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Kongress der Komintern: »Eine besonders wichtige Aufgabe ...«

Mit der Volksfront gegen den Faschismus: Vor 90 Jahren wurde in Moskau der VII. Weltkongress der Komintern eröffnet

  • Ronald Friedmann
  • Lesedauer: 5 Min.
Auf dem VII. Weltkongress der Komintern: KI-Chef Georgi Dimitroff, Maurice Thorez (FKP) und Wilhelm Pieck (KPD)
Auf dem VII. Weltkongress der Komintern: KI-Chef Georgi Dimitroff, Maurice Thorez (FKP) und Wilhelm Pieck (KPD)

Die Mehrzahl der 510 Delegierten von 65 kommunistischen und Arbeiterparteien aus aller Welt, die sich an diesem 25. Juli 1935 im Säulensaal des Moskauer Gewerkschaftshauses zur feierlichen Eröffnung des VII. Weltkongresses der Kommunistischen Internationale (KI) versammelten, war mit großen Erwartungen und Hoffnungen in die sowjetische Hauptstadt gekommen. Zweieinhalb Jahre nach ihrer welthistorischen Niederlage – der Übergabe der politischen Macht in Deutschland an Hitler und die NSDAP und der nahezu vollständigen Zerschlagung der traditionsreichen deutschen Arbeiterbewegung – stand die von Moskau geführte internationale kommunistische Bewegung vor einer gewaltigen Herausforderung. Es galt, nun endlich schonungslos und vor allem selbstkritisch die Ursachen dieser Niederlage aufzudecken und – gestützt auf die so gewonnenen Erkenntnisse – eine wirksame Strategie gegen den Hitlerfaschismus und dessen Spielarten in aller Welt zu entwickeln.

Der VII. Weltkongress sollte ursprünglich in der zweiten Jahreshälfte 1934 stattfinden, doch dessen Beginn musste mehrfach verschoben werden. Denn vorerst gab es massiven und hinhaltenden Widerstand aus den eigenen Reihen: Maßgebliche Kräfte innerhalb der KI und der Mitgliedsparteien waren nicht bereit, die in jeder Hinsicht gescheiterte Politik des Kampfes gegen die als »Sozialfaschismus« denunzierte Sozialdemokratie endlich aufzugeben und den Kampf gegen den Faschismus als dringendste und in jeder Hinsicht vorrangige Aufgabe zu erkennen und anzuerkennen. So hatte das XIII. Erweiterte Plenum des Exekutivkomitees der KI (EKKI), das im Dezember 1933 in Moskau zusammengetreten war, ausdrücklich einen Beschluss zu den Aufgaben der KPD vom April 1933 bestätigt, in dem es hieß: »Die Kommunisten hatten recht, als sie die Sozialdemokraten als Sozialfaschisten bezeichneten.« Mit anderen Worten: Die Kommunistische Internationale in ihrer Gesamtheit war »revolutionär tot« und »intellektuell zugrunde gerichtet« (Pierre Frank).

Es waren zwei Entwicklungen, die wesentlich dazu beitrugen, die gescheiterte Politik der vergangenen Jahre zu überwinden und eine neue, zeitgemäße Strategie des antifaschistischen Kampfes zu entwickeln und für alle Mitgliedsparteien der KI verbindlich durchzusetzen – die Schaffung einer breiten antifaschistischen Volksfront, also eines Bündnisses von Kommunisten und Sozialisten, Sozialdemokraten und anderen antifaschistischen Kräften, auch aus dem bürgerlichen Lager.

Die sowjetische Führung unter Stalin hatte bereits seit Mitte der 1920er Jahre mit ihrer Politik des »Sozialismus in einem Land« eine strategische Wende in ihrer Außenpolitik vollzogen und im Interesse guter Nachbarschaft mit den kapitalistischen Staaten darauf verzichtet, in anderen Ländern »Revolutionen« auslösen zu wollen. Nun ging sie noch einen Schritt weiter: Angesichts der durch den Machtantritt Hitlers deutlich gestiegenen Kriegsgefahr orientierte sie seit Ende 1933 auf die Schaffung eines internationalen Systems der kollektiven Sicherheit, das ohne Partner im bürgerlichen Lager nicht denkbar war.

Die Erkenntnis, dass der Kampf gegen alle Formen des Faschismus die Schaffung breitester Bündnisse unter Einschluss aller willigen Menschen erfordert, hat die Jahrzehnte überdauert und ist aktueller denn je.

Zeitgleich vollzogen sich in verschiedenen Ländern grundsätzliche Entwicklungen in Richtung einer neuen Einheits- und Volksfrontpolitik gegenüber der Sozialdemokratie und anderen antifaschistischen Kräften. Auch wenn diese Entwicklungen in vielen Aspekten inkonsequent und sogar widersprüchlich waren, konnten sie für die Mitgliedsparteien der KI in aller Welt nicht ohne Konsequenzen bleiben. Besonderes Gewicht hatten dabei die Geschehnisse in Frankreich, wo der Kampf um die Volksfront im besten Sinne eine Bewegung von unten war.

Daher konnte Georgi Dimitroff, der Generalsekretär der KI, in seinem Referat auf dem VII. Weltkongress feststellen: »Bei der Mobilisierung der werktätigen Massen zum Kampf gegen den Faschismus ist die Schaffung einer breiten antifaschistischen Volksfront auf der Grundlage der proletarischen Einheitsfront eine besonders wichtige Aufgabe.«

Doch Verlauf und Ergebnisse des Weltkongresses machten auch deutlich, dass es der KI nicht gelang, ein wirklich tiefgehendes Verständnis für den besonderen Charakter des Faschismus als Herrschaftsform des Kapitals zu entwickeln. Die von Dimitroff zitierte »klassische« Definition des XIII. Erweiterten Plenums des EKKI, der zufolge der »Faschismus an der Macht […] die offene, terroristische Diktatur der reaktionärsten, chauvinistischsten, am meisten imperialistischen Elemente des Finanzkapitals« ist, präzisierte zwar den zuvor nur allgemein benannten Zusammenhang zwischen Kapitalismus und Faschismus, doch durch die ausschließlich ökonomistische Betrachtungsweise ignorierte beziehungsweise verkannte die »Dimitroffsche Formel« die ideologische und kulturelle Dimension und damit den besonderen Charakter des Faschismus als einer Massenbewegung. Durch die mechanische Gleichsetzung von ökonomischer und politischer Macht erklärte sie implizit jede Form der Machtausübung des Kapitals zu einer »Diktatur«. Sie war daher nicht wirklich geeignet, die schon »traditionelle« Ablehnung der bürgerlichen Demokratie durch die kommunistische Bewegung zu überwinden.

Trotz aller Unzulänglichkeiten waren die in den Dokumenten des VII. Weltkongresses niedergelegten Erkenntnisse ein bedeutender Beitrag zur Entwicklung einer zeitgemäßen Strategie und Taktik der kommunistischen Bewegung. Die Schaffung einer breiten antifaschistischen Volksfront wurde für alle Mitgliedsparteien zur verbindlichen Aufgabe erklärt. In Frankreich, dem republikanischen Spanien und in Chile trug diese neue Politik zeitweise Früchte. Auch innerhalb der deutschen antifaschistischen Emigration gab es mit dem »Lutetia«-Kreis um den Schriftsteller Heinrich Mann und dem »Appell an alle Menschen guten Willens« vom Februar 1936 eine bedeutende, von den Moskauer Beschlüssen inspirierte Initiative.

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Der VII. Weltkongress und sein Bekenntnis zur Volksfrontpolitik verschafften der Kommunistischen Internationale einen Aufschub von wenigen Monaten, bevor die Agonie der »Weltpartei« einsetzte. Denn die Moskauer Schauprozesse der Jahre 1936 bis 1938 entzogen der Volksfrontpolitik die notwendige Basis. Der sogenannte Hitler-Stalin-Pakt vom Spätsommer 1939 versetzte ihr den Todesstoß. Damit wurde das Ende der Kommunistischen Internationale durch die von Stalin verfügte »Selbstauflösung« im Sommer 1943 unvermeidlich.

Doch die Erkenntnis, dass der Kampf gegen alle Formen des Faschismus die Schaffung breitester Bündnisse unter Einschluss aller willigen Menschen erfordert, hat die Jahrzehnte überdauert und ist aktueller denn je.

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