Ton das hohle Ritual – König Charles hätte das nicht gebraucht. Alle Beteiligten glauben an die Kraft des Rituals, halten gemeinsam performativ die Illusion aufrecht. Praxis verleiht dem Unsinn Sinn.

Darauf baut die zweite Einsicht auf. Populisten erzeugen alternative Welten und Wirklichkeiten. So wird der seit 2017 aktive QAnon-Verschwörungsmythos als ein Alternative Reality Game lesbar. Solche Computerspiele vermischen Realität und Spielelemente. Bei QAnon streut der anonyme Q Spuren in Internetforen, die die Akteure der Bewegung zu entschlüsseln glauben – mit realen Wirkungen, wenn etwa Bewaffnete in eine Pizzeria eindringen, um aus deren nicht existentem Keller malträtierte Kinder vor dem vermeintlichen Kinderschänderring der US-Regierung zu retten. Das Spiel wird hyperreal. Mit Jean Baudrillard begreifen die Autoren solche Realitätsverzerrungen als Simulation von Realität. Wie in einer Schnitzeljagd oder einem komplexen Rätsel wird alles Dienliche herangezogen, um einen absurden Sinnzusammenhang herzustellen und eine alternative Realität zu kreieren.

Der dritte Hinweis der Autoren hebt auf den Aberglauben ab. Wider besseren Wissens pflege man persönliche Marotten, klopfe auf Holz etc. Ohne Überzeugung halte man an der vorgespielten Wahrheit fest. Diese Facette liegt mit den drei anderen Elementen über kreuz, denn es wird nicht deutlich, ob es hierbei vor allem um Gewohnheiten geht und was diese dann genau mit dem populistischen Spiel zu tun haben. Hingegen ist der vierte Aspekt wieder plausibler: Im Spiel gelingen Affektmobilisierung und das Aufbauen sozialer Beziehungen mühelos, weil es auf das Lustprinzip baut. Man teilt einen erschaffenen, lustvollen Sinnzusammenhang. Die gemeinsame Performance setzt Emotionen frei, eint nach innen und schirmt nach außen ab. Aus dem Gegner im politischen Wettbewerb wird der Feind der Gemeinschaft. Hier erlebt das vom Auflösen der Gewissheiten überforderte Individuum eine neue Großerzählung. In der Spielgemeinschaft findet es Halt. Man ist außer sich, fühlt sich jenseits realer Zwänge. Für die Teilnehmer selber ist das natürlich kein Spiel, betonen die Autoren – auch das sei charakteristisch fürs Spiel.

Zwischen Unsinn und Irrsinn

Betrachtet man diese Phänomene von außen als Spiele von Menschen, die nicht glauben, dass sie spielen, hat das auf der Beschreibungsebene seinen Reiz. Das macht sie greifbarer. Die Idee könnte zur ergänzenden Perspektive reifen für Analysen wie »Triggerpunkte« von Steffen Mau, Thomas Lux und Linus Westheuser oder den Untersuchungen zum »Libertären Autoritarismus« von Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey. Die populistischen Spiele lassen sich als Reaktionen auf identitären Sicherheitsverlust und Flucht vor empfundenen Kränkungen verstehen. Der Masseneffekt der gegenseitigen Bestätigung ist bekannt, das Spiel bietet den Rahmen für solch eine unbewusste Verabredung. Wenn alle es glauben, ist der König nicht nackt. Dann sind Wahlen gefälscht, es herrscht ein Veganismusdiktat und die nächste Eiszeit steht bevor.

Der Spielbegriff eignet sich als eine analytische Brille, gerade weil er nicht geschlossen ist. Vielleicht muss er geschärft werden oder durch andere Formen wie dem Fest und der Prozession ergänzt werden – diese drängen sich jedenfalls auf, schaut man sich Demos von Pegida bis Querdenken an, die mit Lichterketten irgendetwas Heiliges inszenieren oder mit Fantasiekostümen ans LARP erinnern. Hierbei geht es um das Aussetzen der Realität und das Erzeugen eines Anderen in der Gemeinschaft, um die großen Emotionen eben.

Es bleibt die Crux: Eine völlige erfundene Welt jenseits aller Realität gibt es nicht. In einem gewissen Maße muss den Leuten aufgehen, dass nicht alles stimmen kann. Dennoch meinen sie es irgendwie ernst. Sie vertrauen auf Unsinn, orientieren sich im echten Leben permanent an der Realität. Dieses Dilemma kann auch der Spielansatz weder auflösen noch bekommt er es ganz zu fassen. Vielleicht muss die Psychologie hier der Politikwissenschaft beispringen? Der Zugang übers Spiel verfügt aber seinerseits über erhellende Züge, die andere Ansätze informieren könnten. Er plausibilisiert absurde Situationen: etwa dass sich erwachsene Menschen Schlüpfer ins Gesicht hängen, um gegen Pandemiebekämpfung zu demonstrieren, óder dass sie glauben, ein Verkehrsschildermangel spreche gegen ein Tempolimit auf Autobahnen. Der Spielansatz nimmt den Populismen nicht ihre Gefährlichkeit. Aber er ermöglicht, sie in einem Zwischenschritt ernst zunehmen, ohne sie sofort zu pathologisieren und aus Unsinn umstandslos Irrsinn zu machen.

Robert Feustel/Gregor Ritschel: Populistische Spiele. Bullshit als politische Strategie. Kohlhammer, 130 S., br., 24 €.

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