Die Grünen: Freistaatsfeind Nummer eins

Pfiffe, Buhrufe und ein Steinwurf: Kandidaten der Grünen brauchen in Bayern Polizeischutz für ihre Wahlkampfauftritte

Man erinnere sich an den Bayern-Wahlkampf 2018: Damals umarmte Markus Söder Bäume beziehungsweise berührte sie für Plakatmotive etwas distanziert mit beiden Händen. Und er unterstützte das Volksbegehren zur »Rettung der Bienen«. Es schien so, als könnte sich der CSU-Ministerpräsident für eine schwarz-grüne Koalition erwärmen. Aber dann setzte er doch auf seine Brüder und Schwestern im Geiste, die Freien Wähler (FW), obwohl die mit 11,6 Prozent der Stimmen weit hinter den Grünen (17,6 Prozent) lagen.

Im aktuellen Wahlkampf erklärte Söder die Grünen zum Hauptgegner. Er wie auch FW-Spitzenkandidat Hubert Aiwanger attackieren die Politik der Grünen insbesondere in Berlin bei jeder Gelegenheit. Ob dies dazu beigetragen hat, dass es für Grünen-Kandidaten im aktuellen Wahlkampf wiederholt zu bedrohlichen Situationen kam, lässt sich nicht seriös beantworten. Denn wegen ihrer Regierungsbeteiligung in Berlin und der Pannen beim sogenannten Heizungsgesetz sind ihre Beliebtheitswerte allgemein stark gesunken.

Wenn die Spitzenkandidaten Katharina Schulze und Ludwig Hartmann also an diesem Freitag in München gemeinsam mit der Kovorsitzenden im Bund, Ricarda Lang, und Kulturstaatsministerin Claudia Roth ihren abschließenden Wahlkampfauftritt bestreitet, werden sie erneut Polizeischutz brauchen. Denn immer wieder kam es im Wahlkampf zu verbalen und sogar zu physischen Attacken gegen sie.

Den Tiefpunkt bildete dabei ein Vorfall am 17. September auf dem Petrusplatz in Neu-Ulm. An diesem Abend flog ein großer Stein in Richtung von Schulze und Hartmann sowie der Direktkandidatin Julia Probst. Die Drei hatten Glück: Niemand wurde getroffen. Doch der Schock saß insbesondere bei Probst tief. Die gehörlose Stadträtin, die auf dem aussichtsreichen Platz 5 der Landesliste der Grünen kandidiert, schilderte die psychischen Nachwirkungen der Attacke im Onlinedienst X. Die Polizei sprach mit Blick auf die Veranstaltung in Neu-Ulm allgemein von einer sehr aufgeheizten Stimmung, auf Videoaufnahmen sind zahlreiche Pfiffe und Zwischenrufe zu hören.

Der Steinewerfer wurde zunächst festgenommen und später wieder auf freien Fuß gesetzt. Gegen den 44-Jährigen ermittelt die Staatsanwaltschaft Memmingen wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung und Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz. Der Mann sei bereits wegen ähnlicher Delikte polizeibekannt, sagte ein Polizeisprecher. Er stamme aus Baden-Württemberg und gehöre der Corona-Maßnahmenkritiker-Szene an.

Trotz der Anfeindungen, die den Wahlkampf der Grünen bereits seit August begleiten, hat die Partei auch in Bayern insbesondere im liberal-bürgerlichen, umweltbewussten Lager der Großstädte eine feste Basis. Den jüngsten Umfragen zufolge liegen sie bei 15 Prozent. Da aber die Freien Wähler dank ihrer erfolgreichen Selbstinszenierung als Opfer einer Medienkampagne mittlerweile auf ähnliche Zustimmungswerte kommen, erübrigt sich wohl jede Debatte über eine Regierungsbeteiligung der Grünen.

Gleichwohl können sie in Bayern viel eher auch mit sozialen Themen punkten als Die Linke, die derzeit in den Umfragen gerade mal auf ein Prozent Zustimmung kommt – gegenüber für den Freistaat beachtlichen 3,2 Prozent bei der vergangenen Landtagswahl. Immer wieder griff Schulze in ihren Reden nicht nur Klimaschutzthemen auf, sondern etwa auch die Forderungen des Grünen-Wahlprogramms nach Aufwertung der sozialen Berufe und damit auch ökonomischer Gleichberechtigung der Frauen.

An dunkle Zeiten erinnernde Vorfälle gab es in Bayern immer wieder in den letzten Wochen. So wurden in München Wahlplakate eines Grünen-Abgeordneten mit rassistischen Bemerkungen beschmiert und angezündet. Auf einem anderen Plakat war auf seine Stirn eine Schusswunde gemalt. Unter einem Video, in dem Katharina Schulze mit einem aufgebrachten Bürger über Migranten diskutiert, waren rassistische Kommentare zu lesen, in denen es unter anderem um Vergewaltigung ging. Die 38-Jährige, die seit 2013 zusammen mit Hartmann die Grünen-Landtagsfraktion führt, gibt sich dennoch kämpferisch. Es sei wichtig, »die Demokratie zu schützen«, sagt sie. Diese Haltung habe sie in ihrer nach dem Antifaschisten Christoph Probst benannten Schule gelernt.

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