- Kultur
- »Zwanghaft gesund essen«
Y-Kollektiv: Gott wohnt im Hackfleisch
Die Sehnsucht nach »gesunder Ernährung« kann krank machen, eine ARD-Doku berichtet davon
Es wäre leicht, darüber zu lachen: Ein Mann wie Robert F. Kennedy Jr., der einst wegen seines heftigen Kokainkonsums als untauglich fürs Amt betrachtet wurde, der Erkenntnisse über AIDS leugnet und Impfungen kategorisch ablehnt, ist heute Gesundheitsminister der USA. Er teilt auch seine Ernährungsgewohnheiten gern mit. So sagte Kennedy auf einer Veranstaltung im Jahr 2023, dass er gern rohe Milch trinkt. Und dass die amerikanische Ernährungsbehörde FDA den Verkauf unbehandelter Lebensmittel »aggressiv unterdrückt«, obwohl sie doch »der menschlichen Gesundheit zuträglich« seien.
In aufgeklärten Kreisen gilt die Pasteurisierung von tierischer Milch allerdings als wichtige Errungenschaft, weil dadurch Bakterien wie Salmonellen oder E. Coli auf ein Minimum reduziert werden. Die Idee, dass Impfungen schlecht und unbehandelte Lebensmittel gesünder seien als verarbeitete, verfängt aber nicht nur im Land der unbegrenzten Dummheiten.
»Mein Anmachspruch ist zehn von zehn: ›Babe, ich bin ungeimpft‹. Ich esse Fleisch, Fleisch, Fleisch, so viel ich runterkrieg’«, so tönt es im Song »Jung, Brutal, Gesund«, einer Kollaboration des Deutschrap-Duos Genetikk und der »Rohgang«: Das sind die Influencer Aaron Badou und Fabian Kowallik, die im Musikvideo zu »Jung, Brutal, Gesund« reihenweise Obst und Gemüse in die Kamera halten.
Zucker, Salz und Leitungswasser lehnen die Influencer ab.
Badou und Kowallik begreifen sich als Fitness- und Gesundheitsbotschafter für junge Menschen. Auf Instagram und Tiktok propagieren sie den Konsum von unverarbeiteten Lebensmitteln, vor allem Fleisch, Eiern, Obst, Gemüse und Milch. Salz, Zucker und Leitungswasser sind ihre erklärten Feinde, verarbeitete Lebensmittel beschreiben sie oft als »Gift«. Als »Gottes Nahrung« bezeichnen sie hingegen alles, was roh ist – insbesondere natürlich ihre eigenen Produkte wie etwa einen Rohhonig, den man zusammen mit der Single-CD (!) von »Jung, Brutal, Gesund« kaufen kann.
Auch darüber ließe sich lachen, aber: Welchen Einfluss die »Rohgang« auf junge Menschen haben kann, zeigt eine Doku des Reportagen-Verbunds »Y-Kollektiv«, die in der ARD-Mediathek zu finden ist: »Zwanghaft gesund essen – Wie ein Ernährungshype krank machen kann«. Darin lernt die Journalistin Katja Döhne unter anderem einen jungen Mann kennen, der seinen Erstkontakt mit der »Rohgang« als eine Art spirituelles Erlebnis beschreibt und nun den Ernährungsregeln der Influencer folgt. Im weiteren Verlauf geht es in der Dokumentation um Orthorexie, eine Form von Essstörung, bei der die Betroffenen aufgrund einer extremen Regulierung ihrer Ernährungsweise psychisch leiden. Die Doku offenbart aber auch einen weiteren Aspekt: Dass die beiden Influencer Badou und Kowallik von »Gottes Nahrung« sprechen, ist wohl mehr als der Versuch, ihren auserwählten Produkten einen markigen Begriff zu verpassen. Oft wird das Ernährungsprogramm aktiv mit religiösen Erzählungen verbunden.
Etwa spricht Badou von Lebensmitteln, »die nicht vom Teufel hochverarbeitet wurden«, und Kowallik erklärt auf demselben Kanal, auf dem er eben noch über die vermeintlich gesundheitlichen Vorteile von rohem Fleisch fabulierte, warum Kinder »Mama und Papa« brauchen. In einem weiteren Video trägt er einen Pullover mit dem Schriftzug »God created them male and female«. Es ist die englische Übersetzung aus dem Buch Genesis im Alten Testament: »Als Mann und Frau erschuf er sie«. Gepaart mit weiteren Inhalten wie etwa der konsequenten Ablehnung von Sonnencreme als »unnatürlich«, ergibt sich ein Bild: Was Badou, Kowallik und andere Ernährungs- sowie Fitness-Influencer*innen propagieren, ist eine im Kern antimoderne Geisteshaltung, die in der Ablehnung von »Industrieprodukten«, Lebensmittelkonzernen und transnationalen Organisationen wie der Weltgesundheitsorganisation ihren Ausdruck findet. Positiv beschrieben werden religiöse, quasi-religiöse und alternativmedizinische Inhalte.
An der Wissenschaft bedienen sich die beiden Influencer dabei nur höchst selektiv. Wenn bestimmte Studien die eigene Erzählung stützen, werden sie gern kurz zitiert. Wenn sie der Überzeugung widersprechen, werden sie nicht erwähnt oder es fällt ein diffuser Verweis aufs Bauchgefühl und »eigene Erfahrungen«. So verfahren auch seit eh und je Rechte und andere Aufklärungsfeinde, wie unter anderem der US-Gesundheitsminister, mit der Wahrheitsfindung – und es wäre leicht darüber lachen, würde es nicht funktionieren.
»Zwanghaft gesund essen – Wie ein Ernährungshype krank machen kann«, ARD-Mediathek
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