Abschiebung: Trotz Hungerstreik zum Flughafen

Dritter Abschiebeversuch von in Dresden inhaftiertem kurdischem Aktivisten offenbar abgebrochen

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 4 Min.
Eine Abschiebung am Flughafen Frankfurt (Main), von wo auch Hamza A. am Mittwoch nach Istanbul geflogen werden sollte
Eine Abschiebung am Flughafen Frankfurt (Main), von wo auch Hamza A. am Mittwoch nach Istanbul geflogen werden sollte

Der kurdische Aktivist Hamza A. sollte nur Stunden nach der erneuten Ablehnung seines Asylantrags durch ein sächsisches Gericht in die Türkei abgeschoben werden – und das, obwohl er nach Angaben seiner Unterstützer von den Folgen eines seit 43 Tagen andauernden Hungerstreiks deutlich gezeichnet ist. »Wahrscheinlich wollte man ihn außer Landes bringen, bevor sich der gesundheitliche Zustand noch weiter verschlechtert oder eine breitere Öffentlichkeit auf seinen Fall aufmerksam wird«, sagte Osman Oğuz vom Sächsischen Flüchtlingsrat (SFR) dem »nd«. Allerdings ist die Aktion offenbar gescheitert. Am Nachmittag habe die Bundespolizei auf Nachfrage mitgeteilt, A. befinde sich noch in Frankfurt, sagte Oğuz. Das sächsische Innenministerium äußerte sich zu der Abschiebung nicht. Auf »nd«-Anfrage bekräftigte es: »Der Benannte ist vollziehbar ausreisepflichtig.« Allerdings erteile man »zu laufenden Maßnahmen keine Auskunft«.

A., der seit sechs Jahren in der Bundesrepublik lebte, einer Arbeit nachging und eine Verlobte hat, war im Juni bei einem Behördentermin verhaftet und zu einem Abschiebeflug nach Berlin gebracht worden. Er sei »ohne Vorankündigung durch eine regelrechte Falle von Ausländerbehörde und Polizei aus seinem mit viel Mühe aufgebauten Leben gerissen« worden, kritisierte der Flüchtlingsrat. Die Abschiebung scheiterte, A. kam in eine spezielle Abschiebehaftanstalt, die der Freistaat Sachsen seit 2018 in Dresden betreibt.

»Wahrscheinlich wollte man ihn außer Landes bringen, bevor sich der gesundheitliche Zustand noch weiter verschlechtert.«

Osman Oğuz Sächsischer Flüchtlingsrat

Einem zweiten Versuch, ihn in Leipzig zu einem Flug in die Türkei zu bringen, entzog er sich, indem er sich selbst verletzte. An diesem Dienstag habe es einen Gerichtstermin gegeben, bei dem seine Haft bis zum 26. August verlängert wurde, sagte Oğuz. Danach sei er zunächst in einen besonderen Haftraum mit permanenter Aufsicht und von dort aus nach Frankfurt (Main) gebracht worden. Zunächst erklärte der SFR, er sei am frühen Mittwochmorgen »mit ärztlicher und polizeilicher Begleitung« nach Istanbul geflogen worden. Allerdings habe man keine gesicherten Informationen, weil A. »für uns bereits seit gestern telefonisch unerreichbar« gewesen sei. Am frühen Nachmittag gab es dann die anderslautende Auskunft der Bundespolizei.

A. hatte sich nach eigenen Angaben in der Türkei in etlichen verbotenen kurdischen Parteien engagiert, wurde mehrfach verhaftet und inhaftiert. Zuletzt habe er in Istanbul unter Schikanen der Polizei gelitten und sei mit einem Ausreiseverbot belegt worden. Ihm sei klar gewesen, dass »mir noch Schlimmeres bevorstand, wenn ich blieb«, sagte er in einem Gespräch, das der SFR während des Hungerstreiks mit ihm führte und auf seiner Homepage veröffentlichte. Im Mai 2019 kam A. in die Bundesrepublik und stellte einen Asylantrag. Er wurde in einer Gemeinschaftsunterkunft im sächsischen Annaberg-Buchholz untergebracht, hatte aber nach eigenen Angaben von der Ausländerbehörde eine Arbeitserlaubnis erhalten und im Ruhrgebiet eine unbefristete Stelle in der Gastronomie angenommen. Er habe sich »ein Leben ohne staatliche Hilfe« aufgebaut. Seine Verhaftung wurde seinen Angaben zufolge damit begründet, dass er sich unerlaubt aus der Asylunterkunft entfernt habe.

Unterstützer hatten sich zuletzt intensiv bemüht, ihm doch noch ein Aufenthaltsrecht zu sichern, etwa mittels neuer Unterlagen, die die Glaubwürdigkeit seiner Asylgründe erhärten. »Das hat das Verwaltungsgericht aber nicht überzeugt«, sagte Oğuz. Daraufhin habe der Flüchtlingsrat an diesem Mittwoch einen Eilantrag bei der sächsischen Härtefallkommission einreichen wollen. Diese kann bewirken, dass »vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländern aus dringenden humanitären oder persönlichen Gründen eine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird«, wie es in der Selbstbeschreibung des Gremiums heißt. Dazu kam es wegen des erneuten Abschiebeversuchs dann zunächst nicht.

Gleichzeitig hatte es Bestrebungen gegeben, A. unabhängig ärztlich untersuchen zu lassen. Dieser hatte erhebliches Misstrauen gegenüber den Medizinern in der Haftanstalt geäußert. Jule Nagel, Landtagsabgeordnete der Linken, hatte dazu an den Menschenrechtsbeauftragten der Sächsischen Landesärztekammer geschrieben. Sie hatte A. am Freitag in der Haft besucht und fand ihn in einem sehr schlechten gesundheitlichen Zustand vor: »Er hat stark abgenommen, wiegt noch 61 Kilogramm, die Organe schmerzen.« Auf »nd«-Anfrage äußerte sie Unverständnis darüber, dass A. nicht in ein Krankenhaus verbracht wurde, ähnlich wie es zwischenzeitlich bei der in Budapest inhaftierte Aktivist*in Maja T. der Fall war. Eine parlamentarische Anfrage Nagels an das Innenministerium, ob eine Verlegung erwogen wurde, ist bisher unbeantwortet. Auf »nd«-Anfrage hatte das Ministerium am Montag mitgeteilt, es könne »nicht bestätigt werden, dass der Benannte seit 41 Tagen die Nahrungsaufnahme verweigert«. Nagel sagte, sie könne angesichts seines körperlichen Zustands »nicht nachvollziehen«, dass dieser für hafttauglich befunden wurde, geschweige denn, dass man ihm einen Abschiebeflug zumutete.

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