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Ostdeutschland: Wo »Grüne« nur ein Schimpfwort ist
Ökopartei stemmt sich gegen politischen Bedeutungsverlust und negatives Image im Osten
Das Café »Momo« im sächsischen Freiberg war gut gefüllt, die Atmosphäre freundlich, als die Grünen dieser Tage zum »Bier mit Banaszak« einluden. Die Veranstaltungsreihe mit Felix Banaszak, dem Bundesvorsitzenden der Ökopartei, findet üblicherweise in dessen Heimatstadt Duisburg statt. Derzeit aber bereist er den Osten und lädt auch hier Bürger zum geselligen Plausch.
Ob das immer gut geht, bleibt abzuwarten. Für eine Runde mit dem Politiker an diesem Mittwoch in Magdeburg würden diverse rechtsextreme Gruppen mobilisieren, warnte David Begrich vom dortigen Verein Miteinander: »Sie teilen Termin und Ort und ergehen sich in Andeutungen.« Die regionale Szene hat Erfahrung damit, grüne Spitzenpolitiker zu konfrontieren. Im Februar 2024 wurde die damalige Parteichefin Ricarda Lang in Magdeburg bei einer Bauerndemo von Rechtsextremen massiv bedrängt; die Polizei musste eingreifen.
Anfeindungen erleben freilich auch einfache grüne Parteimitglieder regelmäßig, nur dass ihnen die Polizei allzu oft nicht hilft. In Gotha wurde im Februar ein Parteibüro beschädigt und mit Mordaufrufen beschmiert; die Täter blieben unbekannt. Vergangene Woche wandten sich zwei Gothaer Grüne per Brandbrief mit einem »verzweifelten Hilfeschrei« an die Bundespartei. Sie schilderten ein Klima permanenter Angriffe und Beschimpfungen, das grüne Parteiarbeit jenseits von Hochburgen wie Jena und Weimar praktisch unmöglich mache. Es sei »normal«, an Wahlständen und auf der Straße angespuckt und beleidigt zu werden oder sogar Morddrohungen zu erhalten, sagte der 30-jährige Felix Kalbe im Interview mit »T-online.de« Im Brief heißt es, an der Basis beginne sich »Angst« breitzumachen: »Wir wissen nicht mehr weiter.«
Der Partei machen im Osten freilich nicht nur offene Aggressionen zu schaffen, sondern auch tiefe Aversionen in breiten Teilen der Bevölkerung, was sich in ernüchternden Wahlergebnissen niederschlägt. Noch vor wenigen Jahren waren die Grünen in vier der fünf Ost-Flächenländer an Regierungen beteiligt. Inzwischen sitzen sie in Sachsen-Anhalt, wo 2021 die bundesweit erste Kenia-Koalition mit CDU und SPD endete, ebenso nur noch in der Opposition wie in Sachsen, wo sie im Herbst 2024 mit 5,1 Prozent immerhin knapp den Einzug ins Parlament schafften, aber nicht mehr regieren. In Brandenburg und Thüringen flogen sie mit 4,1 und 3,2 Prozent gänzlich aus den Landtagen.
Teilweise wird für die miesen Resultate die Konkurrenz verantwortlich gemacht. In Sachsen etwa warb CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer zum erheblichen Unmut der Grünen um Leihstimmen bei der demokratischen Konkurrenz, um die AfD auf Abstand zu halten. Auch medial werden Wahlkämpfe auf die Frage zugespitzt, wer stärkste Partei wird, worunter kleinere Parteien wie die Grünen leiden.
Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Auch das Image der Grünen ist miserabel. Diese werden verbreitet zum Sündenbock für alle Probleme des Landes erklärt und zur Verbotspartei stilisiert, mit der im Osten breite Bevölkerungskreise fremdeln. Das räumt man auch bei den Grünen selbst nüchtern ein: Spätestens mit der Beteiligung an der »von Streit geprägten Ampel-Koalition« habe sich die »Wahrnehmung als alltagsferne westdeutsche Akademiker- und Elitenpartei verfestigt«, schrieb Parteichef Banaszak in einem Mitte Juli vorgelegten »Impulspapier«, in dem auch von einer »verheerenden Entwicklung für bündnisgrüne Politik im Osten« die Rede ist und die Sorge artikuliert wird, »Präsenz und Wirksamkeit« der Partei könnten »grundsätzlich in Frage« stehen. Banaszak wirft die Frage auf: »Haben wir den Osten aufgegeben – oder der Osten uns?«
»Die Wahrnehmung als alltagsferne westdeutsche Akademiker- und Elitenpartei hat sich verfestigt.«
Felix Banaszak Bundesvorsitzender
Vorerst will der Parteichef das als rhetorische Frage verstanden wissen, die er in beiden Teilen verneint. Stattdessen ruft er die Partei zu einer Offensive auf, um verlorenes Terrain zurückzugewinnen. In dem Impulspapier, das anlässlich der Gründung eines »Vorstandbeirats Bündnisgrüner Osten« vorgelegt wurde, werden dazu mehrere Vorschläge unterbreitet. Unter anderem mahnen Banaszak und sein in Jena gebürtiger Ko-Autor Heiko Knopf, grüne Klimapolitik müsse stärker »sozial und ökonomisch machbar« werden. Zudem solle die Partei »der Versuchung widerstehen, zu staatsgläubig in die Freiheit und Selbstbestimmung der Menschen einzugreifen«.
Beide Punkte dürften unmittelbare Lehren aus der Debatte um das Heizungsgesetz sein, die den Grünen im Osten massiv geschadet hat. Mit Blick auf die Friedenspolitik und die spezielle Debatte in Ostdeutschland über den russischen Angriffskrieg in der Ukraine mahnen die Autoren, die Grünen müssten stärker »Angst und Zweifel ernst nehmen«, ohne hinsichtlich der Unterstützung der Ukraine »an Klarheit zu verlieren«.
Neben politischen Ideen unterbreitet das Papier auch organisatorische Vorschläge. So solle es auch ohne Quote mehr Ostdeutsche an »entscheidenden Stellen« in der Partei geben. Derzeit kommt keine der beiden Parteispitzen aus dem Osten, Gleiches gilt für die Fraktion im Bundestag, wobei unter deren 85 Abgeordneten ohnehin nur sieben Ostdeutsche sind. Ein Problem dürfte auch sein, dass die personelle Basis generell deutlich dünner ist als im Westen, auch wenn es zuletzt viele Neueintritte gab. Die sächsischen Grünen vermeldeten eine Rekordzahl an Zugängen; Ende 2024 lag die Mitgliederzahl bei 4500. Außerhalb der Großstädte ist die personelle Basis aber immer noch dünn. Das gilt noch mehr für Thüringen oder Sachsen-Anhalt, wo es 1900 bzw. 1500 Mitglieder gibt. Zum Vergleich: In Rheinland-Pfalz sind es 7000, in Nordrhein-Westfalen 27 000.
Banaszak regt zudem eine »Präsenzoffensive« mit einer »höheren Besuchsfrequenz« im Osten an, wozu er mit seiner eigenen Sommertour nach Freiberg, Magdeburg und in weitere Orte umgehend einen Beitrag leistete. Die Leipziger Bundestagsabgeordnete Paula Piechotta ist von der Idee indes nur mäßig begeistert. »Mehr Wessis auf Besuch im Osten sind vielleicht nicht das beste Erfolgsrezept«, schrieb sie auf Bluesky; es brauche eher ein »Aufbrechen dieses Negativ-Images«. Dieses mache im Übrigen auch den Parteifreunden im Westen zunehmend zu schaffen, ergänzte sie in einem Instagram-Post: »Der Hass gegen Grüne (...) hat sich auch auf große Teile Westdeutschlands ausgedehnt.«
Piechotta verweist auf die von der AfD beförderte »Verrohung der Gesellschaft«, erwähnt aber auch »eigene Fehler von Partei, Fraktion und Regierung in der letzten Bundesregierung«. Die beiden Gothaer Grünen indes würden sich über mehr Besuche von Parteifreunden freuen. Sonst, heißt es in ihrem Brief, müsse man sich »ehrlich eingestehen, dass wir als Partei die bewusste Entscheidung treffen, die östlichen Bundesländer aufzugeben«.
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