Tödliche Fluten als Normalität

In Pakistan hat das Risiko verheerender Überschwemmungen zugenommen

  • Tine Heni
  • Lesedauer: 4 Min.
Überschwemmung nach heftigen Monsun-Regenfällen in der Millionenmetropole Hyderabad
Überschwemmung nach heftigen Monsun-Regenfällen in der Millionenmetropole Hyderabad

In Pakistan regnet es unerbittlich weiter: Seit Ende Juni überfluten heftige Monsunregenfälle den Norden des Landes. Zunächst war vor allem die Region Punjab betroffen, doch seit einigen Tagen steht auch die Hauptstadt Islamabad unter Wasser. Die nationale Wetterbehörde PMD warnt vor einer weiteren, tagelang anhaltenden Starkregenperiode.

Seit Beginn der Regenzeit haben nach Angaben der Katastrophenschutzbehörde NDMA über 300 Menschen ihr Leben verloren. 700 wurden verletzt. Außerdem haben die Fluten landesweit mindestens 1600 Häuser beschädigt. »Wir sind jetzt obdachlos. Die Regierung hat uns nur Lebensmittelrationen im Wert von 50 000 Rupien (rund 150 Euro) und sieben Zelte gegeben, in denen wir seit zwei Wochen leben«, erzählte der 50-jährige Saqib Hassan gegenüber Associated Press. Der Katastrophenschutz hat mehrere Tausend Menschen aus den Hochwassergebieten evakuiert, medizinische Lager aufgebaut und zudem Hilfsgüter wie Zelte, Lebensmittelpakete oder Schwimmwesten verteilt, berichtete die Agentur weiter.

Dabei ist der jährliche Monsunregen von Juni bis September für Südasien eigentlich ein normales und sogar überlebenswichtiges Ereignis. Beispielsweise hilft er, die Wasserreserven wieder aufzufüllen. »Doch der Monsun in Pakistan hat sich so sehr verstärkt, dass selbst Monate mit mäßigem Regen zu einer hohen Zahl an Todesopfern führen«, erklärt die Forscherin Mariam Zachariah vom Imperial College London.

Auslöser der heftigeren Regenfälle in Pakistan ist die vom Menschen verursachte Erderwärmung, wie eine aktuelle Studie der internationalen Forschungsgruppe World Weather Attribution (WWA) zeigt. Um 10 bis 15 Prozent erhöhte der Klimawandel demnach die Intensität der aktuellen Regenfälle, konkret bezogen auf die Tage vom 24. Juni bis 23. Juli. »Im heutigen Klima ist ein solches Ereignis schon nicht mehr besonders extrem und hat eine Wiederkehrwahrscheinlichkeit von einmal in fünf Jahren«, ordnet Mariam Zachariah bei einem Medientermin ein.

Bereits die verheerende Flutkatastrophe von 2022 in Pakistan wurde maßgeblich durch den Klimawandel verschärft. Die Erderwärmung hatte damals wahrscheinlich die Intensität der fünf niederschlagsreichsten Tage sogar bis um die Hälfte verstärkt, wie eine WWA-Studie seinerzeit zeigte. Mehr als 1700 Menschen verloren ihr Leben. Bis heute hat sich das Land noch nicht ganz von den schweren Schäden erholt.

Die häufigste Todesursache bei den Überschwemmungen der vergangenen Wochen sind Hauseinstürze. Etwa die Hälfte der Stadtbevölkerung in Pakistan lebt in informellen Siedlungen, den sogenannten Katchi Abadis. Diese befinden sich häufig an hochwassergefährdeten Flussufern und haben keinen zuverlässigen Zugang zu Regenwasserabflusssystemen, wie die aktuelle WWA-Studie erläutert. Zudem seien die aus Materialien wie Lehm und Ziegeln provisorisch errichteten Gebäude instabil bei Hochwasser. Die mangelnde Durchsetzung von Bauvorschriften und die Bautätigkeit in Überschwemmungsgebieten verschärfen das Ausmaß der Schäden noch.

»Reiche Länder haben Milliarden für die Anpassungsfinanzierung zugesagt, aber wo ist das Geld?«

Joyce Kimutai Imperial College London

Menschen, die seit Generationen in Katchi Abadis leben, kennen die im Hochwasserfall sicheren Zonen und Evakuierungsrouten und überstehen die Überschwemmungen oft halbwegs unbeschadet. Doch in den letzten Jahren sind viele weitere Menschen vom Dorf in die Stadt gezogen. Die Neuankömmlinge haben weniger Erfahrung mit Selbstevakuierung. Für sie haben Überschwemmungen teilweise verheerende Auswirkungen, wie die Forscher*innen berichten.

»Selbst moderate Monsunwellen können in unserem gegenwärtigen Klima weitreichende Zerstörungen auslösen, sofern noch bauliche Schadensanfälligkeit, ungeplantes Stadtwachstum und mangelhafte Entwässerungssysteme hinzukommen«, bemerkt Fahad Saeed vom Institut Climate Analytics, Mitautor der aktuellen Studie. Die Förderung katastrophenresistenter Bauweisen und die Einschränkung der Bebauung in Überschwemmungsgebieten könnten dazu beitragen, die Folgen extremer Regenfälle zu verringern. Beispielsweise haben sich laut der Studie erhöhte, aus Bambusrahmen gebaute Häuser in Pakistan als wirksame Maßnahme erwiesen.

Doch für solche Bauvorhaben benötigt Pakistan ausreichende Finanzmittel. Auf dem Klimagipfel COP 29 vergangenes Jahr in Baku hatten sich die reichen Länder verpflichtet, die Klimafinanzierung für Entwicklungsländer bis 2035 deutlich zu erhöhen. »Reiche Länder, die für den Klimawandel verantwortlich sind, haben Milliarden für die Anpassungsfinanzierung zugesagt, aber wo ist das Geld?«, kritisiert Joyce Kimutai vom Imperial College London. »In der Zwischenzeit sind die Entwicklungsländer gezwungen, ihre begrenzten Staatshaushalte umzulenken, um auf die eskalierende Klimakatastrophe zu reagieren.«

Der Internationale Gerichtshof hatte kürzlich klargestellt, dass das Versäumnis der Industrieländer, ärmeren Staaten Finanzmittel zur Klimaanpassung bereitzustellen, ein völkerrechtswidriges Handeln darstellen könnte, das auch finanzielle Konsequenzen nach sich ziehen kann. Das scheint nur fair – denn Pakistan ist nur für etwa 0,5 Prozent der historischen CO2-Emissionen weltweit verantwortlich, gehört aber gleichzeitig laut aktuellem Klima-Risiko-Index der deutschen NGO Germanwatch zu den Ländern, die am stärksten von den Folgen der Erderwärmung betroffen sind.

»Hunderte Todesopfer in jeder Monsunzeit dürfen in Pakistan nicht zur Normalität werden«, fordert Joyce Kimutai. »Die COP 30 in Brasilien muss sicherstellen, dass Länder wie Pakistan die Unterstützung erhalten, die sie brauchen, um sich an die zunehmenden Klimaauswirkungen anzupassen.«

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