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Kommission soll Sozialstaat effizienter und autoritärer machen
Ein Regierungsgremium evaluiert seit Montag Vorschläge zu Bürokratieabbau und Einsparungen bei Sozialleistungen
In den üblichen Medien häufen sich alarmistische Schlagzeilen. So titelte Springers »Welt« am Montag: »Die Deutschen wollen weniger arbeiten – so gefährlich ist der ›Chill-Modus‹ der Republik«. Während die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands bedroht sei, scheine »die Mehrheit der Arbeitnehmer einer neuen Umfrage zufolge noch weniger bereit zu sein, sich für den Standort einzusetzen«. Die schwarz-rote Bundesregierung will dazu beitragen, dass diese Mehrheit mehr Leistungsbereitschaft zeigt. Dafür will sie »Fehlanreize« im Sozialsystem beseitigen. In ihrem Koalitionsvertrag ist deshalb unter anderem die Berufung einer Kommission vereinbart, die schnell Vorschläge für »Reformen« des Sozialstaats erarbeiten soll. Am 21. August teilte Sozialministerin Bärbel Bas (SPD) mit, sie habe das Gremium mit Vertretern von Bund, Ländern und Kommunen eingesetzt. Am Montag nahm dieses offiziell seine Arbeit auf.
Worum es geht? Der »Fokus« der Kommissionsarbeit soll nach Angaben des Sozialministeriums »auf steuerfinanzierten Leistungen wie Bürgergeld, Wohngeld und Kinderzuschlag« liegen. Weitere Ziele seien die »Zusammenlegung von Sozialleistungen, die Beschleunigung von Verwaltungsabläufen und die Digitalisierung«. Das Gremium solle die »Expertise und Vorschläge der Sozialpartner, der Sozial- und Wirtschaftsverbände, des Bundesrechnungshofs und weiterer Stakeholder aus Wissenschaft und Praxis einschließlich des Normenkontrollrats und der Initiative für einen handlungsfähigen Staat« berücksichtigen.
Letztere wird von wirtschaftsnahen Einrichtungen wie der Mercator- und der Gemeinnützigen Hertie-Stiftung unterstützt und hat Mitte Juli einen Abschlussbericht für eine umfassende »Staatsreform« an Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier übergeben. Darin geht es insbesondere um Bürokratieabbau, Digitalisierung und Cybersicherheit sowie eine Verbesserung des Katastrophenschutzes.
»Es ist unverantwortlich, das Existenzminimum infrage zu stellen, während große Vermögen und hohe Erbschaften kaum zur Finanzierung des Gemeinwesens beitragen.«
Michaela Engelmeier Vorsitzende des Sozialverbands Deutschland
Im Kern dürfte die Sozialstaatskommission vor allem »Sparpotenziale« im Sozialen in den Blick nehmen, um die massiven Kreditaufnahmen und damit verbundenen Zinszahlungen des Staates für die Aufrüstung zu finanzieren. Insbesondere die Unionsparteien suggerieren, der Sozialstaat sei zu teuer. So bekräftigte Kanzler Friedrich Merz am Wochenende auf einem CDU-Landesparteitag in Bonn, Deutschland könne sich sein Sozialsystem nicht mehr leisten. »Wir leben seit Jahren über unsere Verhältnisse«, sagte der CDU-Vorsitzende.
SPD-Chefin und Sozialministerin Bärbel Bas widersprach dem auf einer Juso-Konferenz in Gelsenkirchen. Die »dramatisierende« Debatte über den nicht mehr finanzierbaren Sozialstaat sei »Bullshit«, sagte sie. Zugleich betonte Bas, Reformen seien notwendig. Am Wochenende hatte die Sozialministerin die nächste Nullrunde beim Bürgergeld sowie harte und schnelle Leistungskürzungen bei Bürgergeldbeziehenden angekündigt, die nicht zu einem Termin beim Jobcenter erscheinen. Dass die SPD Verschärfungen beim Bürgergeld mitträgt, versicherte auch deren Ko-Vorsitzender Lars Klingbeil. Er habe allein aus Gerechtigkeitsempfinden die Erwartung, dass man sich anstrenge, sagte der Bundesfinanzminister in der ARD.
Kritik am Sozialstaatsdiskurs übte die Vorsitzende des Sozialverbands Deutschland (SoVD), Michaela Engelmeier. »Statt die Ärmsten gegeneinander auszuspielen, braucht es eine ehrliche Debatte über Verteilungsgerechtigkeit«, sagte sie dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Es sei »unverantwortlich, das Existenzminimum infrage zu stellen, während große Vermögen und hohe Erbschaften kaum zur Finanzierung des Gemeinwesens beitragen«.
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