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- »Oxana – Mein Leben für Freiheit«
Charlène Favier: Hommage an die Mitgründerin von Femen
Charlène Favier präsentiert mit »Oxana« eine Hommage an Oksana Schatschko
Die Organisation Femen hat ihren Ursprung im Jahr 2008 im Kampf gegen Sextourismus und Prostitution in der Ukraine. Mittlerweile ist die Frauenrechtsgruppe für ihre Oben-ohne-Proteste gegen alle Formen der Diskriminierung und Unterdrückung bekannt. Wie hängt all das zusammen?
Femen nutzen ihre Weiblichkeit als Waffe gegen Ungerechtigkeiten, ihre Protestweise mit Parolen auf der Brust ist aber sehr maskulin und aggressiv. Sind sie zerbrechlich oder sind sie es nicht? Sind sie stark? Sind sie schön, aber auch klug? Es ist für manche Menschen wirklich verstörend, Femen gesellschaftlich einzuordnen. Ich bin Feministin und weiß, dass der Körper eine Waffe für den Frieden sein kann. Aber 80 Prozent der Leute betrachteten diese schönen, nackten Mädchen auf der Straße als Prostituierte. In der Ukraine war Prostitution weitverbreitet, Femen nutzte den Körper als Flagge für eine politische Botschaft.
Oksana Schatschko und ihre Mitstreiterinnen, Anna Hutsol und Aleksandra Shevchenko, setzten sich gegen Unterdrückung ein. Vor allem Oksana ging sehr frei mit ihrer Sexualität und ihrem Körper um.
Der Film zeigt auch den Preis dieser Freiheit für Frauen. Bevor diese Frauen 2013 in Paris ankamen, waren sie in Russland im Gefängnis, wurden dort geschlagen und gefoltert. Ich zeige im Film einige gewalttätige Momente, auch Folter in Belarus. Mir ist wichtig, dass die Leute verstehen, welchen Mut diese 22-jährigen Frauen aufgebracht haben.
Charlène Favier, geboren 1985 in Lyon, studierte Schauspiel an der internationalen Schule Jacques Lecoq in London und anschließend in New York. Mit 24 Jahren gründete sie ihre eigene Produktionsfirma: Charlie bus production. Zunächst schrieb sie Kurzfilme, 2020 ihren ersten Spielfilm »Slalom«, dessen Aufführung wegen der Corona-Pandemie verschoben werden musste. Ihr neuer Film würdigt die ukrainische Künstlerin und Feministin Oksana Schatschko, Jahrgang 1987, die am 23. Juli 2018 in Montrouge bei Paris tot aufgefunden wurde. Oksana ist die ukrainische Schreibweise von Oxana.
Als Sie angesprochen wurden, das Leben von Oksana zu verfilmen, kannten Sie da Oksana schon?
Ehrlich gesagt kannte ich sie davor nicht und ich habe mich dann gefragt, warum nicht. Ich bin Feministin und Künstlerin. Ich hätte sie gerne kennengelernt. Je mehr ich über sie erfahren habe, desto mehr habe ich das Bedürfnis gespürt, ihr eine Hommage zu widmen. Sie war voller Widersprüche: Sie hielt stets die Werte der Religion hoch, wollte mit 14 Jahren Nonne werden – und wurde eine Aktivistin gegen das System der Kirche. Sie war eine Geflüchtete ohne Papiere, dachte aber nie an sich selbst, sondern half den Armen und Schwachen. Sie wurde eine wichtige Führungspersönlichkeit der ukrainischen Freiheitsbewegung, wollte die Welt retten und demonstrierte gegen das Patriarchat. Aber sie liebte auch die Männer und hatte viele Männer gleichzeitig.
Wie viele?
Sechs.
Sie haben die Männer auch getroffen. Was haben Sie von ihnen gelernt?
Sie waren damals alle total in Oksana verliebt. Und sie liebte sie, aber wechselte von einem zum anderen. Manchmal, wenn man so frei ist, ist man verloren, weil man sich an Nichts festhält. Ihre Männer hatten versucht, ihr zu helfen, als sie mit posttraumatischem Stress, Einsamkeit und Depressionen zu kämpfen hatte. Mir war es wichtig, auch diese dunkle Seite von Oxanas Leben zu zeigen. Man spürt die Schwere, die sie in Paris befiel, und sieht, wie sie in der Ukraine voller Hoffnung und Lebensfreude war.
Kunst war ein wesentlicher Bestandteil von Oksanas Leben, sie studierte an der Pariser Universität der Künste. Wie haben Sie diesen künstlerischen Teil in die Machart des Films integriert?
Durch die vorbereitenden Gespräche habe ich verstanden, dass Oksana schon zu Lebzeiten eine Ikone war. Mein Team und ich hatten eine große »Kunst-Bibel«, in der wir unter anderem Gemälde von Eugène Delacroix gesammelt hatten und die uns als Referenz für die Farb- und Bildgestaltung des Films gedient hat. Oksanas Leben ist für mich voller Farbe – die Farbe der Ikonen, die sie gemalt hat, die Farbe, mit der sie Körper bemalt hat. Ich hatte die Idee, den Film als lebendiges Gemälde zu inszenieren, in dem Oksana von Licht umgeben ist. Sie sollte im Mittelpunkt stehen – eine Position, die man ihr nicht zugestehen wollte. Sie ist wie eine christliche Figur. Ihre Mutter hat sie immer »meine kleine Jeanne d’Arc« genannt. Für mich ist sie tatsächlich ein wenig wie die »Jungfrau von Orléans«. Zuerst wurde sie bewundert, dann abgelehnt, weil sie anders war. Ihr Selbstmord ist wie ein Opfermoment. Sie war für mich eine Märtyrerin – wie Jesus Christus am Kreuz.
Welchen Herausforderungen sind Sie bei der Produktion von »Oxana« begegnet?
Ich habe 2021 mit dem Film während der Covid-Pandemie begonnen. Ich habe zwei Jahre lang recherchiert, viele Artikel gelesen und den wunderbaren Dokumentarfilm »Je suis Femen« (Ich bin Femen) von Alain Margot angesehen. Meine Hoffnung war, nach der Pandemie in die Ukraine zu reisen, dort das Casting zu machen und vor Ort passende Drehorte zu finden. Vor allem wollte ich ein Gefühl für das Land bekommen, denn ich wusste praktisch nichts über die Ukraine. Am 24. Februar 2022 haben wir gerade unseren Förderantrag bei der ukrainischen Regierung für die Koproduktion gestellt – und genau an diesem Tag marschierte die russische Armee ein. Am selben Tag fand die César-Verleihung in Cannes für meinen Film »Slalom« statt. Ich verfolgte die Zeremonie von zu Hause aus, weil ich gerade meine Tochter geboren hatte. Als ich die schrecklichen Nachrichten über den russischen Angriffskrieg in der Ukraine hörte, grübelte ich, was das für das Filmprojekt bedeutet, was jetzt passieren wird. Fünf Minuten später dachte ich, dass dieser Film sehr wichtig sein wird. Das hat mir die Kraft gegeben, den Film trotz aller Widerstände umzusetzen.
Wie konnten Sie den Film realisieren?
Um den Film zu finanzieren, musste er auf Französisch sein. Es war also eine große Herausforderung, das Drehbuch zu schreiben, um sicherzustellen, dass wir genug Französisch im Film hatten. Jemand saß hinter mir und zählte alle Wörter. Die Anzahl der französischen Worte musste mit der im Ukrainischen, Russischen und Weißrussischen übereinstimmen. Die Casting-Direktorin Tatyana Vladzimirskaya wohnte in Kiew und kam als Geflüchtete nach Paris. Wir casteten per Zoom zwei Jahre lang über 100 Schauspielerinnen und entdeckten so auch Albina Korzh für die Rolle der Oksana. Wir haben dann die Hälfte des Films in Paris und die Hälfte in Budapest gedreht. Unser ukrainischer Koproduzent hat mir geholfen, Orte in Ungarn zu finden, die ukrainisch aussahen. Außerdem haben wir Geflüchtete in unser Team aufgenommen, die uns sehr geholfen haben, den ukrainischen Geist einzufangen.
Wie haben Sie Albina Korzh auf die Rolle der Oksana vorbereitet?
Wir haben uns viel unterhalten und ihr viele Fotos von Oksana und Femen gezeigt. Wir haben uns beide mit Oksanas Männern und Oksanas Mutter unterhalten, Videos und Dokumentarfilme mit Oksana angesehen. Als sie für den Dreh nach Paris kam, war sie Oksana. Sie ist auch Oksana wirklich ähnlich: stark, aber auch sehr zerbrechlich. Sie und die anderen Schauspielerinnen leben noch in Kiew. Sie erleben den Krieg täglich, ihre Väter, Freunde und Brüder kämpfen an der Front. Während der Dreharbeiten hatte Albina oft Angst um sie. Bei Raketenalarm auf ihrem Handy weinte sie manchmal. Aber sobald sie am Set war, war sie großartig.
Was können wir von Oksana lernen?
Als sie fast noch Teenager waren, haben Oksana und eine Mitbegründerin gesagt, dass sie wach sein müssen, um ihr Volk aufzuwecken. Als Oksana gegen Wladimir Putin und Alexander Lukaschenko, die Präsidenten von Russland und Belarus protestierte, war es noch nicht so schlimm wie heutzutage. Wir wollen in der Komfortzone bleiben, glauben, das Schlimmste wird nicht passieren – aber es passiert gerade. Wir müssen endlich aufwachen. Alles, was wir tun, zählt. Egal, ob du einen Artikel schreibst, etwas auf Instagram postest, zur Gay Pride in Budapest gehst oder einen Film machst. Meine Mission ist es, etwas zu erschaffen, das größer ist als ich selbst. Ich möchte Filme machen, die die Welt verändern – auch wenn ich nicht den Mut von Oksana besitze.
»Oxana – Mein Leben für Freiheit«: Frankreich 2024. Regie: Charlène Favier, Drehbuch: Charlène Favier, Diane Brasseur, Antoine Lacomblez. Mit: Albina Korzh, Maryna Koshkina, Lada Korovai, Oksana Zhdanova, Yoann Zimmer, Noée Abita, Mariia Kokshaikina. 103 Minuten. Kinostart: 24. Juli.
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