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Kein Platz im Kabinett: Der Klöckner-Komplex

In Julia Klöckner sieht Christoph Ruf einen klaffenden Gegensatz zwischen Substanz und Selbstbewusstsein

Julia Klöckner, Bundestagspräsidentin, begnügt sich nicht mit Glöckchen-Gebimmel.
Julia Klöckner, Bundestagspräsidentin, begnügt sich nicht mit Glöckchen-Gebimmel.

Vergesst die Ostfriesen. In meiner Jugend waren Helmut-Kohl-Witze große Mode. Es war die Zeit vor 1990, als Kohl noch primär als grob behauenes Urvieh im globalen Porzellanladen wahrgenommen wurde, das den US-Präsidenten auf einen Friedhof mit Gräbern von SS-Leuten einlud. Für Kohl musste man sich selbst als Angehöriger eines Volkes schämen, das Gartenzwerge in Vorgärten stellt und im Urlaub das Liegen-Territorium mit Handtüchern markiert. Kohl hat auch einmal Michail Gorbatschow mit Joseph Goebbels verglichen.

Aber, okay, das war vor der Zeit, als Kohl persönlich die Mauer umwarf und Millionen Ostdeutschen die blühenden Landschaften bescherte, von deren Existenz besonders gerne die Westdeutschen reden, die seit 1990 nicht mehr als drei Tage »im Osten« verbracht haben (eines davon das Coldplay-Konzert in der O2-Arena). Aber ich schweife ab und habe selbst keine Ahnung, warum ich immer an Kohl denken muss, wenn ich Julia Klöckner sehe, die kürzlich die »Taz« mit »Nius«, dem Zentralorgan für Gartenzwerge, verglichen hat. Wobei: Das Problem an Klöckner ist nicht nur ihre von keinerlei Selbstzweifel getrübte Durchschnittlichkeit bei maximalem Sendungsbewusstsein. Das Problem ist das System, das solche Leute in solche Ämter bringt.

Christoph Ruf

Christoph Ruf ist freier Autor und beobachtet in seiner wöchentlichen nd-Kolumne »Platzverhältnisse« politische und sportliche Begebenheiten.

Für sie war kein Platz im Kabinett, deshalb musste es einer dieser hunderten von Versorgungsposten sein, die sich SPD und Union wechselseitig zuschaufeln. Doch eine wie Klöckner begnügt sich als Parlamentspräsidentin nicht damit, mit dem Glöckchen zu bimmeln und Ordnungsrufe zu verteilen. Das wäre dieser Frau, die schändlicherweise noch keiner als Papst oder Bundespräsidentin vorgeschlagen hat, nicht würdig. Was den erstaunlichen Gegensatz zwischen Substanz und Selbstbewusstsein angeht, erinnert mich Klöckner dann auch weniger an Kohl als an Caroline Wahl (»Ich glaube, die Leser mögen an meinem Buch, dass es so gut geschrieben ist«). Also sucht sie sich etwas, das alle Wichtigtuer spätestens im dritten Satz im Munde führen: eine »Agenda«, in ihrem Fall, die Lobpreisung der politischen Mitte und die Kritik an allem, was Konservative für »extrem« halten, also offenbar bereits die »Taz«. Kulturstaatsminister Wolfram Weimer hat die gleiche Agenda, allerdings einen anderen Horizont. Anders gesagt: Klöckner ist Weimer in blöd.

Und damit wäre alles gesagt, wenn rechts-links-Gleichsetzungen nicht politisch so gefährlich wären. Schon Kohl warnte nach den Nazi-Morden von Solingen und Mölln vor »Extremismus von rechts und links«, der Abgrenzungsbeschluss der Union zur Linkspartei atmet denselben Geist. Und las ich nicht etwas ähnlich Merkwürdiges kürzlich über eine Demo gegen die hohen Energiepreise, die von den Linken in Leipzig organisiert war und an die sich die »Freien Sachsen« herangewanzt hatten? In dem Text war von »Populisten von links und rechts« die Rede, die die »Sanktionspolitik gegen Russland« kritisiert hätten. Voll-Nazis als »Populisten« zu verniedlichen ist schon eine Leistung. Die dann mit der Linken gleichzusetzen, aber eine Unverschämtheit in Klöckner’schen Ausmaßen. Irgendwo habe ich das gelesen. Aber wo nur? Bei »Nius« war’s jedenfalls nicht.

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