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Flüchtlingsunterkunft Tegel: Das Geschäft mit der Flucht
Die Messe Berlin verdient gut an der größten Geflüchtetenunterkunft Deutschlands – Kosten für Sicherheitsdienst werfen Fragen auf
Nur noch übergangsweise, heißt es, sollen Geflüchtete in Deutschlands größter Massenunterkunft am Flughafen Tegel bleiben. »Bis zum Jahresende wird die Notunterbringung vollständig leergezogen sein«, sagte Integrationssenatorin Cansel Kiziltepe (SPD) im Juli. Denn ab 2026 wird es in Tegel ein zentrales Ankunftszentrum (Akuz) mit 2600 Plätzen geben.
Zwischenzeitlich lebten über 5000 Menschen in der Flüchtlingsunterkunft, teilweise monatelang. Die Notunterkunft entstand 2022 mit Kriegsbeginn in der Ukraine aus dem Corona-Impfzentrum auf dem Gelände des ehemaligen Flughafens. Die Unterbringung der Geflüchteten, das Catering und die Sicherheit übernahm seither die Messe Berlin, die zuvor auch für das Impfzentrum zuständig war.
Der Betrieb der Geflüchtetenunterkunft Tegel ist komplex organisiert: Als zuständige Verwaltung beauftragt der Sozialsenat das Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF), Geflüchtete auf dem ehemaligen Flughafengelände unterzubringen. Die Versorgung übernimmt dort das Deutsche Roten Kreuz (DRK) Sozialwerk Berlin gGmbH vom Landesverband des DRK. Die vom LAF beauftragte Immobiliendienstleisterin Messe Berlin beauftragt wiederum eine Sicherheitsfirma.
Laut eigenen Angaben hat die Messe Berlin 2024 Rekordeinnahmen von knapp 500 Millionen Euro erwirtschaftet – ein Drittel davon durch die Flüchtlingsunterkunft. Nun zeigt eine Recherche des »Tagesspiegels«: Die für das Gelände von der Messe beauftragte Sicherheitsfirma habe besonders hohe Kosten von über 100 Millionen Euro verursacht – und das Land Berlin soll die Rechnungen nicht ausreichend geprüft haben.
Hohe Summen, geringe Prüfung?
Richtig sei, so die Sprecherin des Sozialsenats, »dass die sachliche und rechnerische Prüfung der Einzelrechnungen über die Messe Berlin erfolgt«. Das LAF prüfe nur Gesamtrechnungen, keine »Rechnungen der Nachunternehmen im Detail«. Das sei ein reguläres Verfahren in der Landeshaushaltsordnung. Jedoch muss die Messe nicht das gesamte Geld, das das LAF der Landesfirma für den Sicherheitsdienst auszahlt, weitergeben, sondern soll 15 Prozent als Provision einbehalten können – das berichtete zuerst die »Taz« vergangenes Jahr. Damit gilt: Je höher die Rechnung für eine von der Messe beauftragte Firma, desto höher ist der Profit der landeseigenen Firma.
Bereits 2022 soll aufgefallen sein, dass der Sicherheitsdienst sehr hohe Kosten verursacht. Das entnimmt der »Tagesspiegel« einem Vertrag zwischen LAF und Messe, den er einsehen konnte. Demnach soll es keine Klausel gegeben haben, die das Unternehmen zur Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit aufforderte. »Dieses Vorgehen entspricht dem regulären Verfahren der Berliner Landeshaushaltsordnung«, heißt es vonseiten des Sozialsenats. Denn die Messe Berlin unterliege ohnehin den Vorgaben der Landeshaushaltsordnung. Dem »Tagesspiegel« soll darüber hinaus noch eine Prüfmitteilung des Landesrechnungshofes vorliegen. Demnach werfe der Rechnungshof der Messe vor, in den Jahren 2022 und 2023 Rechnungen des Sicherheitsdienstes in einem Gesamtwert von rund 100 Millionen Euro nicht ausreichend geprüft zu haben.
Dubiose Beauftragung
Wer Unternehmen mit öffentlichen Mitteln beauftragt, muss einen Auftrag laut Berliner Vergabegesetz alle vier Jahre neu ausschreiben. Doch die Messe Berlin soll laut der »Tagesspiegel«-Recherche dagegen verstoßen haben. Demnach sei bereits 2013 ein Vertrag mit einer Sicherheitsfirma geschlossen worden, aus der das Unternehmen hervorging, das derzeit in der Flüchtlingsunterkunft aktiv ist. Erst kurz vor Weihnachten 2023 soll die Messe erstmals den Sicherheitsdienst für Tegel neu ausgeschrieben haben.
Kurz zuvor hatte es gewaltsame Auseinandersetzungen in der Unterkunft gegeben. Medienberichten zufolge seien danach drei Securitys entlassen worden. Die Polizei stellte Dutzende ordnungsrechtliche Verstöße fest – viele Mitarbeitende hätten nach geltendem Recht gar nicht als Sicherheitsdienst dort arbeiten dürfen.
Zur Frage mutmaßlicher Ungereimtheiten bei der Vergabepflicht verweist die Senatsverwaltung für Soziales an ihr Landesunternehmen: »Ob die Ausschreibungspflicht für den Sicherheitsdienst alle vier Jahre eingehalten wurde, wurde von uns nicht geprüft, da dies in der Verantwortung der Messe lag«, teilt die Senatssprecherin mit. Die Messe hat bis Redaktionsschluss keine Stellung zu den Vorwürfen genommen.
Ankunftszentrum bis 2031
Sicher ist, dass die Messe Berlin eine Unterbringung von Geflüchteten auf dem ehemaligen Flughafen Tegel ab 2026 nicht mehr übernehmen wird. Dies habe das Unternehmen dem Sozialsenat am 5. August mitgeteilt, so die Sprecherin der Behörde. Derzeit liefen »Gespräche mit verschiedenen Akteurinnen und Akteuren über den zukünftigen Aufbau der neuen Unterbringungskapazitäten.«
Bis 2031 soll dort ein zentrales Ankunftszentrum betrieben werden, nach aus der Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (Geas) folgenden Vorgaben. Das entschied der schwarz-rote Senat im Mai. Geflüchtetenorganisationen kritisieren die Pläne. Sie befürchten, dass Menschen dort monatelang festgehalten und schließlich abgeschoben werden. Denn zur Geas-Regelung gehört auch das sogenannte Screening: Die Behörden stellen innerhalb von einer Woche Identität, Gesundheitszustand und Bleibeperspektive der Geflüchteten fest. Wer »schlechte« Bleibeperspektiven hat oder als sogenannter Dublin-Fall gilt, für den also andere EU-Länder zuständig sind, dem droht die Abschiebung.
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