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Zauneidechsen in Berlin: Kaltblütiger Investorenschreck
Zauneidechsen lieben Brachflächen – das sorgt für Artenschutzkonflikte mit Bauvorhaben
Zauneidechsen lieben sandige Böden, Gestrüpp und Steinhaufen. In Berlin finden die bis zu 25 Zentimeter großen Reptilien auf Brachflächen, Baustellen und Gleisstücken ein Zuhause – und geraten dabei immer wieder in Konflikte mit Bauherren.
Dabei sind die Zauneidechsen dank des Artenschutzes nicht ganz wehrlos. Dieser hat reale Konsequenzen für Bauvorhaben und die davon profitierenden Investor*innen. »Jedes Bauvorhaben muss prüfen, ob naturschutzrelevante Arten vorhanden sind«, erklärt Frederic Griesbaum, Biologe am Museum für Naturkunde Berlin. Dazu kommt die Verantwortung des Berliner Senates, Maßnahmen zu ergreifen, um den Bestand von Eidechsen zu erhalten und zu fördern. Das kann zur Folge haben, dass die Anwesenheit der Reptilien Bauvorhaben verlangsamt oder gar ganz anhält.
So müssen vor Baubeginn die Zauneidechsen großflächig abgefangen und umgesiedelt werden. Griesbaum erklärt, dass dies unter anderem per Hand oder mithilfe von Schwämmen erfolgt, die auf die Tiere gepresst werden. »So soll ein Abwerfen des Schwanzes vermieden werden, das den Tieren zwar oft die Flucht ermöglicht, sie aber natürlich erheblich schwächt.«
Alternativ sei es möglich, so Griesbaum, Eidechsen zu »angeln«. Hier werde am Ende einer langen Schnur eine kleine Schlinge vorsichtig um den Hals der Eidechse gelegt. Die Arbeit sei insbesondere auf großen Gebieten zeitaufwendig. Nach der ersten erfolgreichen Umsiedlung sei es notwendig, zu prüfen, ob alle Eidechsen erfolgreich gefangen wurden, so Griesbaum.
Während wir zur heißen Jahreszeit weiter im Büro schwitzen und das Parlament in den Ferien ist, tapst und kratzt und raschelt und flattert die Berliner Tierwelt wie gewohnt durch die Stadt. Wir nehmen uns von Woche zu Woche ein Berliner Wildtier vor. Jeden Dienstag vom 15. Juli bis zum 2. September erwarten Sie an dieser Stelle spannende Geschichten aus dem Großstadtdschungel!
Doch nicht jede Umsiedlung wird von Gerichten als erfolgreich anerkannt. So untersagte das Oberverwaltungsgericht im Dezember 2020 der Firma Tesla Rodungen entlang der A10 nach Beschwerden der Naturschutzorganisationen Nabu und Grüne Liga. Die Flächen galten als Überwinterungsräume für Zauneidechsen. Zwar habe Tesla 17 Zauneidechsen erfolgreich umgesiedelt. Doch sei dies zu einem Zeitpunkt geschehen, »als sich zumindest die erwachsenen Männchen der Zauneidechsen bereits in ihren Winterquartieren befunden haben dürften«, so das Gericht. Eidechsen gegen Elon 1:0. Verhindern konnte dieser Punktsieg die Giga-Fabrik bekanntlich aber nicht. Gerodet und gebaut wurde letztendlich trotzdem.
Mindestens genauso beliebt wie künftige Baustellen sind bei Zauneidechsen Gleisstücke. Dort gibt es genügend Verstecke, Insekten zwischen dem Schotter und warme Sonnenplätze. Ihr Bewegungsradius, auch »Homerange« genannt, könne bei Männchen bis zu 200 Meter pro Woche umfassen, so Griesbaum. Doch anscheinend hängt der Bewegungsradius mit der Attraktivität des Zuhauses zusammen. So stellten Forschende vom Museum für Naturkunde in Berlin, der Leuphana-Universität in Lüneburg und der Technischen Universität Darmstadt fest, dass Eidechsen auf Bahngleisen sehr viel standorttreuer sind und sich nur wenige Meter bewegten.
Doch nicht nur perfekte Lebensräume sorgen für begrenzte Bewegungsradien. In Großstädten wie Berlin ist die fortschreitende Fragmentierung von Flächen und Urbanisierung eine Herausforderung. Lebensräume würden zerschnitten oder komplett verschwinden, sagt Griesbaum. Er sieht auch die Umsiedlungspraxis kritisch. Die Erfolgsquote sei noch wenig erforscht und die bisherigen Ergebnisse zweischneidig. Anfangs könnten zwar Erfolge verzeichnet werden. Doch wenn es im neuen Umsiedlungsgebiet bereits eine Population gebe, sei es möglich, dass die Maximalanzahl an Eidechsen bereits erreicht sei. So verringere sich die Eidechsenpopulation über die nächsten fünf Jahre zurück zum Ursprungszustand.
»Jedes Bauvorhaben muss prüfen, ob naturschutzrelevante Arten vorhanden sind.«
Frederic Griesbaum,
Biologe
Wer Eidechsen ein neues Zuhause weit entfernt von Investor*innen bieten möchte, kann Gärten und Kleingärten zauneidechsenfreundlicher gestalten. Griesbaum empfiehlt, den Garten wuchern zu lassen oder wilde Ecken anzubieten. Totholz- und Geröllhaufen stellen Sonnenplätze und schattige Abkühlung zugleich dar, heimische Wildkräuter locken Nahrungsinsekten an.
Auf die Anfrage von »nd« antwortete die Senatsverwaltung für Mobilität, Verkehr und Umwelt (SenMVKU), dass das Land Berlin verpflichtet ist, den Erhaltungszustand der Echsen zu fördern und dauerhaft sicherzustellen. »In der letzten Berichtsperiode konnte Berlin für die Zauneidechse einen günstigen Erhaltungszustand an das Bundesamt für Naturschutz melden«, so Petra Nelken, Pressesprecherin der Senatsumweltverwaltung. »Die SenMVKU verfügt über eigene Expertinnen, die stets auf Grundlage des aktuellen wissenschaftlichen Kenntnisstandes handeln. In einzelnen Fällen wird die SenMVKU außerdem durch die Expertinnen und Experten der Koordinierungsstelle Fauna der Stiftung Naturschutz Berlin beraten«, so Nelken.
Alle Teile der Wildtier-Serie finden Sie hier: Teil 1: Störche in Berlin; Teil 2: Igel in Berlin; Teil 3: Füchse in Berlin; Teil 4: Ratten in Berlin; Teil 5: Otter in Berlin
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