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Rückenwind für die Atomenergie in Belgien und Dänemark
Belgien und Dänemark sind dabei, ihren kernkraftkritischen Kurs aufzugeben
Kehrtwende in der Energiepolitik: Auf Initiative der seit Anfang Februar amtierenden Mitte-rechts-Regierung Belgiens unter Premierminister Bart de Wever hat das Parlament in Brüssel beschlossen, den vor zwei Jahrzehnten in Gang gesetzten Ausstieg aus der Atomkraft zu stoppen und die Laufzeit der noch betriebenen Reaktoren zu verlängern. 102 Abgeordnete stimmten am letzten Donnerstag für die Pläne, nur acht waren dagegen, 31 enthielten sich.
Energieminister Mathieu Bihet von der wirtschaftsliberalen Reformbewegung kündigte überdies an, die Stromproduktion aus Atomkraft mittelfristig zu verdoppeln. Neben den bestehenden vier Reaktoren will die Regierung bis zu vier Gigawatt zusätzliche Kapazität durch neue bzw. reaktivierte Anlagen schaffen. Ob die Pläne umgesetzt werden können, ist allerdings fraglich.
Im Jahr 2003 war in Belgien der Atomausstieg beschlossen und gesetzlich verankert worden. Auf dieser Grundlage wurden zwischen 2022 und Anfang 2025 drei Reaktorblöcke in Doel bei Antwerpen und Tihange nahe Lüttich abgeschaltet. Zurzeit sind noch vier Meiler an diesen Standorten am Netz. Infolge des Krieges in der Ukraine und befürchteter Energieengpässe wurde 2022 die Laufzeit von Doel-4 und Tihange-3 bis 2035 verlängert. Jetzt prüft die Regierung einen Betrieb über 2035 hinaus.
In Deutschland sorgten die belgischen Atommeiler aus den 70er und 80er Jahren anhaltend für Diskussionen und Kritik. Immer wieder wurden dort Schäden dokumentiert, etwa Risse im Reaktordruckbehälter oder bröckelnde Betonteile. Die Bundesregierung und nordrhein-westfälische Kommunen in Grenznähe wie Aachen – die Stadt liegt nur 60 Kilometer von Tihange entfernt – forderten mehrfach die Abschaltung unsicherer belgischer Reaktoren. Die dortige Atomaufsicht ließ die Anlagen nach Überprüfungen jedoch weiterlaufen, was in Deutschland erneut Proteste auslöste.
Umweltschützer in Belgien und Deutschland verurteilen denn auch die neuen Atompläne scharf. Diese änderten nichts an den Tatsachen, erklärt Joeri Thijs, Sprecher von Greenpeace Belgien: »Erneuerbare Energien sind die günstigste Energie, die Verlängerung der Lebensdauer der alten Atomkraftwerke in unserem Land ist riskant und astronomisch teuer. Und neue Atomkraftwerke sind ein wirtschaftliches und technisches Märchen.«
»Es ist besser, Atomkraft in Europa zu haben, als von russischem Gas abhängig zu sein.«
Mette Frederiksen
Ministerpräsidentin Dänemarks
Der Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU) mit Sitz in Bonn betont, dass »der Weiterbetrieb der alten Atomkraftwerke in Belgien zahlreiche Gefahren für die Bevölkerung und die Umwelt birgt«. Der Bau und Betrieb neuer AKW würden zudem das auch im Nachbarland Belgien ungelöste Atommüllproblem weiter verschärfen. »Statt eine Dinosauriertechnologie zu forcieren, sollte Belgien auf eine nachhaltige und umweltverträgliche Energieversorgung ohne Atommüll setzen«, so BBU-Vorstandsmitglied Udo Buchholz.
Bedenken hat übrigens auch der Kraftwerkbetreiber Engie. Unternehmenschef Vincent Verbeke erklärte gegenüber belgischen Medien, man werde nicht mehr in Kernenergie investieren. Die Atomkraft sei kein Teil der Zukunftsstrategie. Engie verfolge weiterhin den Plan, alle Reaktoren bis 2025 oder spätestens 2035 vom Netz zu nehmen und abzubauen.
Deshalb bleibt unklar, ob sich die politischen Atompläne überhaupt umsetzen lassen. Bleibt Engie bei seinem Nein, müsste ein neuer Betreiber für die alten AKW gefunden werden oder der belgische Staat selbst einspringen. Beim Bau neuer Atomkraftwerke kämen weitere Risiken hinzu, denn er wäre mit hohen Investionskosten, langen Genehmigungsverfahren und öffentlichen Diskussionen verbunden.
Nichtsdestotrotz evaluiert derzeit das atomstromfreie Dänemark die Möglichkeit eines Einstiegs in die Kernenergie. Damit könnte ein Parlamentsbeschluss aus dem Jahr 1985 fallen, der jegliche Atomkraftnutzung untersagt. Zurzeit bezieht das Land mehr als 80 Prozent seines Stroms aus regenerativen Energien und gilt hierbei weltweit als Vorreiter.
Den Antrag der Rechts-Opposition auf eine sofortige Aufhebung des Atomkraftverbots lehnte das Parlament in Kopenhagen kürzlich zwar ab. Beschlossen wurde allerdings eine »Prüfung von Potenzialen, Möglichkeiten und Risiken«. Die sozialdemokratische Ministerpräsidentin Mette Frederiksen begründet das so: »Wir sollten das mit offenen Augen angehen. Es ist besser, Atomkraft in Europa zu haben, als von russischem Gas abhängig zu sein.«
Der frühere Regierungschef Anders Fogh Rasmussen ist noch deutlicher für einen Kurswechsel: »Wind und Sonne sind gut, solange man Wind und Sonne hat«, sagte Rasmussen der »Financial Times«. »Aber man braucht eine nicht-fossile Grundlast, und es ist lächerlich, die Kernkraft von vornherein auszuschließen.«
Rasmussen und Co. setzen auf sogenannte Small Modular Reactors (SMR). Das sind sind kleine AKW mit einer elektrischen Leistung von etwa 15 bis höchstens 300 Megawatt – die gängigen Leichtwasserreaktoren leisten hingegen 1300 oder sogar 1600 Megawatt. Ihre Befürworter werben damit, dass SMR gewissermaßen als Reaktoren von der Stange in einer Fabrik vorgefertigt und am Montageort zusammengesetzt werden könnten. Allerdings gibt es einsatzfähige Reaktoren bislang gar nicht, sie existieren nur als Modelle in Pilotversuchen.
Wie in Belgien beurteilt auch in Dänemark die Stromwirtschaft die Atompläne skeptisch. Der größte Versorger Andel, der mehr als drei Millionen Haushalte beliefert, bezeichnet Kernkraft in Verbindung mit den noch unerprobten Mini-Reaktoren als reine Zukunftsmusik. Andel warnt davor, dass diese Technologie in jedem Fall mindestens doppelt so teuer werde wie ein konsequenter und klimagerechter Ausbau von Wind- und Solarenergie.
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