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Rast im Tod
Der Theaterkünstler Robert Wilson, der Shakespeare immer wieder auf die Bühne brachte, ist tot
Und jetzt also auch noch Robert Wilson. Gut zwei Wochen nach Claus Peymann ist ein weiterer Regie-Gigant der Kriegsgeneration von der Weltbühne abgetreten. 1941 im texanischen Waco geboren, hat Wilson seit den 60er Jahren zunächst die darstellende Kunst in den USA und bald schon in der ganzen Welt aufgemischt.
Seine Inszenierungen waren wie Stummfilme. Und wie Hörspiele. Beides zur gleichen Zeit. So hat er seine Arbeit beschrieben. Brecht erfand dafür den Begriff »Trennung der Elemente«. Musik und Spiel und Text und Bühnenbild nehmen ihre eigenen Rollen auf der Szene ein, beziehen sich vielleicht aufeinander, aber sind als unabhängige Akteure erkennbar. Wilson erkor selbst das Licht zum eigenen Darsteller.
Wie es euch gefällt: Alle zwei Wochen schreibt Erik Zielke über große Tragödien, politisches Schmierentheater und die Narren aus Vergangenheit und Gegenwart. Inspiration findet er bei seinem Genossen aus Stratford-upon-Avon.
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Seine frühen Arbeiten wurden vielfach, auch von ihm selbst, als »Oper ohne Musik« bezeichnet. Er schuf geschlossene, vollkommen poetische Werke, die sich jeglicher Kategorisierung für viele Jahre erfolgreich entzogen. Später, als Wilson es aufgegeben hatte, beharrlich die Grenzen der Kunst auszuloten, glichen seine Arbeiten manchmal Musicals ohne Musik, leicht konsumierbare, dabei kunstvoll gefertigte Stückchen.
Heiner Müller stellte 1989 in der Deutschen Akademie der Künste in Ost-Berlin fest, Wilson sei der einzige ihm bekannte Schöpfer eines kommunistischen Theaters. Kein Wunder also, dass es diesen hochpolitischen Artisten unter den unpolitischen Künstlern immer wieder zu Shakespeare gezogen hat.
»König Lear« (mit Marianne Hoppe in der Titelrolle), »Hamlet: a monologue« (worin er selbst die Bühne einnahm), »Das Wintermärchen« und »Der Sturm« hat er inszeniert und auch Verdis Opern »Macbeth« und »Otello« nach Shakespeare’schen Vorlagen. Allesamt Teil der Theatergeschichte, vom Autor dieser Zeilen ungesehen. Immerhin »Die Hamletmaschine«, Heiner Müllers große Shakespeare-Auseinandersetzung und Geschichtsanalyse, ist mir in seiner Regie aus einer Aufzeichnung bekannt.
Und Wilsons dreistündiges Opus »Shakespeares Sonette« am Berliner Ensemble, 2009 zur Premiere gekommen, konnte ich leibhaftig miterleben. Vom Rang aus, was in diesem Fall nicht von Nachteil war, sondern das Bühnengeschehen als aberwitziges Wimmelbild in stetiger Veränderung sichtbar machte.
In einem hochartifiziellen Bilderreigen tanzten Shakespeares Figuren über die Bühne. Mal um Mal wurden dem Publikum die Verse aus 25 der 154 Shakespeare’schen Sonette, 400 Jahre nach ihrer Erstveröffentlichung, eingegeben und bis zur Kenntlichkeit variiert. Der Musiker Rufus Wainwright hat die Kompositionen dafür geschaffen und Stratfords Sohn als ersten Dichter der Popmusik vorgestellt. Inmitten des streng geordneten und doch so befreit wirkenden Treibens ist Jürgen Holtz zu sehen, noch so ein nicht jung und doch zu früh gestorbener Bühnenkünstler, der Englands Königin gibt.
Das ist vielleicht das kommunistische Theater, das Heiner Müller beschrieben hat. Eine Bühnenkunst, die ihren Platz erst in der Zukunft hat und die schon jetzt, in ihren gelungensten Momenten, ihren vollen Zauber entfaltet.
Das Sonett mit der Nummer 66, wohl eines der berühmtesten, gehörte zur Auswahl der Inszenierung. Mit den Worten »All dessen müd, nach Rast im Tod ich schrei« nimmt es seinen Anfang – und endet mit den Versen: »All dessen müd, möcht ich gestorben sein, / Blieb nicht mein Liebster, wenn ich sterb, allein.«
Mach’s gut, Genosse Wilson.
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