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Plastikfresser aus dem Kompost
Mikroorganismen können dabei helfen, Kunststoffe abzubauen – aber nur wenige Materialien bieten Angriffsflächen
Wie effektiv Bakterien und Pilze arbeiten, zeigt sich am Komposthaufen: Innerhalb von Wochen zersetzen sie Kartoffelschalen, Obstreste, Teebeutel und Laub, sodass am Ende wertvolle Komposterde entsteht. Wäre es nicht schön, wenn Mikroorganismen in der gleichen Manier die Plastik-Berge dieser Welt abtragen würden? Von den über 400 Millionen Tonnen Plastikmüll, die jährlich weltweit produziert werden, werden laut UN nur rund zehn Prozent recycelt. Tatsächlich haben Forschende Kleinstlebewesen entdeckt, die Appetit auf Kunststoff haben. Sie können in manchen Bereichen helfen, das Recycling zu verbessern. Das Problem: Es kommt stark auf die Materialart an.
»Nur wenige ausgewählte Kunststoffe werden von Mikroorganismen und Enzymen um- oder abgebaut«, sagt Wolfgang Streit, Professor für Mikrobiologie an der Universität Hamburg. Dazu zählt einer der wichtigsten Kunststoffe, nämlich Polyethylenterephthalat (PET), aus dem unter anderem Flaschen und Folien hergestellt werden. Auch Polyurethan (PU) auf Ester-Basis, das für Schläuche und Isolierungen verwendet wird, bietet Bakterien Angriffsflächen. »Alle anderen Polymere, etwa PE-Folien, PVC und Polypropylen, können nicht abgebaut werden. Dafür gibt es keine Enzyme, keine Mikroorganismen.« Aufgrund ihrer hohen chemischen Stabilität sind diese Stoffe sozusagen unantastbar. Konkret bedeutet das: »Ein Fischernetz oder eine Handyhülle, die jemand ins Meer wirft, wird man wahrscheinlich noch nach tausend Jahren so wiederfinden«, sagt Streit. Bei einer PET-Flasche sieht das anders aus. »Da wäre ich optimistisch, dass sie nach hundert bis 400 Jahren komplett aus der Natur verschwindet.« Sogar Kleinstpartikel würden irgendwann von Bakterien vertilgt.
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Daher konzentriert sich der Biochemiker Christian Sonnendecker von der Uni Leipzig bei der Entwicklung biologischer Recyclingverfahren auf PET. »Molekular gesehen handelt es sich um ein Polyester, also um eine Ester-Bindung. Diese ist, anders als bei anderen Kunststoffen, zu einem gewissen Grad labil«, erklärt er. Solche Bindungen kommen auch in der Natur vor: So sind Pflanzen mit einer Schutzschicht überzogen, die größtenteils aus Cutin, einem natürlichen Polyester, besteht. Diese wächserne Hülle bewahrt sie vor UV-Strahlung, Wasserverlust und Schädlingen. Um die Pflanze angreifen zu können, produzieren Mikroorganismen Enzyme, die die Esterbindungen erkennen und spalten. Ebensolche Enzyme macht sich die Wissenschaft zunutze. Sonnendeckers Team hat dazu Komposthaufen auf dem Leipziger Südfriedhof untersucht. Die ungewöhnliche Unternehmung lohnte sich: Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler entdeckten im Abfall ein Enzym, das überdurchschnittlich schnell PET abbaut. Den Pflanzenkompost hatten sich die Forschenden dabei gezielt als Forschungsfeld ausgesucht. »In dem Haufen, der von Natur aus auf 70 Grad ist, leben Organismen samt Enzymen, die hohe Temperaturen aushalten.« Auf solche thermostabilen Enzyme hatte es das Leipziger Team abgesehen. PET wird nämlich erst bei Temperaturen ab 60 Grad gut angreifbar. Das heißt, der Abbauprozess wird durch mäßige Hitze stark beschleunigt.
Die Idee, Enzyme einzusetzen, ist nicht neu. Das französische Unternehmen Carbios hat bereits eine Technologie zum enzymatischen Recyceln von PET entwickelt und mit dem Bau einer kommerziellen Anlage dafür begonnen. Die Enzyme zerlegen das Material in seine Grundbausteine, aus denen hochwertiger neuer Kunststoff hergestellt werden kann. Einer der größten Vorteile ist, dass es dabei nicht zum »Downcycling« kommt: Bei herkömmlichen Verfahren sind die Qualitätsverluste so groß, dass Kunststoffe oft nur wenige Male recycelt werden können.
In ähnlicher Weise soll auch das Leipziger Super-Enzym Kunststoff zerlegen. »Anders als bei Carbios wird bei uns das PET nicht vorbehandelt«, sagt Sonnendecker. Stattdessen wird der Abfall – zum Beispiel PET-Schalen, wie man sie von Erdbeerverpackungen kennt – kleingehäckselt in den Reaktor gegeben. Dann wird Wasser samt Enzym hinzugefügt und erhitzt, wie der Biochemiker erklärt. »Am Ende haben wir dann das abgebaute PET, ganz einfach.«
»Derzeit entwickeln wir unsere Enzyme weiter, um sie noch leistungsfähiger zu machen«, berichtet der Forscher. Schon jetzt werden sie für Forschungszwecke eingesetzt. In Zukunft will Sonnendeckers Team Unternehmen außerdem dabei unterstützen, Kunststoffe zu entwickeln, die leicht abbaubar sind. »Wenn der Kunststoff richtig designt wurde, nämlich nach dem Vorbild der Natur, dann gibt es auch chemisch viele Optionen, das dann wieder zu spalten, sodass man die Grundbausteine bekommt.«
Wolfgang Streit und sein Team interessieren sich nicht nur für PET, sondern auch für Nylon – ein stabiler Kunststoff aus Erdöl, der sich vielseitig einsetzen lässt. Bekannt sind vor allem Nylon-Strümpfe, die in den 1940er Jahren auf den Markt kamen. Daneben wird das Polyamid wegen seiner Stabilität und Reißfestigkeit auch für Kletterseile, Sicherheitsgurte, Heißluftballons oder Planen eingesetzt. Der Stoff ist weit verbreitet, lässt sich bisher aber schlecht recyceln. Auf der Suche nach Nylon abbauenden Organismen untersucht Streits Team Plastikmüll aus Hamburger Gewässern. »An der Alster kommt man oft genug an Müll vorbei. Den holen wir uns zum Teil ins Labor und schauen, ob schon irgendwelche Bakterien daran gearbeitet haben.« Sehr optimistisch, eine Art »Super-Bug« zu finden, ist Streit nicht. »Es ist eine mühsame Arbeit. Aber wir möchten auch wissen, wie Mikroorganismen mit den Stoffen umgehen. Siedeln sie sich darauf an? Oder haben sie Enzyme, um sie abzubauen?«
Der Mikrobiologe geht davon aus, dass die Natur noch viel zu bieten hat. Wahrscheinlich, meint er, gibt es eine ganze Reihe von Bakterien, die zumindest PET zersetzen können – wenn auch langsam. Auch Pilze wären ein lohnendes Forschungsfeld. Dass Pilze und Bakterien einen Plastikberg verfrühstücken wie einen Laubhaufen, bleibt wahrscheinlich trotz allem ein Traum. »Aber es ist zu früh, den Kopf in den Sand zu stecken«, sagt Streit. »Wir brauchen auch einfach mehr Forschung auf diesem Gebiet. Man findet ja auch coole Enzyme.«
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