Sachsen: Aktivist im Hungerstreik »hat nur noch Tage«

Kurdischer Flüchtling mit Protestaktion im Abschiebe­knast. Linke: Innen­minister soll sich äußern

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 4 Min.
Seit 2018 gibt es in der Dresdner Friedrichstadt eine Abschiebehaftanstalt mit 58 Plätzen.
Seit 2018 gibt es in der Dresdner Friedrichstadt eine Abschiebehaftanstalt mit 58 Plätzen.

Der kurdische Aktivist Hamza A. befindet sich nach fast anderthalb Monaten im Hungerstreik nach Angaben von Unterstützern in einem kritischen Zustand. Er habe »nur noch Tage, nicht Wochen«, erklärte Osman Oğuz vom Sächsischen Flüchtlingsrat (SFR). Der gesundheitliche Zustand von A., der seit Mitte Juni im Abschiebegewahrsam in Dresden inhaftiert ist, bereite »große Sorgen«. Jule Nagel, sächsische Landtagsabgeordnete der Linken, erklärte nach einem Besuch bei A. am Freitag, sie habe diesen »sehr geschwächt« erlebt: »Er hat stark abgenommen, wiegt noch 61 Kilogramm, die Organe schmerzen.« Die Inhaftierung sei angesichts seines Zustands höchst zweifelhaft. Nagel forderte den sächsischen Innenminister Armin Schuster (CDU) auf, sich unverzüglich zu dem Fall zu äußern.

A. engagierte sich nach eigenen Angaben in der Türkei in etlichen verbotenen kurdischen Parteien, wurde mehrfach verhaftet und inhaftiert. Zuletzt habe er in Istanbul unter Schikanen der Polizei gelitten und sei mit einem Ausreiseverbot belegt worden. Ihm sei klar gewesen, dass »mir noch Schlimmeres bevorstand, wenn ich blieb«, sagte er in einem Gespräch, das der SFR während des Hungerstreiks mit ihm führte und auf seiner Homepage veröffentlichte. Im Mai 2019 kam A. in die Bundesrepublik und stellte einen Asylantrag. Er wurde in einer Gemeinschaftsunterkunft im sächsischen Annaberg-Buchholz untergebracht, hatte aber nach eigenen Angaben von der Ausländerbehörde eine Arbeitserlaubnis erhalten und im Ruhrgebiet eine unbefristete Stelle in der Gastronomie angenommen. Er habe sich »ein Leben ohne staatliche Hilfe« aufgebaut.

Dennoch wurde er im Juni bei einem Behördentermin verhaftet und zu einem Abschiebeflug nach Berlin gebracht. Er sei »ohne Vorankündigung durch eine regelrechte Falle von Ausländerbehörde und Polizei aus seinem mit viel Mühe aufgebauten Leben gerissen« worden, kritisierte der Flüchtlingsrat. Die Abschiebung scheiterte, A. kam in die Abschiebehaftanstalt, die seit 2018 in Dresden besteht. Einem zweiten Versuch, ihn in Leipzig zu einem Flug in die Türkei zu bringen, entzog er sich, indem er sich selbst verletzte. Er ist weiter von Abschiebung bedroht. Nach Angaben des SFR läuft jedoch ein Eilverfahren am Verwaltungsgericht Chemnitz, um A. das »wohlverdiente Aufenthaltsrecht« zu sichern.

Dieser trat wenige Tage nach seiner Einweisung in das Dresdner Gefängnis am 24. Juni in den Hungerstreik. Er nimmt nur gesüßten Kaffee, Tee und Wasser zu sich. A. spricht von einer »politischen Aktion«, mit der er auch gegen die »unmenschliche Behandlung« in der Einrichtung protestieren wolle. In dem Gespräch mit dem SFR schildert er eine völlig unzureichende medizinische Betreuung, einen rabiaten Umgang des Sicherheitspersonals mit ihm und eine unangemessene Reaktion auf einen Selbstmordversuch, den er unternommen habe. Dieser sei »nicht ernst genommen« worden. Generell sei »jeder Tag hier geprägt von psychischer Gewalt«. A. sprach von »systematischer psychologischer Folter« und kündigte an, er werde »diesen Widerstand bis zum Ende durchhalten«.

»Wer einen offen oppositionellen Kurden dorthin abschiebt, macht sich an seiner Verfolgung mitschuldig.«

Osman Oğuz Sächsischer Flüchtlingsrat

Der SFR forderte angesichts des kritischen Zustands von A. die sofortige Aussetzung der Abschiebehaft und eine Bleibeperspektive für den kurdischen Aktivisten. Jeder weitere Tag in Haft gefährde unwiederbringlich seine Gesundheit und sein Leben. Zudem dürfe er nicht in die Türkei gebracht werden: »Wer einen offen oppositionellen Kurden dorthin abschiebt, macht sich an seiner Verfolgung mitschuldig.« Auch Nagel betonte, das Recht auf Leben und gesundheitliche Unversehrtheit dürften keinen geringeren Stellenwert bekommen als die Durchsetzung der Ausreisepflicht, »zumal diese im Fall Hamzas fragwürdig ist«. Seine Fluchtgründe sollten von den Behörden neu geprüft werden.

Mit einer Kleinen Anfrage an das Innenministerium drängt Nagel zudem auf Auskunft dazu, wie mit dem Hungerstreik von A. umgegangen wurde, ob diesem medizinische, seelsorgerische und psychologische Versorgung angeboten wurde und ob die Verlegung in ein Krankenhaus geprüft worden ist. Die Antworten stehen aus.

Auf Anfrage des »nd« bestätigte das Innenministerium, dass A. seit dem 17. Juni in Abschiebehaft sitzt, fügte aber an: »Nicht bestätigt werden kann, dass der Benannte seit 41 Tagen die Nahrungsaufnahme verweigert.« Zum Gesundheitszustand könne aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes nichts mitgeteilt werden. Das Ministerium betonte, der Asylantrag von A. sei bereits 2019 abgelehnt worden, Klagen seien erfolglos geblieben. Zuletzt habe das Verwaltungsgericht Chemnitz am 2. Juli die Rechtmäßigkeit der Abschiebung bestätigt. Weil er sich dieser mehrfach entzogen habe, werde sie durch Haft »abgesichert«.

In Sachsen können ausreisepflichtige Personen bis zu 18 Monate in Abschiebehaft genommen werden. 2024 betraf das 160 Menschen. Die Linke lehnt die Dresdner Einrichtung ab. »Das Geld, das in deren Betrieb fließt, wäre in Beratungs- und Unterstützungsstrukturen besser aufgehoben«, sagte Nagel.

- Anzeige -

Wir haben einen Preis. Aber keinen Gewinn.

Die »nd.Genossenschaft« gehört den Menschen, die sie ermöglichen: unseren Leser:innen und Autor:innen. Sie sind es, die mit ihrem Beitrag linken Journalismus für alle sichern: ohne Gewinnmaximierung, Medienkonzern oder Tech-Milliardär.

Dank Ihrer Unterstützung können wir:

→ unabhängig und kritisch berichten
→ Themen sichtbar machen, die sonst untergehen
→ Stimmen Gehör verschaffen, die oft überhört werden
→ Desinformation Fakten entgegensetzen
→ linke Debatten anstoßen und vertiefen

Jetzt »Freiwillig zahlen« und die Finanzierung unserer solidarischen Zeitung unterstützen. Damit nd.bleibt.