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Nach Volksentscheid: Berlin ist vergesellschaftungsfähig
Für den Volksentscheid von Deutsche Wohnen und Co enteignen (DWE) liegt ein Gesetzentwurf vor
»Alles muss man selber machen als Zivilgesellschaft mit diesem Senat«, sagt Katrin Schmidberger aus der Grünen-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus. Nach dem Volksentscheid von 2021 und der Arbeit der Expertenkommission 2023 war im Bauausschuss endlich wieder die Vergesellschaftung von großen Immobilienkonzernen Thema. »Leider ist es anders gelungen, als es üblich wäre«, so Schmidberger. Denn der Gesetzesentwurf, über den am Montag mit Expert*innen diskutiert wurde, stammt nicht etwa vom Senat, sondern von der Initiative Deutsche Wohnen und Co enteignen (DWE) selbst.
Schmidberger bezeichnet die Vergesellschaftung als »die Chance, den historischen Fehler des Ausverkaufs der Stadt zu korrigieren«. Als solche wurde der Volksentscheid 2021 von 59 Prozent der Wähler*innen angenommen. Die Umsetzung blieb der Senat schuldig und befasste sich stattdessen mit dem umstrittenen Vergesellschaftungsrahmengesetz, das Niklas Schenker von der Linksfraktion als »Verschiebetaktik« bezeichnet. Dabei sei die Formulierung des Volksentscheids unmissverständlich gewesen, so Armin Rothemann von der Initiative DWE. Wo der Senat 2021 klar zum Handeln aufgefordert wurde, liegt nun der Gesetzesentwurf der Initiative vor. »Berlin kann mit diesem Entwurf sofort mit der Vergesellschaftung starten, es gibt keine Ausreden mehr«, sagt Rothemann.
Der Entwurf sieht vor, den Mietbestand von Immobilienkonzernen mit über 3000 Wohnungen in das Gemeinwohl zu überführen. Das wären rund 220 000 Wohnungen, die von einer Anstalt öffentlichen Rechts übernommen und betrieben werden sollen. Entschädigt würden die Konzerne im Durchschnitt mit zwischen 40 und 60 Prozent des Marktwerts. »Das Grundgesetz schützt eigene Leistung beim Bau, aber keine Spekulation«, sagt Rothemann. Für den Bau der Immobilien würden die Eigentümer somit entschädigt, die Bodenspekulation rechne man heraus.
Als Mitglied von der durch den Senat einberufenen Kommission und des wissenschaftlichen Beirats der DWE erklärt Isabel Feichtner die juristischen Hintergründe. So sorge eine Vergesellschaftung laut Artikel 15 im Grundgesetz für den Abbau von Macht und die Ausweitung von demokratischer Gestaltungsbefugnis. Durch den Volksentscheid sei die Vergesellschaftung in Berlin gleich zweifach demokratisch – im Prozess und im Ergebnis.
»Wer spekuliert, der kann auch verlieren.«
Niklas Schenker (Linke)
Sprecher für Mieten und Wohnen
Im Zuge des Rahmengesetzes wurde vom Berliner Senat derweil ein weiteres Gutachten in Auftrag gegeben, das die rechtlichen Hintergründe prüft. Allerdings bei Kanzleien, die sonst die Unternehmen vertreten, die von einer Vergesellschaftung betroffen wären, wie Rothemann und die Linke kritisieren. »Sie werden immer ein*e Gutachter*in finden, die erklärt, die Berliner Verfassung steht einer Vergesellschaftung im Weg, das liegt in unserem Metier begründet«, sagt Feichtner. »Ich begreife Recht als ein Gestaltungsinstrument.«
Vertreter*innen der Wirtschaft und der regierenden Parteien zweifeln nicht nur an der Umsetzbarkeit dieses spezifischen Gesetzes, sondern an der Vergesellschaftung allgemein. Ersin Nas von der CDU spricht von einer Signalwirkung und auch Michael Kranz vom Verband Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen sagt: »Wer plant nach einer Enteignungsandrohung noch ein Neubauprojekt?« Denn Neubau, da sind sich die Kritiker*innen des Antrags einig, ist der Schlüssel zu einer Entspannung des Wohnungsmarktes.
Dass Neubau empirisch erst ab einem Leerstand von zehn bis 20 Prozent für eine Entspannung sorgt, erklärt Armin Rothemann von DWE. Ebenso den Fakt, dass die Initiative keinesfalls gegen Neubau sei. Wichtig seien aber bezahlbare Mieten. »Das Schlimmste ist nicht, wenn Investoren die Stadt verlassen, sondern wenn Berlinerinnen und Berliner die Stadt verlassen«, so Rothemann. Niklas Schenker rechnet vor, dass Großkonzerne wie Vonovia oder Adler kaum bis gar nicht in den Berliner Wohnungsbau investieren.
Dass bei einer Vergesellschaftung auch die bestehenden, von den Immobilienkonzernen mit Banken vereinbarten Kredite und Darlehen mit übernommen würden, akzeptiert Rothemann nicht. »Kann es sein, dass die Allgemeinheit das Risiko für fehlgegangene Bankengeschäfte trägt?«, fragt er mit Blick darauf, dass ein Bankzins auf Immobilienobjekte auch das Risiko der in der Verfassung verankerten Vergesellschaftung hätte beachten müssen. Oder wie Niklas Schenker sagt: »Wer spekuliert, der kann auch verlieren.«
Aber es gibt auch große, wenn nicht sogar nationale Bedenken an den Vergesellschaftungsplänen. Die AfD-Fraktion sieht im Privateigentum den Erfolg des allseits beliebten British Empire und des heutigen Europas. Und Michael Voigtländer vom Institut der deutschen Wirtschaft prophezeit »große internationale Konflikte«, immerhin seien die Staatsfonds von Norwegen, Katar und den USA an den zu vergesellschaftenden Unternehmen beteiligt. Schenker sieht in dem Gesetzesentwurf die Chance, ein internationales Zeichen zu senden, Kapital nicht in der Stadt haben zu wollen. Gelingt der Gesetzesentwurf, kann man die kritische Frage Voigtländers optimistisch umdeuten: »Wer ist als Nächstes dran?«
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