Lieferandos Schattenflotte

Laut Hamburger Senat missachtet Lieferdienstleister gesetzlichen Arbeitsschutz

Protest gegen Stellenabbau und Auslagerungen bei Lieferando
Protest gegen Stellenabbau und Auslagerungen bei Lieferando

Am Wochenende demonstrierten in Hamburg erneut mehr als 150 Menschen gegen den geplanten Stellenabbau beim Lieferdienst Lieferando. »Die Demonstration war ein ziemlicher Erfolg«, erklärt dazu Vincent Orth, zuständiger Sekretär der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG), im Gespräch mit »nd«. »Für die Beschäftigten war es wichtig, dass sie aus der Stadt Solidarität erfahren haben.« Unterstützungsbekundungen kamen laut Orth von der SPD, den Grünen und der Linkspartei. Das Unternehmen plant, bis Ende des Jahres bundesweit 2000 Jobs zu streichen. Mit 500 sind davon die meisten Beschäftigten in der Hansestadt betroffen.

Der Protest der Gewerkschaft richtet sich insbesondere gegen Pläne für eine sogenannte Schattenflotte: die Auslagerung von Jobs und deren Übernahme durch Flottenpartner wie die Fleetlery GmbH. Der Hamburger Delivery-as-a-Service-Anbieter, wie er sich selbst bezeichnet, vermittelt seit 2023 bundesweit Arbeiter*innen für Lieferplattformen wie Uber Eats. Künftig soll das Unternehmen auch für Lieferando tätig werden. Dies führe für die vielfach migrantischen Fahrer*innen zu unsicheren Arbeitszeiten und prekären Verhältnissen, kritisiert die NGG. Zudem wirft die Gewerkschaft dem Unternehmen Arbeitszeitverstöße und Mindestlohnbetrug vor. Unabhängige Recherchen von RBB und »nd« stützen die Vorwürfe. Auf mehrfache Anfragen reagierte das Unternehmen nicht.

Hamburger Behörde bestätigt Kritik

Zudem bestätigt nun eine Antwort des Hamburger Senats auf eine Schriftliche Anfrage der Linkspartei-Bürgerschaftsabgeordneten Kay Jäger und David Stoop, die »nd« exklusiv vorliegt: Das Unternehmen missachtet grundlegende Arbeitsschutzstandards. Bei einer Inspektion im Mai stellte die zuständige Hamburger Aufsichtsbehörde fest, dass Fleetlery »keine geeignete Arbeitsschutzorganisation« hatte. Laut Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin umfasst diese alle Maßnahmen, die Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz gewährleisten. Unternehmen sind per Gesetz dazu verpflichtet. Zu den weiteren Vorwürfen, etwa wegen Schwarzarbeit oder Mindestlohnbetrug, machte der Senat keine konkreten Angaben – teils weil keine Informationen vorlägen oder aus Datenschutzgründen.

»Unsere Anfrage an den Hamburger Senat hat aufgedeckt, dass es um den Arbeitsschutz bei Fleetlery offenbar schlecht bestellt ist«, erklärt dazu der gewerkschaftspolitische Sprecher der Linksfraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft, Kay Jäger. Aber das reiche nicht. »Kontrollen bezüglich der Einhaltung des Mindestlohns wurden im abgefragten Zeitraum gar nicht durchgeführt«, bemängelt Jäger. »Senat und Zoll sind dringend in der Pflicht, auch im Dickicht von Lieferdiensten und ihrer Subunternehmen für die Einhaltung von Recht und Gesetz zu sorgen«, fordert der Linke-Politiker auch mit Blick auf »fragwürdige Rekrutierungsprozesse per Whatsapp« durch das Hamburger Unternehmen.

Verhandlungen für Sozialplan und Tarifvertrag

Lieferando begründet den geplanten Stellenabbau und die Auslagerung damit, dass sich die Wettbewerbsbedingungen und der Markt rasant verändern und die Kunden verlässlichen Service sowie kurze Lieferzeiten erwarten. Solche Kooperationen mit Flottenpartnern und Subunternehmen seien in der Branche gängige Praxis, erklärt das Unternehmen. Für Beschäftigte, die ihren Job verlieren sollen, will Lieferando einen Sozialplan verhandeln und den Prozess bis spätestens Anfang 2026 abschließen.

Die NGG drängt indes auf die Rücknahme der Kündigungen sowie Tarifverhandlungen, etwa für einen Mindestlohn von 15 Euro. Das Unternehmen lehnt die Forderung ab. Um Druck aufzubauen, protestierte die NGG am Wochenende erneut in Hamburg. Bereits in der Vorwoche hatten in Dortmund Beschäftigte im Rahmen einer bundesweiten Streikwelle die Arbeit niedergelegt.

Gewerkschaft kritisiert Union Busting

Die Gewerkschaft wirft Lieferando zudem sogenannte Union-Busting-Methoden vor – das gezielte Zerschlagen von gewerkschaftlichen Betriebsräten. »Überall, wo wir starke Betriebsräte haben, die sich nicht alles gefallen lassen, wird der Standort komplett geschlossen«, erklärt NGG-Gewerkschafter Mark Baumeister, Referatsleiter für das Gastgewerbe. Eigentlich genießen Betriebsräte nach dem Betriebsverfassungsgesetz besonderen Kündigungsschutz. Doch bei rein digitalen und durch Algorithmen gesteuerten Arbeitsprozessen herrschen noch Lücken, sodass die Betriebsratswahlen durch Unternehmen angefochten werden können. Zwar gibt es erste Arbeitsgerichtsurteile, doch die schaffen bislang keine Rechtssicherheit, sagt Baumeister.

Über die Entwicklungen in der Lieferbranche zeigt sich der Hamburger Senat besorgt. Man setze sich für eine Verbesserung von Arbeitsstandards und die Einhaltung von Mindestlöhnen ein. Im Bundesrat habe die Stadt auch eine Reform der betrieblichen Mitbestimmung mitinitiiert, die auch Plattformarbeiter*innen stärken soll. Details dazu bleiben aber vertraulich.

Neben einer Reform des Betriebsverfassungsgesetzes verlangt die NGG von der Bundesregierung die zügige Umsetzung der EU-Plattformrichtlinie, wodurch Unternehmen auch für Arbeitsrechtsverstöße bei ihren Subunternehmern haftbar gemacht werden sollen. Die Richtlinie muss vor Ende 2026 in nationales Recht umgesetzt werden. Bis dahin sollen ein Festanstellungsgebot nach dem Vorbild der Fleischindustrie und ein digitales Zutrittsrecht für Gewerkschaften die Arbeitsbedingungen und die Mitbestimmungsrechte in der Branche verbessern.

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