Brandenburg: Wenn das Dorf seine Gasthäuser verliert

Brandenburg kämpft gegen das Sterben der Dorfschenken – zwei Betriebe aus Ostprignitz halten durch

  • Johanna Czech
  • Lesedauer: 4 Min.
Noch hat die Fischerei Pfefferkorn in Altfriesack jeden Tag geöffnet.
Noch hat die Fischerei Pfefferkorn in Altfriesack jeden Tag geöffnet.

Im Dorf Nietwerder, einem Ortsteil von Neuruppin, gibt es noch eine Dorfschenke. Sie ist benannt nach dem Spitznamen des Inhabers Dirk Engel, der sie seit über 30 Jahren betreibt. Den hat er damals in der 20 Minuten mit dem Auto entfernten Waldschenke Stendenitz bekommen. »Bei Locker« sitzen einige Leute draußen unter der Veranda und verspeisen das vom Inhaber frisch zubereitete Abendessen mit Spiegelei. Durch einen bunten Türvorhang geht es in den Innenraum, der an ein großes uriges Wohnzimmer erinnert. Auf der rechten Seite befindet sich die Theke aus Holz mit einer kleinen angrenzenden Küche. Direkt am Eingang wartet schon jemand mit Vorfreude. Er nimmt die Anmeldungen für das jeden Freitag stattfindende Preisskatturnier entgegen. Alle dazustoßenden Gäste begrüßen einander freundlich.

Auch bei der familienbetriebenen Fischerei Pfefferkorn in Altfriesack, rund zehn Kilometer von Dirk Engels Gastwirtschaft entfernt, kann gemütlich draußen gesessen werden. Einige Gäste sitzen überdacht direkt am Teich, auf dem Enten quaken und Seerosen blühen. Auch auf den Bänken am ruhigen Wasser sitzt jemand und genießt die Aussicht im kühlen Schatten. Gegenüber steht ein mit Fischen bemaltes Haus, in dem sich der Hofladen befindet. Drinnen gibt es eine Theke mit frisch geräuchertem Fisch, Beilagen und einer Auswahl an Getränken. Familie Pfefferkorn stemmt alles zu dritt – fischen, räuchern, verkaufen, abrechnen. Sie geben sich viel Mühe mit allem.

Große Herausforderungen

Neben der Lage im Landkreis Ostprignitz-Ruppin und ihrer fürsorglichen Gastfreundschaft haben die beiden Betriebe einiges gemeinsam: Beide haben zum Beispiel täglich geöffnet. Jeden Tag geöffnet zu haben, sei arbeitsintensiv, auch wenn sie sich über ihre Gäste freuten, erzählt Viola Pfefferkorn. Ohne die täglichen Öffnungszeiten würde die Fischerei Pfefferkorn nicht über die Runden kommen. Im Sommer haben sie lediglich zwei Wochen Jahresurlaub.

Im Innern des Fischerei-Hauses sind die Tische mit gestreiften Tischdecken gedeckt. Eine Erinnerung an das gastronomische Geschäft, das hier seit Corona nicht mehr umsetzbar ist. Vor allem fehlt das Personal. Wenn sie wieder voll in den gastronomischen Betrieb einsteigen würden, bräuchten die Pfefferkorns mindestens vier weitere Leute. Aber die finden sich nicht. Hinzu kommt, dass die Kundschaft insgesamt weniger Geld ausgibt.

Zu wenig junge Leute

Die Gäste »Bei Locker« sprechen besorgt an, dass die jüngeren Leute nicht mehr kommen. Dirk Engel ist 55. Seine Stammgäste kommen aus seiner Generation oder sind älter, aber es werden immer weniger. Jüngere Gäste kommen selten – und von ihnen möchte wohl kaum jemand einen gastwirtschaftlichen Betrieb übernehmen. Im nahe gelegenen Alt Ruppin gibt es keine Dorfschenken mehr. Die Kneipen in der dortigen Brückenstraße, in die sonst Anwohner*innen nach dem gemeinsamen Fußballspielen gingen, sind geschlossen. Es hat sie niemand übernommen. Treffen muss man sich nun woanders.

Ende Juli hat die CDU-Landtagsfraktion eine kleine Anfrage zur Situation von Dorfgaststätten in Brandenburg gestellt. Aus der Antwort des Wirtschaftsministeriums geht der Schwund hervor. Von 2010 bis 2023 ist die Zahl gastronomischer Betriebe in Brandenburg ohne kreisfreie Städte um knapp 10 Prozent gesunken – von 4101 auf 3697. Schankwirtschaften gibt es insgesamt fast ein Drittel, in Ostprignitz-Ruppin sogar 70 Prozent weniger.

Die Schwierigkeiten, von denen Familie Pfefferkorn und Dirk Engel berichten, finden sich laut Deutschem Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) auch bei vielen anderen gastwirtschaftlichen Betrieben in Brandenburg. Neben den Corona-Nachwirkungen, Personalmangel, ausbleibenden Nachfolger*innen und sparsamer Kundschaft kommen die steigenden Lebensmittel- und Energiepreise als Herausforderung hinzu. Auch die Fischerei Pfefferkorn hat mit Preissteigerungen zu kämpfen. Jeder vierte Lieferschein beinhaltet eine Preiserhöhung.

Tourismus als Chance

Beide Gastronomiebetriebe können sich halten, weil sie keine Miete zahlen bzw. von der Stadt eine günstige Pacht bekommen. Andernfalls würde sich der Betrieb nicht rentieren. 2019 hat beispielsweise eine andere Gastwirtschaft in Nietwerder, die »Bärenschenke«, aus diesem Grund zugemacht.

Den Dorfgasthäusern wird vom Wirtschaftsministerium ein wichtiger Beitrag zur Erhaltung lokaler Bräuche und Dialekte zuerkannt. Sie funktionieren auch als Orte für Begegnung und Austausch. Das wird »Bei Locker« neben dem gut besuchten Preisskatturnier vor allem durch den hilfsbereiten Austausch spürbar, wie man sich unterstützen kann.

Familie Pfefferkorn und Dirk Engel machen erst mal weiter, bleiben zuversichtlich, denn es läuft verhältnismäßig gut für sie – wenn auch mit hohem Zeit- und Energieaufwand. Hoffnung gibt der Tourismus. Viele Gäste kommen inzwischen nicht mehr aus dem Dorf, sondern aus der Umgebung. Die ausgebauten Fahrradwege in der Region sorgen für mehr Kundschaft in beiden Betrieben. Sie bringen Fahrradtourist*innen und motivieren neben der Stammkundschaft auch Leute aus Berlin vorbeizukommen.

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