Aktienkurse profitieren von steigenden Militär­ausgaben

Rüstungskonzerne arbeiten in der EU grenzüberschreitend eng zusammen

Präsident Emmanuel Macron bei einer Präsentation des teilstaatlichen Rüstungskonzerns Safran
Präsident Emmanuel Macron bei einer Präsentation des teilstaatlichen Rüstungskonzerns Safran

Der Rubel rollt in der Europäischen Union, wenn Rüstung finanziert werden soll: Fünf Prozent der Wirtschaftsleistung sollen künftig in Militärgüter und strategische Infrastruktur fließen. In der Vergangenheit waren es eher zwei Prozent. In den kommenden Jahren sollen die EU-Staaten ihr Militär mit insgesamt rund 800 Milliarden Euro stärken, sieht das Strategiepapier »Readiness 2030« vor, das Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) im März in Brüssel vorgestellt hatte. Die Regierungen sollen vor allem mehr Waffen in Westeuropa kaufen und die Rüstungsfirmen in der EU stärker grenzüberschreitend zusammenarbeiten.

Diese verteidigungspolitische Kehrtwende kam an den Börsen bestens an. Der wichtigste Index europäischer Rüstungsaktien, MSCI Europe Aerospace and Defense, stieg seit der Ankündigung der früheren deutschen Verteidigungsministerin rasant an – von rund 260 bis auf 433 Punkte am Dienstag. Zu den Schwergewichten im Index gehören neben Airbus und der deutschen Rheinmetall die französische Safran: Mit einem Börsenwert von über 120 Milliarden Euro (mehr als die deutschen Autokonzerne BMW und Daimler zusammen) ein Riese am Aktienmarkt.

Der französische Staat ist mit rund zwölf Prozent an Safran beteiligt. In der breiten Öffentlichkeit kaum bekannt, produzieren die 100 000 Beschäftigten Hochtechnologie, beispielsweise Bauteile für das Rafale-Kampfflugzeug und den Eurofighter. Zusammen mit dem Münchner Triebwerkhersteller MTU beteiligt sich das Unternehmen an der Entwicklung des »Future Combat Air Systems« (FCAS). »Dieses neue Kampfflugzeugsystem der 6. Generation ist weit mehr als ein Nachfolger des Eurofighters und der Rafale«, begeistert sich die Bundeswehr auf ihrer Internetseite.

Das FCAS gilt als das ambitionierteste Rüstungsprojekt in der EU. Ziel ist die Entwicklung eines hochmodernen Luftkampfsystems, das ab 2040 den Eurofighter (produziert in Deutschland und Spanien) und die Rafale aus Frankreich ablösen soll. Es umfasst neben bemannten Kampfflugzeugen auch Drohnen sowie eine vernetzte Gefechtsführung mittels Cloud-Technologien. Für diesen Systemverbund werden Gesamtkosten im dreistelligen Milliardenbereich veranschlagt. Das industriepolitische Megavorhaben wollen Frankreich, Deutschland und Spanien gemeinsam stemmen. Politisch hakt es allerdings immer wieder, weil jede Regierung ein besonders großes Stück vom Kuchen abhaben möchte. Ende August soll nun entschieden werden, ob und unter welcher Führung das Projekt realisiert wird.

Ein kleineres Licht im MSCI-Index ist Schwedens Rüstungsschmiede Saab. Doch in Südamerika sticht der Flugzeugbauer einmal mehr die Konkurrenz aus: Nach Brasilien und Kolumbien entscheidet sich auch Peru für den neuen Kampfjet Gripen E, berichtete kürzlich das Fachblatt »Flugrevue«. Die Gripen wird als allwettertauglich und vergleichsweise preiswert angepriesen und soll einen minimalen logistischen Fußabdruck besitzen. Sie kann laut Firmenangaben »in Friedens- und Konfliktzeiten« mit einer minimalen Anzahl von drei bis fünf Soldaten operieren. Saab liefert auch an Airbus und kooperiert mit US-amerikanischen Rüstungskonzernen.

Der Konzern befindet sich mehrheitlich im Eigentum der legendären schwedischen Bankiersfamilie Wallenberg. Dagegen gehört der norwegische Rüstungskonzern Kongsberg mit seinen 13 000 Beschäftigten – das Unternehmen zählt ebenfalls zu den zehn größten im europäischen MSCI-Rüstungsindex – zur Hälfte dem norwegischen Staat.

Staat, Familien, Streubesitz: Die Eigentümerstrukturen in der europäischen Verteidigungsindustrie sind eben unterschiedlich. Was grenzüberschreitende Zusammenschlüsse zu (noch) größeren Rüstungskonzernen, wie sie vor allem bei den Werften seit Langem im Gespräch sind, auch künftig verhindern dürfte.

Gegenseitige Lieferbeziehungen spielen dagegen in der Praxis auf der europäischen Bühne längst eine wichtige Rolle. Und auch an gemeinsamen Projekten wird gearbeitet. So haben die EU-Kartellbehörden im Frühjahr die Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens der deutsch-französischen KNDS mit Rheinmetall und der französischen Thales freigegeben. Andreas Mundt, Präsident des Bundeskartellamtes: »Die geopolitische Lage wirkt sich unmittelbar auf die Rüstungsindustrie aus. Wir sehen zunehmend Kooperationsvorhaben zwischen verschiedenen europäischen Unternehmen, die auch wettbewerbliche Auswirkungen haben können.«

Ein wichtiger Aspekt sei die Frage, ob die Unternehmen das fragliche Projekt auch jeweils alleine hätten verwirklichen können. Das sei hier nicht der Fall, weshalb die Wettbewerbsbehörde nicht einschritt. Bereits 2040 will das Konsortium die Kampfpanzer Leopard 2 und Leclerc durch ein plattformübergreifendes Bodenkampfsystem ersetzen.

Insgesamt wächst die EU-Rüstungswirtschaft nach Angaben des Europäischen Verbands der Luftfahrt-, Raumfahrt- und Verteidigungsindustrie in Paris seit Jahren. Die Zahl der Beschäftigten wird mit 581 000 (2023) angegeben – etwa so viele wie in der zivilen Luft- und Raumfahrt arbeiten. Dabei sind die Übergänge zwischen zivil und Militär oftmals fließend. Beim tatsächlich transeuropäischen Riesen Airbus entfällt ein Fünftel des Umsatzes auf Rüstung, bei Safran ein Drittel. Anders Saab, das sich vor Jahren aus der Automobilproduktion verabschiedet hat: Dessen Rüstungsanteil beträgt rund 90 Prozent.

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