Métis in Alberta: Indigene Kultur und weiße Bisons in Kanada

Von Diskriminierung geprägt, von Widerstand getragen: Die Métis in Alberta beleben ihre Kultur und Traditionen heute selbstbewusst neu

  • Michael Juhran
  • Lesedauer: 5 Min.
Weiße Bisons haben bei den Métis eine besondere spirituelle Bedeutung.
Weiße Bisons haben bei den Métis eine besondere spirituelle Bedeutung.

Métis Crossing, rund 110 Kilometer nordöstlich von Edmonton, ist ein Ort der Hoffnung und der Zuversicht. Hier knüpfen die Métis – Nachkommen von indigenen Frauen und europäischen Pelzhändlern – ihre gesellschaftlichen und familiären Bande neu und führen ihre Kultur, die so lange unterdrückt und an den Rand gedrängt wurde, nun bewusst und aus eigener Kraft in die Zukunft. Seit ihrer Entstehung wurden sie aufgrund gemischter Herkunft weder von den First Nations noch von den britischen Siedlern als gleichberechtigt anerkannt. Jahrzehntelang mussten sie gegen Diskriminierung und Entrechtung kämpfen. Heute berufen sich rund 20 Prozent der Einwohner Albertas auf deutsche Vorfahren – deutsche Familiennamen finden sich daher auch unter den Métis.

Lilyrose Meyers gehört zu den Pionierinnen von Métis Crossing. Die Nachkommin einer Cree-Frau und eines Einwanderers aus Hamburg engagiert sich seit 2005 dafür, das Erbe ihrer Vorfahren sichtbar zu machen. Sie gibt Sprachkurse, belebt traditionelles Kunsthandwerk neu und führt Besucher durch die Blockhäuser am North Saskatchewan River, die an die Zeit der frühen Siedler und Händler erinnern. Sie erlebte noch die Phase der staatlichen Zwangsinternate (»Residential Schools«), in denen Kinder der Métis und anderer indigener Völker ihren Familien entrissen, ihrer Sprache beraubt und vielfach misshandelt wurden. Hunderte starben an Krankheiten wie Tuberkulose. »Die Behörden nahmen uns alles – die Eltern, die Sprache, die Kultur, unseren Glauben«, sagt Meyers. Erst 1996 wurde die letzte dieser Schulen geschlossen.

Kultur aus eigener Kraft stärken

Mit dem Bau des Gemeindezentrums begann für die Gemeinschaft ein neuer Abschnitt, und zwar ein Abschnitt, den die Métis selbst bestimmten. Trotz schwerer Traumata fanden viele von ihnen Mut, Hoffnung und Zuversicht, ihre Kultur eigenständig zu bewahren und mit Leben zu füllen. Auf dem 700 Hektar großen Gelände entstanden Gesellschaftsräume, ein modernes Hotel, ein Restaurant und ein Museum. Auf weiten Weiden züchten die Métis Prärie- und Waldbisons, Pferde und Hirsche. Dieses sichtbare Zeichen von Selbstbestimmung hat für viele eine fast ebenso große Bedeutung wie die Gebäude selbst.

Eine besondere Attraktion ist eine kleine Herde weißer Bisons. »Wir sind glücklich, diese in Nordamerika wohl einzigartige Herde bei uns zu haben«, sagt Shirley Pallister, während sie Besucherinnen und Besucher in respektvollem Abstand zu den Tieren führt. »Für viele Métis sind weiße Bisons ein spirituelles Symbol der Hoffnung – ein Zeichen dafür, dass wir trotz aller Rückschläge in die Zukunft blicken.« Die Begeisterung in ihren Augen zeigt, wie tief die Verbundenheit mit den Tieren ist.

Die Rückkehr der Bisons

Auch im Elk Island National Park, 80 Kilometer entfernt, zeigt sich eine Erfolgsgeschichte. Ende des 19. Jahrhunderts wurden Millionen Bisons ausgerottet – ein kulturelles und ökologisches Desaster, da sie für indigene Nationen über Jahrtausende die wichtigste Nahrungs- und Lebensgrundlage darstellten. 1907 kaufte die kanadische Regierung Tiere von einem Züchter in Montana zurück und begann mit ihrer Wiederansiedlung. Heute leben im Park wieder rund 600 Prärie- und 400 Waldbisons.

»Jedes Jahr wächst die Population um etwa 20 Prozent«, erklärt Jaclyn Ludwig, die durch den Park führt. »Wir können die Vergangenheit nicht ungeschehen machen, als den indigenen Nationen ihre wichtigste Nahrungsquelle genommen wurde. Aber seit sieben Jahren geben wir die meisten Jungtiere an Cree, Blackfoot und Métis ab – so entstehen wieder eigene Herden, die den Gemeinschaften Hoffnung und Stärke geben.« Damit wird nicht nur eine Tierart gesichert, sondern auch ein Stück kultureller Identität zurückgegeben.

Traditionen auf dem Markt

Zurück in Edmonton vertieft das Royal Alberta Museum die Geschichte der Métis. Von den ersten Siedlungen am Red River bis zum Aufstand von 1885 unter Louis Riel reicht die Darstellung – ein Aufstand, der den Widerstand gegen Landraub und Entrechtung symbolisierte. Immer wieder mussten sich die Métis gegen den Verlust ihrer Lebensgrundlagen behaupten.

Tipps

Doch Kultur lebt nicht allein in Museen. Im Stadtteil Old Strathcona vermittelt der Old Farmers Market, wie stark Traditionen in den Alltag eingebunden sind. Hier pflegt der Cree-Koch Shane Chartrand die kulinarischen Wurzeln der Cree und Métis. Bannock mit Bisonfleisch oder Pemmikan, eine Mischung aus Beeren, Fleisch und Fett, gehören zu seinen Spezialitäten. »Unsere Rezepte wurden nur mündlich überliefert«, sagt er. Deshalb schrieb er ein Kochbuch, das längst über die Landesgrenzen hinaus Beachtung findet. Heute kocht er in TV-Shows auf der ganzen Welt, zuletzt in Kairo.

Natur im Jasper-Nationalpark

Ein Aufenthalt in Alberta ohne einen Besuch im Jasper-Nationalpark wäre unvollständig. Trotz schwerer Waldbrände im Sommer erstrahlt die Landschaft wieder mit türkisfarbenen Seen, rauschenden Wasserfällen und den schroffen Gipfeln der Rockies. Wer aufmerksam unterwegs ist, trifft auf Schwarzbären, Elche, Dickhornschafe, Maultierhirsche oder Weißkopfadler – Begegnungen, die jede Reise unvergesslich machen.

Die am Beauvert-See gelegene Fairmont Jasper Park Lodge ist ein idealer Ausgangspunkt. Von hier erreicht man mit einer Seilbahn den Whistler Mountain, dessen Gipfel ein Panorama bietet, das zu den schönsten des Landes zählt. Auch die Athabasca Falls oder der Pyramid Lake sind in kurzer Zeit erreichbar. Wer es ruhiger mag, genießt einfach die Stille am See, während sich Kanadagänse am Ufer sonnen und die Berge im klaren Wasser spiegeln – eine Bilderbuchlandschaft, die zeigt, wie eng Natur und Erholung hier verbunden sind.

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