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Ein Staat, zwei Staaten, Konföderation
Die Zweistaatenlösung gilt vielen Linken als unhinterfragbar. Doch es gibt auch Alternativen
In der deutschen Debatte gilt die Zweistaatenlösung heute als unhinterfragbar. Alles, was den Charakter Israels als jüdischen Staat diskutiert, wird als antisemitisch ausgelegt. Doch unter jüdischen und palästinensischen Linken wurden und werden immer auch Alternativen diskutiert. Wir skizzieren einige Positionen.
Einstaatlösung
Die Idee eines gemeinsamen jüdisch-arabischen Staates war in den 1920er Jahren unter Jüd*innen durchaus populär – die damals allerdings nur eine kleine Minderheit in Palästina waren. Der von Gershom Sholem und Martin Buber mitgegründete »Friedensbund« (Brit Schalom) etwa trat für einen binationalen Staat mit gleichen Rechten für Araber*innen und Jüd*innen ein. Auch in der Kibbuzim-Bewegung Hashomer Hatzai waren bis weit in die 40er Jahre hinein nationalstaatskritische Positionen vorherrschend.
Ganz ähnlich argumentierte die Philosophin Hannah Arendt, die zwar die Notwendigkeit einer jüdischen Heimstatt sah, eine Teilung Palästinas und die Gründung eines – ethnisch-religiös fundierten – Staates jedoch ablehnte. In ihrem Aufsatz »To Save the Jewish Homeland« kritisierte sie 1948 die staatszionistischen Gruppen scharf und plädierte für ein binationales Treuhandgebiet unter internationaler Schirmherrschaft. Die »Pseudo-Souveränität eines jüdischen Staates« werde auf Dauer, so Arendt, keine Sicherheit bringen. Ohne arabisch-jüdische Kooperation sei »das gesamte jüdische Unterfangen zum Scheitern verurteilt«. Außerdem sah Arendt das Entstehen eines »nationalistischen Überlegenheitskomplexes« auf jüdischer Seite voraus.
Der UN-Teilungsplan von 1947 (den auch die Sowjetunion unterstützte) machte die Idee eines binationalen Staates obsolet. Die arabischen Nachbarn erklärten dem neu gegründeten Staat Israel den Krieg, jüdische Milizen vertrieben die arabische Bevölkerung. Selbst die einzige binationale Partei, die moskautreue Kommunistische Partei Palästinas, verabschiedete sich von der Vision eines gemeinsamen Arbeiter- und Bauernstaates »from the river to the sea«.
Auf der palästinensischen Seite ging es zunächst darum, an der Seite der arabischen Regierungen den Aufbau eines jüdischen Staates zu verhindern. Erst mit der arabischen Niederlage 1967 begann sich die PLO als eigenständige nationale Befreiungsbewegung zu begreifen und strebte einen einzigen, säkularen Staat für Muslim*innen, Christ*innen und Jüd*innen an.
Heute lehnen fast alle jüdischen Israelis eine Einstaatlösung ab, weil sie in diesem Staat erneut eine erpressbare Minderheit wären. Umgekehrt weist der palästinensisch-amerikanische Historiker Rashid Khalidi darauf hin, dass die Einstaatlösung heute faktisch umgesetzt ist. Zwischen Jordan und Mittelmeer gebe es nur einen Staat, nämlich Israel, der den dort lebenden Menschen allerdings völlig ungleiche Rechte gewähre.
Zweistaatenlösung
Die Zweistaatenlösung geht auf einen Vorschlag der hochumstrittenen Peel-Commission aus dem Jahr 1937 zurück, die Großbritannien die Teilung Palästinas empfahl. Obwohl der Teilungsplan einer kolonialen Perspektive entsprang, wurde er 1947 von der UN-Vollversammlung angenommen.
Für die palästinensische Seite schien die Gründung eines eigenen Staates neben Israel inakzeptabel, weil damit die Teilung des Landes und die Vertreibung von knapp 700 000 Palästinenser*innen legitimiert worden wären. Da unter diesen Voraussetzungen kein Staat Palästina entstehen sollte, wurde das Westjordanland zunächst von Jordanien annektiert, der Gazastreifen von ägyptischen Truppen besetzt.
Mit dem Sechstagekrieg von 1967 änderte sich die Situation grundlegend: Israel eroberte die Westbank, Gaza, die Sinai-Halbinsel sowie die Golanhöhen und war nun auch völkerrechtlich Besatzungsmacht. Mit dem Erstarken der PLO standen sich zwei »Befreiungs«nationalismen gegenüber – wobei der israelische sein Projekt 1948 bereits materialisiert hatte.
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Mit dem Osloer Abkommen von 1993 akzeptierte die PLO schließlich die Zweistaatenlösung. Doch die Gründung eines palästinensischen Staates in Westbank und Gazastreifen ließ weiter auf sich warten. Israelische Rechte sorgten dafür, dass entscheidende Punkte des Friedensabkommens nicht umgesetzt wurden; auf der palästinensischen Seite gewann die religiöse Rechte die Oberhand.
Heute erscheint eine Zweistaatenlösung insofern unrealistisch, als 800 000 jüdische Siedler*innen (von denen viele rechtsextrem und schwer bewaffnet sind) in der Westbank leben. Zudem besitzt die palästinensische Autonomiebehörde als protostaatliche Einrichtung in der eigenen Bevölkerung kaum Legitimation.
Konföderation
Vor diesem Hintergrund wird von einigen Linken wieder verstärkt über konföderale Lösungen nachgedacht, die nicht aus der Perspektive der Staatsnationen, sondern der in der Region lebenden Menschen entwickelt sind.
Der vielleicht interessanteste Vorschlag ist das Projekt »Land for All«. Die palästinensisch-israelische Initiative macht sich das Prinzip des »offenen Landes« zu eigen, in dem »sich die Bürger beider Länder frei bewegen und in allen Landesteilen leben können« sollen. Auch diese Initiative geht von der Anerkennung zweier Staaten aus, die allerdings konföderal miteinander verbunden werden sollen. So schlägt die Initiative die Gründung gemeinsamer staatlicher Institutionen vor und will für Jerusalem einen Status als »offene Stadt«.
»Der alternative Vorschlag eines föderierten Staates ist sehr viel realistischer. Er vermeidet die problematische Mehrheits-Minderheits-Konstellation, die ihrer Definition nach unlösbar ist.«
Hannah Arendt Philosophin
Entscheidend bei dem Vorschlag ist, dass er universelle Grundrechte durchsetzen will. Vor allem das Bleibe- und Rückkehrrecht sowie die Bewegungsfreiheit werden aufgegriffen. Eingewanderte jüdische Menschen sollen in der Westbank bleiben können (aber konfisziertes Land zurückgeben müssen), vertriebene Diaspora-Palästinenser*innen nach Israel zurückkehren dürfen. Staatsangehörigkeit und Wohnort sollen voneinander entkoppelt werden. Jüdische Menschen, die in der Westbank leben, sollen Israelis bleiben können, Palästinenser*innen in Israel palästinensische Staatsbürger*innen werden.
Den Befürworter*innen konföderaler Lösungen ist bewusst, dass ihre Vorschläge in Anbetracht der Polarisierung beider Gesellschaften nicht umsetzbar sind. Der Initiative geht es aber vor allem darum, unverrückbar erscheinende Nationalidentitäten zu öffnen und Aspekte »transformativer Gerechtigkeit«, vor allem Rückkehrrecht und Reparationen, auf die Agenda zu setzen.
Damit sind sie erstaunlich nah an den Ideen Hannah Arendts, die 1948 schrieb: »Der alternative Vorschlag eines föderierten Staates (…) ist sehr viel realistischer (als die des zionistischen Staates, Anm. d. Red.). Obwohl er eine gemeinsame Regierung für zwei verschiedene Völker vorsieht, vermeidet er die problematische Mehrheits-Minderheits-Konstellation, die ihrer Definition nach unlösbar ist. (…) Lokale Selbstverwaltung und gemischte jüdisch-arabische Stadt- und Dorfräte, die so klein und zahlreich sein sollten wie möglich, sind die einzigen realistischen politischen Maßnahmen, die zu einer politischen Emanzipation Palästinas führen können.«
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